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Schweizer Experte warnt vor Brexit Liebe Briten, wollt ihr wirklich die neue Schweiz werden?

Mit dem Brexit würde Großbritannien ein Nicht-EU-Staat mitten in Europa. Der Schweizer Wirtschaftsexperte Adriano Lucatelli erklärt, warum sich die Briten das lieber nicht antun sollten. Er weiß, wovon er spricht.

Allgemein wird von den Brexit-Befürwortern behauptet, dass das Königreich nach einem Austritt wirtschaftlich stärker und politisch sicherer würde. Das klingt verlockend und dürfte den Populisten im Königreich gefallen. Aber ist dem wirklich so? Und kann man der Bürokratie und den Vorschriften Brüssels so leicht aus dem Weg gehen? Die Erfahrungen der Schweiz mahnen zumindest zur Vorsicht.

Eines ist sicher: Nähme das Königreich die Ausfahrt "Brexit", so würde das lange und harte Verhandlungen nach sich ziehen. Zwar würde es nicht zu einem sofortigen Bruch mit der EU kommen, doch müsste das Verhältnis neu definiert werden.

Als Basis für ein neues Verhältnis zur EU nach dem Austritt könnte eine Zollunion à la Türkei dienen, die den zollfreien Zugang zum Binnenmarkt sichert. Der britische Finanzplatz wäre so zwar von der EU ausgeschlossen, würde aber vermutlich nicht allzu stark darunter leiden. Die Schweiz lebt jedenfalls ganz gut ohne direkten Zugang zum EU-Finanzmarkt. Das ändert aber nichts daran, dass die Türkei und Großbritannien ein komisches Zollunion-Paar abgeben würden.

Die Nachteile des Schweizer Wegs

Interessanter als die Zollunion wäre wohl der bilaterale "Schweizer Weg". Bei dieser Variante müsste Grossbritannien der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) beitreten und mit der EU zahlreiche bilaterale Abkommen aushandeln. Was sich einfach anhört, besteht in der Realität aber aus harter und zum Teil frustrierender Arbeit mit unsicherem Ausgang. Die Schweiz hat immerhin 17 Jahre für rund 100 bilaterale Abkommen gebraucht. Offen bleibt zudem, ob die EU die aktuellen EFTA-Privilegien unbesehen auch auf Großbritannien anwenden würde.

Man bedenke: Trotz größten Anstrengungen der Schweizer Diplomatie ist die Ausbeute der bilateralen Abkommen unbefriedigend. Man konnte sich zwar den Zugang zum Binnenmarkt weitgehend sichern, aber man konnte keine Mitbestimmungsrechte im EU-Gesetzgebungsprozess aushandeln. Somit muss die Schweiz unter dem Titel "autonomer Nachvollzug" laufend EU-Recht übernehmen. Das ist kaum der richtige Weg für das selbstbewusste Britannien.

Schlechte Aussichten für Forschung und Bildung

Auch Forschung und Bildung würden unter dem Brexit leiden. Nach dem Schweizer Ja zur Zuwanderungs-Initiative machte die EU nämlich ernst und legte das milliardenschwere Forschungsabkommen "Horizon 2020" vorerst auf Eis. Seither pokern die Verhandlungspartner miteinander. Das lässt keinen positiven Ausblick für den britischen Forschungsplatz nach einem Brexit erwarten.

Ob die EU überhaupt bereit wäre, mit Großbritannien nochmals den mühsamen Weg über bilaterale Verträge zu gehen, steht in den Sternen. Es ist sogar davon auszugehen, dass Brüssel ganz gemäß dem Rolling-Stones-Titel "You can't always get what you want" antworten würde.

Hässliche Scheidung droht

Die Briten sollten also gewarnt sein und sich die harsche Antwort Brüssels auf die Verfassungsabstimmung in der Schweiz über die einseitige Änderung der Personenfreizügigkeit vor Augen halten. Für die EU steht nämlich außer Zweifel, dass sie bei den bilateralen Verträgen nicht nachgeben wird.

Das Königreich hatte noch nie eine Liebesbeziehung zur EU - man trat der damaligen EG 1973 aus reinem Pragmatismus nolens volens bei. Will man nun wirklich eine Scheidung riskieren?

Ein Brexit würde das Aus für zahlreiche Freihandelsabkommen bedeuten. Für die Normalisierung der Beziehungen zur EU und für die Sicherung des Zugangs zum Binnenmarkt müsste Großbritannien wie die Schweiz große Kompromisse eingehen. Genau diese Kompromisse wollen die Briten aber mit dem Brexit verhindern. So lautet die Frage: Warum sollte das Königreich das bisher Erreichte aufs Spiel setzen?

Das Fazit lautet wohl, dass sich Großbritannien diesen unnötigen Umweg ersparen sollte.

Dr. Adriano B. Lucatelli ist Schweizer Finanzunternehmer und lehrt an der Universität Zürich Politische Ökonomie der internationalen Finanzmärkte

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