Die Anbauflächen gingen von 50.000 Hektar auf offiziell 12.000 Hektar zurück. Das ist der Rest, auf dem Koka für den Gebrauch als Tee und zum Kauen angebaut werden darf. Dem bettelarmen Land entstanden durch den Wegfall der Drogengeschäfte in der Region Chapare Verluste von schätzungsweise bis zu 800 Millionen Euro pro Jahr und damit fast zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes. »Das wäre so, als ob in Deutschland die Autoindustrie verschwunden wäre«, sagt der deutschstämmige Unternehmer Peter Bauer.
Keine legale Pflanze kann konkurrieren
Kenner des Chapare am Rande des Amazonasbeckens schätzen die illegalen Anbauflächen inzwischen jedoch wieder auf 5.000 Hektar - im Urwald versteckt. Viele Menschen können ohne den Nebenverdienst kaum überleben, berichten Entwicklungshelfer. »Außerdem kann keine legale Pflanze mit den Koka-Erträgen konkurrieren«, ergänzt der Politologe Felipe Manzilla. Gegen diesen Trend versucht die Europäische Union (EU) mit dem Kooperationsprogramm Praedac den Kleinbauern im Chapare zu helfen. Mit 19 Millionen Euro, verteilt über sechs Jahre und unter Leitung des Deutschen Rüdiger Gumz, soll beim Umstieg von Koka auf den Anbau von Bananen, Palmherzen, Maracuja oder auch beim Aufbau einer Hühnerzucht geholfen werden.
Unfassbare wirtschaftliche Misere
Den Koka-Bauern ist das Hemd aber näher als der Rock, warnt Georg Krekeler, Berater von Miserior in Bolivien. Die Folgen der Drogenabhängigkeit in den Konsumenten-Ländern ist ihnen gleichgültig. »Euch ist doch auch völlig schnurz, dass ich hier mit meinen Kindern wie eine Ratte lebe«, laute die verständliche Antwort der Bauern. Das Durchschnittsgehalt liegt bei nur noch etwa 70 Euro monatlich, und die Arbeitslosigkeit beträgt schätzungsweise 20 Prozent. Das Haushaltsdefizit entspricht 6,5 Prozent des BIP, und die Wirtschaft wächst selbst nach offiziellen Angaben langsamer als die Bevölkerung. Die Folgen für die ärmsten der Armen sind erschütternd. »Bei uns sind 70 Prozent aller Kinder unterernährt«, sagt Pfarrer Esperandio Ravasio in dem Ort Villa Tunari im Chapare.
Nach Angaben des regionalen Beauftragten für Menschenrechte, Godofredo Reinicke Bordaz, hat die US-Botschaft in La Paz 1.500 frühere bolivianische Soldaten angeheuert, die mit M-16 Sturmgewehren bewaffnet als Blockadebrecher gegen die Koka-Bauern eingesetzt werden. Zu Jahresbeginn gab es bei Straßenblockaden der so genannten Cocaleros acht Tote und zahlreiche Verletzte. »Nach der Wahl wird es wieder zu Gewalt kommen«, befürchtet der Pfarrer.
Kampf wirkt halbherzig
Der Kampf der USA gegen die Koka erscheint in Bolivien so halbherzig wie in Kolumbien. Kokafelder werden zerstört, aber den Bauern keine echte Alternative geboten. Selbst in diplomatischen Kreisen befreundeter Staaten ist die Beteiligung von Agenten der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA in den Kokainschmuggel kein Geheimnis. Niemand scheint gegen die Verlockung der Dollar-Millionen gefeit. »Alle leben gut mit dieser Doppelmoral: Offiziell werden die Drogen bekämpft und faktisch wird an ihnen verdient«, sagt Manzilla.
Hilfe statt Vernichtung
Der Deutsche Gumz achtet streng darauf, seine Arbeit aus dem Drogenproblem herauszuhalten: »Wir haben damit nichts zu tun und auch gar kein Mandat dafür«. Die EU-Arbeit ist bei den Bolivianern beliebter, als die Bemühungen der Amerikaner. »Unsere Hilfe ist eben nicht von der Vernichtung der Kokafelder abhängig«, sagt ein Mitarbeiter von Gumz. Das könnte höchstens Folge erfolgreicher Entwicklungsarbeit sein, fügt der Agraringenieur hinzu.
Jan-Uwe-Ronneburger