Der Nächste bitte! Ah, Sie wieder mal. Keine Lust, die Seminararbeit zu schreiben, was? Damit sind Sie nicht allein: 70 Prozent der Studenten schieben gern etwas auf, ein Viertel sind chronische Aufschieber. Und später wird's nicht besser: Wer einen stressigen Job hat, lässt auch öfter mal was liegen. Mal sehen, ob Ihre Aufschieberitis chronisch ist oder eine vorübergehende Erscheinung. Klären wir erst einmal ein paar Dinge ab:
Anamnese
Wie häufig schieben Sie Dinge auf? Wie lange schon? Verschieben Sie nur alltägliche Dinge wie den Keller aufräumen, die Festplatte entmüllen oder die Steuererklärung abgeben immer wieder auf "morgen"? Oder sind es große Vorhaben wie endlich eine Weltreise machen? Den Job wechseln? Das Studium zu Ende bringen? Wie fühlen Sie sich dabei? Was denken Sie, wenn Sie Dinge aufschieben? Wie begründen Sie, warum Sie etwas nicht tun?
Dazu habe ich jetzt keine Lust.
Morgen ist auch noch ein Tag.
Das eilt doch nicht. Ich habe noch eine Menge Zeit.
Ich muss erst noch dies und jenes erledigen.
Das ist mir jetzt zu anstrengend.
Wie hielten es Ihre Eltern, Geschwister, Großeltern mit dem Erledigen?
Diagnose
Es gibt jetzt drei Möglichkeiten:
1) Sie leiden unter der harmlosen Form der Aufschieberitis:
Sie können damit leben, dass immer wieder Alltägliches liegen bleibt und sich entweder von selbst erledigt (das Lesen von Artikeln zum Beispiel, die dann inaktuell sind) oder Sie es erst dann in Angriff nehmen, wenn es nicht mehr anders geht (Wäsche waschen, weil keine sauberen Unterhosen mehr da sind). Negative Konsequenzen hat Ihr Verhalten weder für Sie noch für Ihren Job.
2) Ihr Fall ist problematisch:
Sie sagen sich täglich: Ich muss doch diese Bewerbung schreiben. Ich will endlich dieses Konzept erarbeiten. Stattdessen topfen Sie die Blumen um, putzen den Herd oder buchen Ihren Urlaub. Durchaus sinnvolle Dinge, aber das, was Sie tun wollen und müssen, bleibt liegen. Durch Aufschieben erreichen Sie zwar Ihre Ziele nicht, und das hat Konsequenzen - die aber nehmen Sie in Kauf. Wirklich verzweifeln lässt Ihr Verhalten Sie nicht.
3) Wegen Ihres ewigen Aufschiebens bekommen
Sie die Konsequenzen zu spüren: klarer Fall von hartem Aufschieben. Im Job droht eine Abmahnung, das Finanzamt schätzt Ihre Einnahmen, weil Sie Steuererklärungen seit Jahren nicht mehr abgegeben haben. Darunter leiden Sie.
Jetzt müssen wir ein bisschen hinter die Fassade gucken: Ihre Motivation. Man schiebt etwas auf, weil man sich damit vor Gefühlen oder Zuständen schützt, die man (meist unbewusst) noch mehr fürchtet als die Unzufriedenheit wegen des Aufschiebens: Angst, Abhängigkeit und Ohnmacht, Scham, Wut. Wer es aufschiebt, nach einer Gehaltserhöhung zu fragen, hat womöglich Angst, dass seine Forderung abgelehnt wird. Jemand, der Seminararbeiten oder Prüfungen vor sich her schiebt, wird vielleicht von Selbstzweifeln geplagt, ob er dieses Vorhaben überhaupt meistern kann, oder hat einen zu hohen Anspruch an sich - und wenn dann das Ergebnis nicht so toll ausfällt wie erwartet, kann man sich mit Zeitdruck entschuldigen.
