Optiker-Kette Günther Fielmann: Der Revolutionär der Brillenwelt

  • von Katja Michel
  • und Lutz Meier
Der Unternehmer Günther Fielmann
Der Unternehmer Günther Fielmann ist tot. Der Gründer der gleichnamigen Optikerkette starb am 3. Januar im Alter von 84 Jahren in seinem Wohnort Lütjensee in Schleswig-Holstein
© DPA
Günther Fielmann hat den Brillenmarkt neu erfunden und eine Marke geschaffen, die jeder kennt. Nun ist der Unternehmer im Alter von 84 Jahren gestorben.

Der Junge sollte etwas Solides lernen, und schlechte Augen haben die Leute ja immer. Sehschwächen gelten gemeinhin als krisenfestes Geschäft. Dabei hatte Günther Fielmann eigentlich davon geträumt, Fotograf zu werden. Doch er fügte sich dem Wunsch seines Vaters, eines Oberstudiendirektors, und tauschte die Fotokamera gegen Profaneres aus: Brillen. Es war wohl sein kreativer, branchenfremder Blick, der ihm half, die Regeln seiner Zunft außer Kraft zu setzen. 

Günther Fielmann hat die Brillenwelt revolutioniert. Er hat in einer zersplitterten, angestaubten Branche das moderne Filialgeschäft erfunden. Kaum eine deutsche Fußgängerzone ohne Fielmann-Filiale, über 1000 Läden für Brillen und Kontaktlinsen gehören heute zu Deutschlands größter Optikerkette. Aufgebaut hat der Gründer das Familienunternehmen, für das heute mehr als 23.000 Menschen arbeiten und das rund zwei Milliarden Euro Umsatz macht, aus dem Nichts. Er hat auch das Marketing in die Optikerbranche gebracht. "Brille? Fielmann!" Kaum ein Werbespruch ist so vielen im Ohr wie dieser. 

Günther Fielmann war einer der großen Unternehmer der deutschen Nachkriegsgeschichte, einer ihrer wichtigsten Disruptoren im Schumpeter’schen Sinne. Für Entrepreneure wie Fielmann hat der österreichische Ökonom das Konzept der kreativen Zerstörung erfunden: Neues schaffen, indem Altes zerschlagen wird und so Innovationen und wirtschaftlichen Wandel vorantreiben.

"Robin Hood der Fehlsichtigen" bringt Brillen in Masse

Als der junge Günther Fielmann seine Ausbildung begann, hatten Optiker mehr mit Apotheken gemein als mit den modernen Filialen von heute: Menschen in weißen Kitteln zogen Brillen aus dunklen Holzschubladen hervor. Diese angestaubte Welt, das ganze Angestelltendasein war nichts für einen wie Fielmann. 1972 eröffnete er mit 33 Jahren seine erste Filiale in Cuxhaven. 

Was dann folgte, war eine Wirtschaftswundergeschichte wie aus dem Bilderbuch – auch wenn die Wirtschaftswunderjahre da eigentlich schon vorbei waren. Fielmann schaltete den Zwischenhandel aus, ließ Brillen in Masse produzieren – und bot sie billiger an als die verschlafene Konkurrenz. Sein größter Coup: Ein Deal mit der Krankenkasse AOK, Fielmann verkaufte nun Kassenbrillen auf Rezept. Allerdings solche, die deutlich besser aussahen als die alten Kassen-Gestelle. Zudem gab er den Kunden die Wahl zwischen Dutzenden Modellen.

"Bis dahin musste jeder Brillenträger den Nachweis seines geringen Einkommens auf der Nase tragen", erinnerte sich Fielmann später. Es ist wohl sein berühmtestes Zitat. Die Brillen waren nun weniger reine medizinische Sehhilfe, sondern mehr auch modisches Accessoire. Viele Optiker brachte das gegen ihn auf, als "Robin Hood der Fehlsichtigen" wurde er bezeichnet. Vermutlich hat er es als Kompliment genommen. Auch in den Gewerkschaften hatte er wenige Freunde, Beschäftige klagten über lange Arbeitszeiten, hohen Arbeitsdruck und niedrige Löhne.

Stillstand statt Modernisierung

Die 1970er- und 80er-Jahren waren die goldenen Zeiten von Fielmann, das Unternehmen eines der modernsten Deutschlands. Konkurrenten wie Apollo Optik folgten später dem Vorbild des Branchenpioniers Fielmann – und hatten damit ihrerseits Erfolg. 1994 brachte Fielmann sein Unternehmen an die Börse. Die Internationalisierung begann, blieb aber hinter den Erwartungen zurück. Teil der Geschichte ist auch, dass Fielmann-Filialen zuletzt so gewirkt haben, als sei vor zwanzig Jahren die Zeit stehen geblieben. Und auf die Brille mussten Kunden anderswo kürzer warten. Es ist nicht ohne Tragik, dass der einstige Meister der Modernisierung Fielmann zum Stillstand gekommen war. 

So lange hatte Günther Fielmann an seinem Chefsessel geklebt, dass ein Aktionär den Patriarchen auf der Hauptversammlung vor einigen Jahren schon mit dem damaligen greisen japanischen Kaiser verglich. Erst 2019, mit fast 80 Jahren, zog der Gründer sich aus dem Vorstand der Fielmann-Gruppe zurück und übergab das Unternehmen an seinen Sohn Marc Fielmann.

Mit einer selbstgemachten VR-Brille zum realeren Erlebnis
Mit einer selbstgemachten VR-Brille zum realeren Erlebnis
DIY Virtual-Reality-Brille: So basteln Sie sich ganz einfach eine VR-Brille selbst

In der Rente zum Öko-Landwirt

Seitdem widmete sich Günther Fielmann vor allem der Bio-Landwirtschaft und züchtete auf seinen drei Höfen Pferde, Rinder und Schafe. Seine Liebe zum Landleben hatte er immer betont. "Das Leben auf dem Land hat mich geprägt", sagte er in einem Buch zu seinem 75. Geburtstag. "Schon als Kind träumte ich von einem eigenen Bauernhof." Fielmann wäre nicht Fielmann gewesen, wenn er sich mit einem Betrieb begnügt und nicht auch aus seinem Hobby ein Geschäft gemacht hätte. Als Unternehmer dachte der Mensch Günther Fielmann unkonventionell, im Privatleben mochte er den Luxus, kaufte Schlösser und Landgüter, fuhr Ferrari. Leisten können hätte er sich noch viel mehr: Fielmanns Vermögen wurde von "Forbes" vergangenes Jahr auf 4,7 Milliarden US-Dollar geschätzt. 

Günther Fielmann starb am Mittwoch im Alter von 84 Jahren in Lütjensee in Schleswig-Holstein, wie die Fielmann-Gruppe mitteilte. Er sei im Kreise seiner Familie friedlich eingeschlafen.

"Non mihi sed posteris." Nicht für mich, sondern für die Nachkommen. So steht es am Eingang des Herrenhauses des Guts Schierensee der Fielmanns in Schleswig-Holstein. Nun muss Marc Fielmann die Erneuerung der Optikerkette weiter vorantreiben. Lange hatte er im Schatten seines verstorbenen Vaters gestanden. Er ist 34 – nur ein Jahr älter, als sein Vater damals war, als er sein erstes Geschäft in Cuxhaven eröffnete. Eine große Leidenschaft teilt der Sohn mit ihm: Die Liebe zur Fotografie.

Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst bei CAPITAL, das wie der stern zu RTL Deutschland gehört.

rw / mit DPA

PRODUKTE & TIPPS

Mehr zum Thema