Erstmals in der französischen Wirtschaftsgeschichte haben rebellierende Kleinaktionäre das Management eines börsennotierten Unternehmens gestürzt. Zehn Jahre nach Eröffnung des Ärmelkanal-Tunnels musste am Mittwoch bei Paris die bisherige Führung von Eurotunnel unter Leitung des Briten Richard Shirrefs ihren Abschied nehmen. Die Rebellen sprachen sich mit 63 Prozent der Stimmen für Jacques Maillot als neuen Chef aus, den früheren Leiter des Reisekonzerns Nouvelles Frontières.
Aktie sank trotzdem weiter
Mit ihrem "Putsch" wollten sie einen Kurswechsel gegen die Gläubiger durchsetzen, um das Unternehmen vor der Pleite zu bewahren. Die Börse kehrte nach einem kurzen Anstieg um 7,14 Prozent auf 0,60 Euro zur betrüblichen Realität zurück. Die Aktie sank am Donnerstag um 3,3 Prozent auf 0,58 Euro.
"Die Partie ist noch nicht gewonnen", sagte Maillot nach seiner Wahl. Mit allen Partnern von Eurotunnel müsse verhandelt werden. Auch Präsident Jacques Chirac habe er um ein Gespräch gebeten. "Die Botschaft der Aktionäre ist klar: alles muss unternommen werden, um Eurotunnel zu retten", sagte Maillot.
Einmaliger Fall
Der Fall ist einmalig: Bisher galten lediglich Großanleger wie Investmentfonds als in der Lage, mächtige Konzernchefs wie im Falle von Michael Eisner (Coca-Cola) oder Michael Green (Carlton) zu stürzen. Angesichts des Einbruchs der Aktie von einst 19,36 Euro zum Pennystock gelang es dem schillernden Börsenbrief-Verleger und Bankkritiker Nicolas Miguet jedoch, von ausreichend vielen der gut eine Million Aktionären ein Mandat für die Revolte zu bekommen.
Die alte Führung um den Briten Richard Shirrefs versuchte vergeblich, mit dem Starmanager Philippe Bourguignon die Wende aufzuhalten. Der ehemalige Chef von Club Méditerranée gab noch vor der Hauptversammlung auf und beklagte einen "legalen Putsch". Die Aktionäre verweigerten dem alten Vorstand unter Rufen wie "Diebe" und "Gauner" auch die Entlastung für das Jahr 2003.
Ende 2006 droht Insolvenz
Eurotunnel weist bei 873 Millionen Euro Umsatz einen Fehlbetrag von 1,89 Milliarden Euro aus. Wenn Ende 2006 Kredite fällig werden, droht die Insolvenz. Das Unternehmen mit 3000 Mitarbeitern könnte rentabel arbeiten, erstickt aber unter 9 Milliarden Euro Schulden. Die Rebellen werfen der alten Führung vor, 1998 Umschuldungsverhandlungen mit den Banken ausgerechnet einem Bankier anvertraut zu haben und über den Tisch gezogen worden zu sein.
Die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens lehnten am Mittwoch unter Berufung auf den Eurotunnel-Vertrag von 1986, der Staatshilfen ausschließt, eine Finanzspritze ab. Maillot sagte aber, der Vertrag könne geändert werden; es gehe um ein "öffentliches Bauwerk". Im Vertrag von Canterbury 1986 hatte Premierministerin Margaret Thatcher durchgesetzt, dass das Jahrhundertprojekt ausschließlich privat finanziert wird.