Das Börsenjahr 2000 endet in der Depression: Im Gefolge der angeschlagenen Stimmung in den USA fiel der Deutsche Aktienindex (DAX) auf ein neues Jahrestief unter 6.250 Punkten. Am Neuen Markt wurden bei einem Kurssturz des NEMAX 50 bis auf fast 2.760 Zähler gar Panikverkäufe ausgemacht. In Anspielung auf die aktuelle BSE-Krise sagte ein Händler: »Das erinnert eher an einen Schlachthof als an das altehrwürdig Börsenparkett.«
Die Prognosen der Banker
Ungeachtet geplatzter Illusionen machen die Banken aber bereits wieder in Hoffnung. Der Branchenführer Deutsche Bank sieht den DAX Ende 2001 schon wieder in luftigen Höhen: 8.200 bis 8.700 lautet die Prognose des größten europäischen Vermögenverwalters. Die Commerzbank liegt mit 8.100 Punkten nur leicht darunter und die DG Bank befindet sich mit 8.500 Punkten in bester Gesellschaft. Doch Vorsicht ist angebracht. Gerade erst das auslaufende Jahr brachte auch das »Ende der Börsengurus«.
Ende 1999 hatte der DAX nach turbulenter Berg- und Talfahrt auf einem völlig unerwarteten Jahreshoch von 6.958,14 geschlossen. Der Anstieg von 39 Prozent in extrem dünne Höhenluft ließ die professionellen Prognostiker vorsichtig werden. »Seitwärtsbewegung« und »«llenfalls 7.000 Punkte» (Commerzbank) lauteten die Vorhersagen - verbunden mit der Mahnung vor Dämpfern zum Jahresauftakt. Alles falsch, wie sich bald zeigte.
Neues Schlagwort 'New Economy'
Gewinneuphorie ohne Realitätsbezug, das Schlagwort »New Economy«, der kaum zu bremsende Boom in den USA sowie die Hoffnung auf enorme Produktivitätssprünge durch massenhafte Internetanwendung führten zu »überzogenen Erwartungen«, resümiert heute die Deutsche Bank. Nach der Januar-Rallye an der Wall Street schoss der DAX in Frankfurt Anfang März durch die Decke von 8.000 Punkten. Mit 8.136,16 wurde das Jahreshoch markiert.
Das Aktienfieber grassierte in Deutschland. Selbst kleine Sparkassen organisierten Börsenclubs, um an der neuen Kundschaft zu verdienen. Schwergewichte wie Siemens, Telekom oder Allianz waren nicht mehr gut genug; den ganz großen Gewinn versprachen Zockerpapiere am Neuen Markt. Das Geldverdienen ohne Arbeit schien ein neues Zeitalter einzuläuten. Träume, die an der Realität zerplatzten. »Im Sturmgebraus verstummen die Schönwettersegler«, titelte die FAZ.
Der Boom war zu Ende
Die europäische und die amerikanische Notenbank trieben die Zinsen stetig höher, um die wachsenden Inflationsgefahren einzudämmen. Die Fed in New York trat auf die Konjunkturbremse und die EZB musste nachziehen. Der Zinsabstand zu den USA durfte nicht wachsen, weil ohnehin riesige Kapitalströme nach Amerika den Euro massiv unter Druck brachten. Explosionsartig wachsende Ölpreise dämpften schließlich allzu optimistische Konjunkturhoffnungen.
Hiobsbotschaften aus Argentinien und der Türkei verbunden mit der hartnäckigen Flaute in Japan ließen sogar Erinnerung an die Krise 1997/98 aufkommen. Schließlich kippte der US-Boom rascher als erwartet. Gewinnprognosen mussten deutlich nach unten korrigiert werden. General Motors, Ford oder Gillette sowie andere Weltkonzerne wie DaimlerChrysler präsentierten Spar- und Entlassungspläne. Zunehmende Nervosität ließ die Börsenkurse immer stärker nach oben und unten flackern. Der Trend ging aber unaufhaltsam nach unten.
Der lange Abstieg
Von seinem Höhepunkt rutschte der DAX um fast ein Viertel in die Tiefe. Zumindest auf dem Papier wurden damit riesige Milliardenvermögen vernichtet. Besonders getroffen wurden hier zu Lande die Besitzer hoch geschätzter Vermögensanlagen. Telekom verloren binnen Jahresfrist rund 50 Prozent. DaimlerChrysler gerieten trotz Rekordverkäufe von Mercedes-Modellen auf die abschüssige Bahn. Enorme Verluste der US-Sparte Chrysler führten zu Kursverlusten von mehr als 40 Prozent. Der Hauptkonkurrent BMW hat dagegen sein Rover- Desaster weitgehend überwunden, entsprechend stieg der Kurs um 20 Prozent. Aber auch die Anteilseigner von Preussag (minus 30 Prozent) und Thyssen Krupp (minus 45 Prozent) verloren den ruhigen Schlaf.
Zum Jahreswechsel: Neues Spiel - Neues Glück
Doch zum Jahreswechsel wird in der Finanzwelt wieder mal die Parole ausgegeben: neues Spiel - neues Glück. Die Großbanken setzen in ihren Anlagenempfehlungen auf die guten Konjunkturprognosen für Europa. Steuersenkungen kurbelten den Konsum an und führten bei Unternehmen zu zweistelligem Gewinnwachstum, prognostiziert die Deutsche Bank.
»Die Lage ist besser als die Stimmung«, sekundiert die Commerzbank im benachbarten Hochhaus. Die Inflation sei fast überall unter Kontrolle, die Finanzpolitik grundsolide. Erstmals seit 1969 weise die Gruppe der OECD-Länder wieder Haushaltsüberschüsse aus. Darüber hinaus seien die Chancen der neuen Technologien noch längst nichtausgeschöpft. Schließlich werden den Schwellenländern mit vier bis fünf Prozent abermals höhere Wachstumsraten zugetraut als den Industrieländern.