Die derzeitige Aufschwungphase an den internationalen Börsen hätte André Kostolany wohl mit gemischten Gefühlen gesehen. Weder von Euphorie noch von Einbrüchen wollte sich der Aktien-Altmeister mitreißen lassen, stets warnte er vor den "Zittrigen", die unter Kaufzwang spät in den Markt kommen und für Kursschwankungen sorgen. "Er hat meist das Gegenteil von dem gemacht, was die Masse macht. Er war ein Prediger der praktischen Vernunft", sagt sein langjähriger Freund Gottfried Heller, mit dem Kostolany vor rund 35 Jahren in München die Fiduka Depotverwaltung gründete. An diesem Donnerstag (9. Februar) wäre der gebürtige Ungar, der sein Publikum wie kein Zweiter mit Charme und Wortwitz in die Geheimnisse der Finanzwelt einweihte, 100 Jahre alt geworden.
"Wanderprediger der Börse"
Schon zu seinen Lebzeiten war Kostolany eine Legende. Geboren 1906 als Sohn eines wohlhabenden ungarischen Schnapsfabrikanten jüdischer Herkunft in Budapest, wurde er vom Schöngeist zu einem "Wanderprediger der Börse", wie er sich selbst gerne nannte. Nach seinem Studium der Philosophie und Kunstgeschichte strebte Kostolany eigentlich eine Karriere als Kunstkritiker an, doch nach der Flucht der Familie nach Wien kam er auf Anraten eines Freundes seines Vaters unter die Fittiche des erfolgreichen Börsenmaklers Adrien Perquel in Paris, bei dem er Mitte der 20-er Jahre eine Lehre begann.
"Was ich weiß, habe ich in der Praxis des Börsendschungels gelernt, und das Lehrgeld war ein Vielfaches dessen, was die besten Universitäten in Amerika gekostet hätten", sagte Kostolany einmal. Den Grundstein für Karriere und Vermögen legte er 1930, als er kurz vor der Weltwirtschaftskrise auf Baisse, also auf Verluste spekulierte, und sehr hohe Gewinne erzielte - ein Beispiel dafür, dass er in jungen Jahren nicht immer der kühle Kopf gewesen sei, der Aktien kaufte und sich dann erst einmal schlafen legte, wie er Anlegern gerne empfahl, sagt der Börsenexperte Prof. Wolfgang Gerke: "Er ist in seiner Jugend ein Seiltänzer gewesen und hat russisches Roulette gespielt." Doch Heller erkennt darin die typische Chuzpe seines alten Freundes wieder, der es eben verstanden habe, wohl überlegt und erfolgreich gegen den Strom zu schwimmen.
"Spielhölle mit gezinkten Karten"
Um ein flottes Zitat war "Kosto", wie ihn seine Fangemeinde noch heute nennt, nie verlegen. Seine 13 Bücher, die in acht Sprachen übersetzt wurden, sowie eine Kolumne im Wirtschaftsmagazin "Capital" gelten als Fundus an Geistreichem und Amüsantem über Börse und Finanzen. Auch den Niedergang des Neuen Marktes sah Kostolany voraus. Für ihn war das Börsensegment eine "Spielhölle mit gezinkten Karten". "Er hat immer gesagt: Ich empfehle nicht meinen Lesern und Freunden, nicht am Neuen Markt teilzunehmen - ich verbiete es ihnen", erinnert sich Heller. Den 100. Geburtstag seines 1999 in Paris verstorbenen Freundes will er auf jeden Fall begehen: "Wir werden eine Flasche Champagner aufmachen und auf ihn anstoßen."
Auch heute noch sollten sich Aktionäre viele der Weisheiten des Altmeisters zu Herzen nehmen, meint Experte Gerke: Die Anlagen breit streuen beispielsweise und nicht kurzfristig in den Markt hinein- und wieder herausspringen gehörten zu den wichtigsten Ratschlägen. "Die Aktie ist zwar riskant, wenn man sie falsch einsetzt", sagt Gerke, Abhilfe biete aber eine langfristig durchdachte Strategie. Ohnehin fehlten angesichts niedriger Zinsen rentable Alternativen für die Geldanlage - bei einem wachsendem Zwang, fürs Alter vorzusorgen. "Kostolany ist also aktueller denn je", sagt Gerke.