Vielleicht sind Sie außerdem von Ihrer Familie beeinflusst: Sei es, dass Sie aus einer chaotischen Familie stammen und nie gelernt haben, Dinge rechtzeitig anzupacken. Oder Sie kommen aus einer zwanghaft exakten Familie, in der alles in der nächsten Sekunde erledigt wurde: die Rechnung sofort nach dem Öffnen bezahlt, der Fußboden gesaugt, sobald ein Haar den Teppich zierte. In beiden Fällen haben Sie vermutlich nicht gelernt, dass Entscheidungen Spielräume haben.
Nein, keine Sorge, Sie sind noch lange kein sozialer Problemfall. Ihnen kann geholfen werden.
Buchtipps
Schluss mit dem ewigen Aufschieben. Wie Sie umsetzen, was Sie sich vornehmen von Hans-Werner Rückert, Campus concret, 274 S., 15,90 Euro. Auch als Hörbuch für 24,90 Euro.
Entdecke das Glück des Handelns. Überwinden, was das Leben blockiert von Hans-Werner Rückert, Campus, 316 S., 19,90 Euro.
Aufschieberitis dauerhaft kurieren von Marc Stollreiter; Mvg Verlag, 144 S., 7,90 Euro.
< So zähmen Sie Ihren inneren Schweinehund von Marco von Münchhausen, Campus, 232 S., 19,90 Euro.
Therapie
Entweder Sie akzeptieren Ihre Macke und beschließen, den Berg der zu erledigenden Dinge einfach zu ignorieren. Oder Sie gehen entschlossen drauf zu und erklimmen ihn, anstatt ihn immer nur anzustarren. Eigentlich geht das ganz einfach: Sie gehen bis zur ersten Bank, dann gönnen Sie sich eine Pause - dann gehen Sie zur nächsten, wieder gibt's eine Belohnung, und irgendwann sind Sie auf dem Gipfel. Zugegeben, Sie werden ins Schwitzen kommen, vielleicht holen Sie sich einen Muskelkater - aber mit jedem Berg werden Sie fitter. Und schneller.
Bevor Sie jetzt drauflosmarschieren, gucken Sie kurz auf die Karte. Denn es hat keinen Sinn, in blindem Eifer sämtliche Bücher für die Seminararbeit auf einmal zu lesen oder zehn Bewerbungen an einem Tag zu verfassen. Überlegen Sie kurz: Welche Bücher muss ich wirklich lesen, wie viel Zeit habe ich, wie viele Seiten schaffe ich pro Stunde? Bei sechs Stunden intensivem Lesen sind das pro Tag wie viele Seiten? Wie viele Bücher sind also in drei Wochen zu schaffen? Dann: Wie umfangreich muss die Arbeit werden, wie gliedere ich sie? Wie viel Zeit brauche ich für ein Kapitel? Genauso plant man Bewerbungen: Was brauche ich dafür? Foto, Mappe, einen Ratgeber, vielleicht eine Freundin, die fit ist im Formulieren. Wer den Keller entrümpeln will, sollte kurz über Alternativen nachdenken: Wäre ein Entrümpelungsdienst was? Verscherble ich alles auf dem Flohmarkt? Oder Sie tragen in den Kalender einen Entrümpelungstag ein.
Wissen Sie, was Sie eben gemacht haben? Sie haben Bänke aufgestellt auf dem Weg zum Gipfel. Die Arbeit in akzeptable Portionen eingeteilt. "Je anspruchsvoller die Ziele sind, desto vernünftiger muss man sie organisieren", sagt Diplompsychologe Hans-Werner Rückert. Jetzt noch die Belohnungen in den Rucksack packen. Was hätten Sie gern? Einen Milchkaffee, eine Tüte Gummibärchen, eine Zeitschrift? Dazu Stift, Papier und ein kleines leeres Buch. Um bei der Seminararbeit zu bleiben: Planen Sie Lesezeit und Pausen, und tragen Sie sie wie in einen Stundenplan ein. Keine Panik, Sie müssen nicht das ganze Vorhaben durchplanen - der erste Abschnitt (zum Beispiel Literatur durchsehen) genügt schon. Und für Perfektionisten und Planer gilt: Bitte nicht verzetteln!
