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GENERATIONENKONFLIKT Alte Schule kommt: In der Krise hat Erfahrung Konjunktur

Erfahrung und Handlungswissen sind die Stärken der »Alten«. Das schätzen immer mehr Chefs: »Der pauschale Jugendwahn - jung ist besser als alt - ist vorbei«.

Der Rausch der jungen Wilden scheint mit einem Kater zu enden - Alter und Erfahrung sind wieder mächtig im Kommen. »Der pauschale Jugendwahn - jung ist besser als alt - ist vorbei«, sagt der Geschäftsführer bei der Beratungsgesellschaft Kienbaum, Walter Jochmann. Auch in Politik, Medien, Musik und Werbung sind gegenwärtig Routiniers gefragt.

»Keine Experimente«

Experten sehen in markanten Beispielen Zeichen eine Trendwende. »Keine Experimente« scheint die Devise zu sein: Lothar Späth (64) wird als Wirtschaftsexperte in das so genannte Kompetenzteam der Konservativen bestellt, Frank Elstner (60) übernimmt »Verstehen Sie Spaß« und Rock-Oldies wie die Rolling-Stones gehen unverwüstlich auf Tour. »Im Zweifel setzt man in den Medien mehr auf das Bewährte«, sagt der Hamburger Medienanalyst Bernd-Jürgen Martini. »Die Zeiten haben sich geändert. Das ist so eine mentale Haltung, die aus der Unsicherheit kommt.«

Ältere im Trend

Mancher Führungswechsel wie bei der Telekom von Ron Sommer (53) zu Helmut Sihler (72) wird von manchen zwar noch belächelt. Aber besonders die prominenten Wechsel in der krisengebeutelten Wirtschaft haben Signalwirkung. »Dem Trend, Ältere nach vorne zu bringen, gibt das neue Geschwindigkeit«, glaubt der Chef der Düsseldorfer Werbeagentur Grey, Bernd Michael. Auch in der Fläche setzt sich die Tendenz bereits durch. »Es gibt mehr ältere Manager, die Akzeptanz, sie einzustellen, ist gestiegen«, weiss Kienbaum-Chef Jochmann.

Erfahrung und Wissen

Drei Hauptgründe kann Jochmann ausmachen. In einer wirtschaftlich extrem schwierigen Phase zählten Erfahrung und Handlungswissen. »Es ist einfach riskant, nur mit Lehrbuch und Abstraktion erfolgreich zu arbeiten.« Zudem bräuchten die Unternehmen zur Zeit schnelle Erfolge - ohne lange Einarbeitungszeit. Außerdem seien die Menschen länger fit und leistungsfähiger. Schließlich der Hintergrund: Die Bevölkerungspyramide verschiebt sich, die Deutschen werden immer älter.

Zahl der Alten nimmt zu

Die Zahl der Menschen im Alter von 60 Jahren und darüber wird dem vierten Altenbericht des Bundesfamilienministeriums zufolge in den nächsten fünf Jahrzehnten von gegenwärtig rund 19 Millionen auf etwa 25 Millionen steigen. Weil die Gesamtzahl der Deutschen gleichzeitig sinkt, wären dann rund 36 Prozent der Bevölkerung 60 Jahre und älter. Die Ursachen: längere Lebensdauer und Geburtenrückgänge.

»Megatrend Reife«

»So eine dramatische Entwicklung kann gar nicht ohne Auswirkung auf das Wertesystem bleiben«, sagt Sozialpsychologe Andreas Giger. Er hat für das Zukunftsinstitut in Kelkheim die Studie »Megatrend Reife« verfasst. Zu den reifen Werten, die zur Zeit gefragt sind, gehörten etwa Souveränität, Gelassenheit und die Erfahrung, was geht.

Besseres Image

Auch bei Jugendlichen hat ein Wandel im Verhältnis zur älteren Generation begonnen. Das jüngst eingestellte »Jetzt«-Magazin der Süddeutschen Zeitung hat dem mit der Rubrik »Lernen von den Alten« Rechnung getragen. Der Erziehungswissenschaftler Jürgen Zinnecker von der Universität Siegen hat festgestellt, dass das Verhältnis junger Menschen zu ihren Großeltern enger wird - nicht zuletzt, weil diese länger leben. »Das Image der Älteren lässt allgemein noch zu wünschen übrig, aber zu den bekannten in der Familie ist die Beziehung sehr eng und herzlich.«

»Generation Selbstbewusst«

Auf dem Weg von der Minderheit zur Mehrheit verändern sich auch die älteren Menschen, die zudem durch ihre eigenen Lebenswege andere Voraussetzungen mitbringen als die heute 80-Jährigen. »Die ältere Generation tritt selbstbewusster auf«, findet Grey-Chef Michael. Etwa indem sie an Plätze gehe, wo sich auch Jugendliche aufhalten oder indem sie Reisen und Entertainment wahrnehme, die nicht speziell auf Senioren zugeschnitten sind. »Das ist ein gewisser langsamer Wandel seit Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, dass Alte in den Mittelpunkt der Gesellschaft drängen.«

Peinliche oder cool?

Alt wirken wollen die Senioren dabei allerdings nicht: Mit 65 wollten sie aussehen wie mit 45, sagt Michael. Alt sein sei immer noch negativ besetzt (»Du bist doch schon so alt«). Aber man finde eben den 55-Jährigen, der Motorrad fährt und auf Konzerte geht, wo auch 25-Jährige hingehen. »Das versuchen wir, in der Werbung zu reflektieren, wo es unpeinlich ist«, sagt Michael. »Die 75-jährige Omi auf dem Motorrad ist peinlich, das ist ein falsches Klischee.« Allerdings, fügt er hinzu: »Die Grenze dessen, was unpeinlich ist, verschiebt sich.«

»Ältere sind spannend«

Beim Hamburger Club »New Generation« erfüllen sich rund 2500 Mitglieder im Durchschnittsalter von etwa 65 Jahren ihre eigene Vorstellung vom Leben in diesem Alter. Demnächst veranstalten sie etwa ein Wochenendseminar zum Thema »Wer hat eigentlich das Sagen in unserem Land?«. Der 70-jährige Herbert Willers, Präsidiumsmitglied bei »New Generation«, erzählt von seinem Studium an der Universität Hamburg im Jahr 2000. In einem Seminar zum Thema »Wie werden wir in der Zukunft kommunizieren?« habe ein älterer Kommilitone gefragt:

»Warum hört man so wenig von den Jungen in der Diskussion?« Die Antwort: »Weil es so spannend ist, den älteren zuzuhören.«

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