Antje von Dewitz Vaude-Chefin zu Lieferketten: "Keine Verantwortung zu übernehmen ist ein falscher Protektionismus"

  • von Marieke Einbrodt
Vaude-Chefin Antje von Dewitz
Vaude-Chefin Antje von Dewitz fordert, dass Deutschland auf EU-Ebene dem Lieferkettengesetz zustimmt
© dpa / Felix Kästle
Deutschlands Blockadehaltung beim Lieferkettengesetz ist falsch, findet Antje von Dewitz, Chefin des Outdoor-Ausrüsters Vaude. Unternehmen dürften sich nicht wegducken.

Frau von Dewitz, die EU-Mitgliedsstaaten stimmen heute über die Lieferketten-Richtlinie ab. Deutschland wird sich wohl enthalten. Ist das richtig?
Nein. Deutschland sollte zustimmen. Ich würde mich freuen, wenn eine Zeitenwende eingeläutet und europaweit Verantwortung in den Lieferketten übernommen wird. In Deutschland gilt bereits seit dem Jahr 2021 ein nationales Lieferkettengesetz. In zwei Umfragen der damaligen Bundesregierung unter mehreren tausend Unternehmen kam heraus, dass sich nur ein kleiner Teil von ihnen überhaupt beim Thema Lieferketten engagiert. Man hört zwar oft, die deutschen Unternehmen übernehmen sowieso so viel Verantwortung, doch Studien zeigen etwas anderes. Es mangelt an der Selbstverpflichtung. Deshalb ist das Lieferkettengesetz der EU so sinnvoll und wichtig.

Das Lieferkettengesetz sieht für die Textilindustrie eine Berichtspflicht ab 250 Mitarbeitern vor. Vaude fällt in diesen Bereich. Was würde die EU-Richtlinie denn für Sie und Ihr Unternehmen konkret bedeuten?
Für uns würde es dadurch keine großen Änderungen geben, denn die in der Lieferketten-Richtlinie geforderten Maßnahmen setzen wir bei Vaude schon seit 15 Jahren um. Wir kontrollieren unsere weltweite Klimabilanz und arbeiten daran, unsere globalen Emissionen zu reduzieren. Das versuchen wir in unseren 45 Partnerbetrieben, die für uns produzieren, sowie unseren 150 Materiallieferanten sicherzustellen. Sie sind überwiegend  in Asien. 

Die neuen Regeln würden unsere Prozesse also nicht komplexer machen – wir haben bereits die Struktur dafür geschaffen. So sind wir zum Beispiel seit 2008 nach dem europäischen EMAS Umweltmanagementsystem zertifiziert, im Rahmen dessen wir eine jährliche Klimabilanzierung durchführen und unsere Emissionen am Standort immer weiter verringern. Außerdem arbeiten wir seit 2010 mit Fair Wear zusammen, einer unabhängigen internationalen Organisation, um die Arbeitsbedingungen in der weltweiten Textindustrie zu verbessern. 

Aber wäre es nicht einfacher, wenn Sie auf diese Berichtspflicht verzichten könnten? 
Es ist keine Lösung, auf Risikoanalysen zu verzichten oder nicht zu berichten, was man da tut. Nachhaltigkeitsmanagement ist eine professionelle Businessdisziplin. Unternehmen müssen ihre Risiken analysieren und Daten erheben, ob das jetzt Emissionen sind oder Qualitätsmängel. Ohne Berichtspflicht funktioniert kein professionelles Nachhaltigkeitsmanagement, sonst ist mein Geschäft ein Blindflug.

Durch das EU-Lieferkettengesetz würden Zulieferer aus dem außereuropäischen Ausland mit anderen Standards an EU-Maßstäben gemessen. Ist es okay, ihnen unsere europäischen Sozial- und Umweltstandards aufzuzwingen? 
Wirtschaftlich nüchtern betrachtet ist eine nachvollziehbare Lieferkette einfach ein Qualitätsaspekt des Produkts. Deutsche Kunden möchten sichergehen, dass Produkte fair und ökologisch hergestellt werden. Wenn Lieferanten ihre Prozesse nicht transparent machen wollen, müssen sie ja nicht liefern. Aber faire Produktionsbedingungen sind schlichtweg weitere Qualitätsanforderungen, die erfüllt werden müssen, und zwar in einem modernen Verständnis. Die Forderung, gewisse Standards einzuhalten, bezieht sich nicht nur auf ein Produkt selbst, sondern auch auf die Art und Weise, wie es hergestellt wird und welche Auswirkungen das hat.

