Neustart Deutschland "Wir müssen das globale Sparschwein anzapfen": Warum Ökonom Schularick massive Verschuldung empfiehlt

Moritz Schularick ist Ökonomie-Professor an der Universität Bonn und Direktor des dortigen MacroFinance Lab.
Moritz Schularick ist Ökonomie-Professor an der Universität Bonn und Direktor des dortigen MacroFinance Lab.
© Julia Sellmann
Im Wahlkampf poppt das Thema Schulden immer wieder hoch – denn der deutsche Staat hat sich in der Pandemie nicht nur mit dreistelligen Milliardensummen verschuldet. Er muss auch künftig kräftig investieren, vor allem in den Klimaschutz. Aber wie das Ganze finanzieren?

Der Bonner Ökonom Moritz Schularick rät, sich zu verschulden – und nicht die Steuern zu erhöhen. "Es wird so viel Geld auf der Welt gespart, viele Investoren möchten es dem deutschen Staat quasi umsonst geben. Wir müssen das globale Sparschwein nur anzapfen", sagt Schularick im Podcast "Die Stunde Null", der in dieser Woche im Rahmen der stern-Aktion "Neustart Deutschland" läuft.

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Man solle mit den "Kulturkämpfen" etwa um die schwarze Null aufhören, sagt Schularick. "Wichtig ist jetzt, um es mal mit Helmut Kohl zu sagen, was hinten rauskommt – wir müssen mehr investieren. Ob wir das mit Nebenhaushalten machen oder die Schuldenbremse aussetzen, ist zweitrangig. Wenn Investitionen den nächsten Generationen zugutekommen, ist das Geld gut angelegt. Steuern zu erhöhen wäre volkswirtschaftlich gesehen Unfug." 

Schularick, der in den USA, Frankreich und Großbritannien geforscht und unterrichtet hat, gehört zu einer neuen Generation von Ökonomen, die mit ihren Studien – zu Finanzkrisen oder den Immobilienmärkten – bekannt geworden sind. Schularick hat auch in der Pandemie die Regierung beraten.

Der Staat ist überfordert

In seinem neuen Buch "Der entzauberte Staat" geht er kritisch mit dem Corona-Krisenmanagement ins Gericht. Der Staat habe in der Pandemie große Schwächen offenbart. "Es ging nicht nur um einzelne falsche Entscheidungen, sondern um Muster: Der Staat war organisatorisch und auch intellektuell überfordert", sagt Schularick. Deshalb müsse man die Rolle des Staates neu denken. "Wir brauchen einen proaktiven Staat, das sehen wir auch gerade in der Flutkatastrophe – einen Staat, der nicht nur auf Krisen reagiert, sondern vorausschauend plant und ein wichtiger Player ist." 

Schularick fragt in seinem Buch ganz provokant: "Wie soll ein Staat, der es nicht schafft, Lüfter in die Klassenzimmer seiner Schulen einzubauen, den komplexen ökologischen Umbau der Wirtschaft steuern?"  Drei Bereiche sind aus Schularicks Sicht zentral: "Erstens geht es tatsächlich einfach um Ausrüstung. Computer, Software, Personal in Behörden, wir müssen Gesundheitsämter vernetzen – da müssen wir viel Geld investieren", sagt der Bonner Ökonom. Zweitens gehe es um die bessere Vernetzung von Wissenschaft und Politik. Wissenschaftler müssten "den Elfenbeinturm verlassen und uns mehr auf das Schlachtfeld der Politik wagen". Vorbild seien die USA, "wo die klügsten Köpfe und Strategen von Universitäten auch mal ins Weiße Haus wechseln und den Präsidenten beraten."

Und es ginge um einen Mentalitätswandel: "Der Staat und die Gesellschaft insgesamt sind zu verzagt, wenn es darum geht, Risiken einzugehen, pragmatisch zu sein, auch mal unkonventionell vorzugehen und Regeln zu brechen, wenn es wichtig ist", so Schularick. "Nehmen wir die Frage, ob wir Jugendliche ab zwölf Jahren impfen. Es gibt Argumente, die dafür und welche, die dagegen sprechen. Seit Monaten wird diskutiert. Warum wägt niemand ab und entscheidet?

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