Ihre Meinung zählt
Auch die Politik leidet an Aufschieberitis - wo müssen Reformen ansetzen? Wie soll sich das Land weiterentwicklen? Die große Online-Umfrage Perspektive-Deutschland 2004 will den Entscheidern in Politik und Wirtschaft die Meinung sagen - auch Ihre. Machen Sie mit, füllen Sie den Fragebogen aus. Mehr zur Umfrage erfahren Sie hier.
Legen Sie einen Anfang fest - das kann eine Uhrzeit sein, ein Zeitpunkt (zum Beispiel nach der Wettervorhersage), ein Zufallsmoment: wenn das zweite rote Auto vorbeigefahren ist. Eine kleine Vorab-Belohnung gefällig - vielleicht fünf Minuten im Internet surfen. Wichtig ist nur: Halten Sie den Zeitpunkt unbedingt ein! Fangen Sie endlich an! Und machen Sie lieber Ihre Sache nur zu 80 Prozent gut als zu 100 Prozent gar nicht. Lesen Sie eine Stunde, dann belohnen Sie sich, mit einem Telefonat zum Beispiel. Dann lesen Sie wieder. Ach, Sie wollten gerade den Müll wegbringen? Den Herd putzen? Nichts da! Solche Störenfriede, die Sie vom Weg abbringen, werden ins Buch gepackt: Notieren Sie, was auch noch erledigt werden will.
Wer kein bestimmtes Projekt vor sich herschiebt, sondern eine große grundsätzliche Veränderung (endlich Joggen anfangen, sich gesünder ernähren, lesen statt glotzen), für den gilt: bitte nur eine Sache zur selben Zeit. Mit kleinen Portionen anfangen, sich langsam steigern, mit Gleichgesinnten zusammentun.
Wie der Bergsteiger Wanderstöcke oder Karten einpackt, sind auch Ihnen Hilfsmittel erlaubt.
Hilfsmittel Nr. 1: Zeitmanagement-Wissen
Legen Sie fest, welche Stunden Sie für Freizeit reservieren. Planen Sie in Ihre Woche Zeit für Arbeit und Genuss - nicht mehr als 20 Stunden Arbeit pro Woche, nicht mehr als fünf Stunden für Arbeit pro Tag, zum Beispiel. Planen Sie Pufferzeiten ein, einen freien Tag in der Woche. Setzen Sie Prioritäten: das Wichtigste zuerst. Und zwar das für Sie und Ihre Ziele Wichtigste zuerst. Schätzen Sie die Zeit, die Ihr Vorhaben dauern wird, und verdoppeln Sie dann diese Zeitspanne.
Hilfsmittel Nr. 2: Organisationshilfen
Ein vernünftiges Ablagesystem, täglich gleich hohe Erledigungsstapel, hübsche Ordner, Schnellhefter, große Kalender oder Tafeln, die nicht nur anzeigen, was noch zu tun ist, sondern auch, was bereits abgestrichen ist. Dazu: Biorhythmus und eigene Hoch-Zeiten berücksichtigen. Neu hereinkommende Aufgaben gleich zuordnen, in den Plan eintragen und deren Priorität festlegen, delegieren lernen - in den Copy-Shop können auch Freunde, das Manuskript layouten auch Profis, einkaufen kann man via Internet.
Hilfsmittel Nr. 3: Tricks
Wer sich nicht zum Anfangen aufraffen kann, stelle sich vor, er hätte nur diesen einen Tag, diese zwei, drei Stunden, um das zu erledigen, was ganz oben auf der Liste steht: Weil er dann in Urlaub geht, weil dann Besuch kommt. Wenn der Abgabetermin der 15. Juli ist, setzt man sich einen Vortermin: den 1. Juli zum Beispiel. Auf einmal ist gar nicht mehr viel Zeit für die Seminararbeit. Wie Sie am Ende eines Ausflugs über das Erlebte nachdenken, sollten Sie sich auch am Ende jeder Ihrer Tagesetappen vor Augen führen, was Sie geleistet haben: Zufrieden?