Standards können sich allerdings unterscheiden.
Von der Wirtschaft wird zunehmend erwartet, globale Probleme zu lösen. Vor dieser Aufgabe können sich Unternehmen nicht wegducken. Keine Verantwortung zu übernehmen ist ein falscher Protektionismus. Deshalb ist das EU-Lieferkettengesetz eine riesige Chance für Deutschland und die EU, sich zukunftsstark aufzustellen und zu zeigen, dass Menschenrechte und Umweltschutz mit Wirtschaft vereinbar sind. 

Aber manche Unternehmen sehen das anders. Sie warnen davor, dass ihnen dadurch Lieferketten wegbrechen könnten.
Wenn es bekannt wird, dass bei einem Unternehmen Zwangsarbeit oder Kinderarbeit in der Produktion vorkommen, ist der Imageschaden riesig. Deshalb muss ich als Unternehmen ein Interesse daran haben und wissen, wo ich etwas produzieren lasse und wie. Ganz abgesehen davon, dass sicher kein Unternehmen seine Produkte unter Verletzung der Menschenrechte herstellen möchte.

Viele Firmen fürchten auch zusätzliche Bürokratie.
Risikoanalyse ist kein Hexenwerk. Da muss man ein Management-System aufbauen und bei Verstößen, die auffallen, Ableitungen treffen und Lösungen suchen. Wo die Risiken am höchsten sind, müssen Unternehmen handeln und Vorkehrungen treffen. Ich habe das Gefühl, der Diskussion fehlt der Blick in die Praxis, wie so etwas funktioniert. Da werden mehr Probleme herbeigeredet und Bürokratie herbeigezaubert, als tatsächlich entstehen würde. Die Sorgen sind zum Teil echt übertrieben.

Was ist mit dem Argument der Haftungsklausel, das die FDP um Christian Lindner gegen das Eu-Lieferkettengesetz vorbringt?
Das ist ähnlich wie mit der Warnung vor zu viel Bürokratie – ein pauschales Gegenargument. Haftung ist sinnvoll, denn ohne sie können sich Unternehmen aus der Verantwortung stehlen und inhaltliche Arbeit vermeiden. Außerdem haften Unternehmen nicht für Vorkommnisse, wenn sie nachweisen können, dass sie sich bemüht haben, Risiken zu vermeiden. Daher ist es notwendig, ein ordentliches und professionelles Management-System zur Qualitätssicherung aufzubauen. 

Interessieren sich Kunden Ihrer Erfahrung nach wirklich so sehr für die Lieferketten und richten danach ihre Käufe aus?
Als wir bei Vaude vor 15 Jahren angefangen haben, nachhaltige Outdoor-Produkte zu entwickeln und zu vertreiben, wurden unsere Bemühungen begrüßt. Aber es wurde uns auch zurückgespiegelt, dass kein Kunde danach fragt. Nachhaltiges und faires Produzieren durfte auf keinen Fall mehr kosten. Über diesen Punkt sind wir längst hinaus. Kunden haben mittlerweile viel mehr Interesse daran, wo ihr Produkt herkommt und wie es entsteht. Selbst wenn das Lieferkettengesetz nicht kommen sollte, ist durch die breite Debatte vielen Kundinnen und Kunden klar geworden, was in Lieferketten alles schief gehen kann. Je mehr Unternehmen sich für faire Lieferketten engagieren, desto mehr steigert das auch die Erwartungshaltung der Kundschaft. Prinzipiell gehen Kundinnen und Kunden bereits jetzt beim Kauf eines Markenprodukts davon aus, dass dieses ökologisch und fair hergestellt ist. Und dann ist das Entsetzen groß, wenn sie feststellen, dass dem gar nicht immer so ist.

Was aber, wenn keine EU-Lieferketten-Richtlinie kommt – können Firmen das selbst?
Dann müssen noch mehr Unternehmen das eigenständig angehen. Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen, mag erstmal wie ein Wettbewerbsnachteil wirken, weil Prozesse aufwendiger und teurer werden. Aber das ist ja nur ein erster, etwas dramatischer Blick. Auf lange Sicht lohnt es sich, da Unternehmen die Erwartungen der Konsumentinnen  und Konsumenten erfüllen und damit ihre Zukunftsrelevanz sichern. Außerdem macht es Unternehmen nach unseren Erfahrungen innovativer und erfolgreicher.

Dieser Artikel erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Capital", das wie der stern Teil von RTL Deutschland ist.

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