Eigentlich hat der Bereichsleiter Horst F. Grund zur Freude: Die Führungsebene signalisiert seine Berufung in den Vorstand. F., in der Firma fachlich sehr anerkannt, genießt auch im höchsten Gremium besonderen Respekt - am geschäftlichen Erfolg des Unternehmens, das innerhalb von fünf Jahren seine Umsätze verdoppeln konnte, war F. nachweislich beteiligt.
Als der Bereichsleiter an einem Montag ins Unternehmen kommt, sind die Kollegen auffallend kurz angebunden, meiden die üblichen Smalltalks. F. denkt sich zunächst nichts dabei - doch auch seine Assistentin geht ihm aus dem Weg. Als erfahrene Führungskraft spricht er seine Mitarbeiterin direkt auf ihr auffälliges Verhalten an. Sie reagiert ausweichend, verweist auf die viele Arbeit. Als F. zu einem Termin mit dem Vorstand gerufen wird, eröffnet der Vorstandsvorsitzende das Gespräch mit dem Hinweis, dass in der Firma das Gerücht kursiere, er habe Frauen sexuell belästigt. F. ist geschockt und weiß nicht, wie er reagieren soll. Seine Karriere, sein möglicher Aufstieg in die Vorstandsebene, scheinen mit einem Mal dahin. F. fühlt sich vernichtet. Wie gelähmt sitzt er später in seinem Arbeitszimmer und weiß nicht, an wen er sich wenden soll.
Stichwort: Rufmord, Thema: Mobbing
Kompromittierende Gerüchte können betroffenen Arbeitnehmern wie Horst F. beruflich das Genick brechen - dabei ist Rufmord nur eine Facette des sogenannten Mobbings, das wörtlich übersetzt ganz harmlos »anpöbeln« bedeutet. Doch Mobbing am Arbeitsplatz ist mehr als schlechtes Betriebsklima, schlimmer als gelegentlich ungerechte Vorgesetzte, belastender als der übliche »Büroklatsch«. Mobbing ist massiver Psychoterror, den kleine Gruppen von Beschäftigten meist gegen Einzelne ausüben. Mobbing verläuft wie ein Prozess, der den Betroffenen in den fortgeschrittenen Stadien kaum eine Chance lässt, sich ohne fremde Hilfe aus dem Teufelskreis zu befreien. In besonders schweren Fällen kann der Psychoterror Krankheiten auslösen oder das Opfer sogar in den Selbstmord treiben.
Immer noch ein Tabu: Mobbing in der Chefetage
In den letzten Jahren ist das ernste, früher totgeschwiegene Thema stärker in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Viele Unternehmen bieten ihren schikanierten Mitarbeitern inzwischen Hilfe an: Betriebsräte oder firmeneigene Psychologen stehen für die Mobbingopfer bereit. Aber sämtliche Unternehmensebenen erreichen die Hilfestellungen derzeit nicht. »In den Führungsetagen wird das Thema Mobbing immer noch tabuisiert«, berichtet Dr. Norbert Copray. Der Gründer und Direktor der Frankfurter »Fairness Stiftung« möchte mit seiner Organisation speziell dieser Opfergruppe weiterhelfen.
Die Stiftung wendet sich ausdrücklich auch an Führungskräfte wie den Bereichsleiter Horst F., denen die Öffentlichkeit die Opferrolle meist nicht abnimmt. Dabei trifft das Mobbing hierarchisch hochstehende Mitarbeiter meist besonders hart: »Führungskräfte werden in hohem Maße Zielscheibe unfairer Attacken, haben aber nicht die Möglichkeit, etwa zu einem Betriebsrat zu gehen«, erklärt Copray. »Das verbietet oft schon das verinnerlichte Bild davon, welchen Spielraum eine Führungskraft in solchen Situationen hat oder nicht hat.« Dazu komme außerdem, dass der Ruin einer Führungskraft oftmals nicht die Person, sondern ihre Stellung oder gar die Organisation selbst treffen soll. »Daher müssen unfaire Attacken gegen Menschen, die sich durch Verantwortungsübernahme exponiert haben, anders betrachtet und behandelt werden, als dies in der Regel bei Mobbing der Fall ist.«
»Fairness Stiftung«: kostenlose, anonyme Hilfe
Copray scheint mit seinem Anliegen den Nerv getroffen zu haben: Die Leitungen seiner im Oktober 2000 gegründeten »Fairness Stiftung«, bei der sich gemobbte Führungskräfte anonym und kostenlos beraten lassen können, stehen kaum still. Jeden Monat fallen etwa 100 Beratungen an, die meisten per Telefon oder Email. Ihren Rat bekommen die Hilfesuchenden von Fachleuten: Die meisten Experten der Stiftung sind ehrenamtliche Mitarbeiter, die selbst über Erfahrung als Personalentwickler, Manager oder Betriebsräte verfügen. Sie vermitteln Anwälte und Ärzte oder geben Ratschläge zum Umbau der Unternehmensstruktur. Finanziert wird die Stiftung über Sponsorengelder.
Bis zu 500.000 Führungskräfte betroffen
Der rege Zulauf lässt ahnen, wie viele Führungskräfte in Deutschland vom Mobbing betroffen sind. Genaue Zahlen kann Norbert Copray nicht nennen, doch seine Schätzungen erschrecken: »Wenn wir sowohl angestellte wie selbständige und ehrenamtliche Führungskräfte einbeziehen, können wir von mindestens einer halben Million Betroffenen ausgehen - pro Jahr.«
Merlind Theile