Urteil zu Hartz IV Freut euch nicht zu früh!

  • von Roman Heflik
Karlsruhe hat entschieden: Die Hartz-IV-Regelsätze sind verfassungswidrig. Leistungsempfänger sollten sich dennoch keine großen Hoffnungen machen: An der Höhe der Sätze rütteln die Richter nicht.

Fraglos. Für das deutsche Sozialrecht und für Millionen Langzeitarbeitslose ist es die wichtigste Entscheidung seit Jahren, die Hans-Jürgen Papier, der Präsident des Bundesverfassungsgericht, am Mittwochvormittag verkündet hat: Die Hartz-IV-Sätze für Erwachsene und Kinder sind nicht verfassungsgemäß. Sie könnten nicht das Existenzminimum gewährleisten, auf das jeder Mensch in der Bundesrepublik einen Anspruch hat.

Die Verfassungsrichter halten die Berechnungsmethoden für undurchsichtig - und deshalb für unzulässig. Genau dieser Antwortteil war von den meisten Beobachtern auch erwartet worden. Zu offensichtlich war es, dass der Gesetzgeber den Bedarf vor allem von Kindern nur grob über den Daumen gepeilt hatte.

Papiers Anmerkungen waren Ohrfeigen für die Macher des Hartz-Regelwerks. Die Berechnungsweise der staatlichen Stütze müsse transparent sein, verlangte er streng, es dürfe dabei "keine Schätzungen ins Blaue hinein" geben. An anderer Stelle rügte der Verfassungsrichter den "völligen Ermittlungsausfall" des Gesetzgebers beim Bedarf für Kinder. Die Meinung des Gerichts zu den Hartz-Berechnungen könnte man auch in einem Wort zusammenfassen: Das ist Pfusch.

Kein Wort zur Höhe der Sätze

Hätten alle 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfänger die Urteilsverkündung im Fernsehen gesehen, sie hätten wohl zuerst die Arme hoch gerissen und gejubelt. Denn die meisten von ihnen müssen nicht nur mit wenig Geld auskommen und den ständigen Mangel managen, sie müssen auch ihre Ansprüche in einem ständigen Ringen mit den Behörden durchsetzen. Würde man sie fragen, würden wohl fast alle Hartz IV als ungerecht bezeichnen. Und mit dieser Meinung stehen sie nicht alleine: Auch eine Mehrheit der Deutschen glaubt, dass Hartz IV zu niedrig bemessen ist.

Aber glauben die Richter tatsächlich, dass die Sozialleistungen nicht nur stümperhaft berechnet, sondern auch in der Höhe ungerecht sind? Mitnichten. Denn an der Höhe der Regelsätze rütteln die Richter in ihrem Urteil ausdrücklich nicht. Im Gegenteil. "Die geltenden Regelleistungen können zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht als evident unzureichend angesehen werden", heißt es in der Urteilsbegründung. Mit anderen Worten: Grob gerechnet reicht Hartz IV erstmal zum Leben.

Viel genauer wollen die Richter sich auch gar nicht einmischen: Die exakte Höhe solcher Leistungen zu berechnen, sei auch nicht ihre Aufgabe. Der Gesetzgeber habe durchaus einen Gestaltungsspielraum, "da das Grundgesetz selbst keine exakte Bezifferung des Anspruchs erlaubt". Spätestens an dieser Stelle hätten die Hartz-IV-Betroffenen ihre hochgerissenen Arme wieder sinken lassen müssen. Denn eines bedeutet das Urteil genau nicht: Einen zwangsläufigen Aufschlag bei den Regelsätzen.

Schwarz-Gelb kann sich Großzügigkeit nicht leisten

Denn dass die schwarz-gelbe Koalition in Berlin allen Betroffenen einen großzügigen Hartz-Nachschlag auftischt, obwohl Karlsruhe sie dazu gar nicht verpflichtet hat, darf bezweifelt werden. Lediglich bei den Sozialleistungen für Kinder dürfte die Sache anders aussehen. Zwar haben sich auch hier die Richter vor einer eindeutige Bezifferung eines Existenzminimums gedrückt. Doch beschreiben sie mehrere Einzelposten des kindlichen Bedarfs - darunter Schulbücher, Taschenrechner, Hefte - so detailliert, dass der Gesetzgeber nicht darum herum kommen wird, hier Geld in die Hand zu nehmen.

Was das Urteil im Detail für Hartz-IV-Familien bedeuten wird, ist in weiten Teilen noch unklar. Denn dem Staat bliebe eine weitere Möglichkeit: Statt den Leistungsempfängern einfach mehr Geld für Bildung und Schulmaterialien aufs Konto zu überweisen, könnte er Sachleistungen anbieten: Billige Kita-Plätze, kostenloses Schulmittagessen oder subventionierter Nachhilfeunterricht. Die finanzielle Lage der Sozialhilfe-Empfänger würde sich damit zunächst nicht verbessern - die Zukunftschancen ihres Nachwuchses dagegen schon.

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