Die Überlegung ist eigentlich einfach: In Deutschland leben 2,7 Millionen Menschen türkischer Abstammung, die alle gerne und viel mit Freunden und Verwandten in ihrer Heimat telefonieren. Was liegt da also näher als einen Handytarif speziell für Türken in Deutschland einzuführen? E-Plus hat das vor einem Jahr getan - und war mit seiner Handymarke "Ay Yildiz" so erfolgreich, dass am Mittwoch eine erweiterte Produktpalette und neue Tarife vorgestellt wurden. "Wir haben innerhalb eines Jahres eine Markenbekanntheit von 80 Prozent erreicht, das läuft für uns sehr gut", sagt Christiane Kohlmann von E-Plus.
Werbung von Türken für Türken
Geschafft hat der Mobilfunkanbieter das mit Mitteln, die man als "Ethno-Marketing" oder "Interkulturelles Marketing" bezeichnet. Für "Ay Yildiz" wurden TV-Spots in allen türkischen Sendern und Anzeigen in allen großen türkischen Zeitungen in Deutschland geschaltet. Dazu kamen das Sponsoring von türkischen Events - wie zum Beispiel des Ankara-Marathons - und klassische Plakate, mit denen zweisprachig vor allem in Ballungsräumen geworben wurde.
Die Werbung für Türken wird dabei hauptsächlich von Türken gemacht. "'Ay Yildiz' wird komplett von etwa 30 türkisch-stämmigen Mitarbeitern betreut", sagt Kohlmann. "Näher kommen Sie an die Zielgruppe nicht dran." Und genau das ist das Ziel: "Bei gesättigten Märkten müssen Sie nach Möglichkeiten suchen, bestimmte Zielgruppen besser zu erreichen", erklärt Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien (ZfT) das Grundprinzip des Interkulturellen Marketings. Die hier lebenden Menschen türkischer Abstammung haben eine geschätzte Kaufkraft von rund 17 Mrd. Euro im Jahr. "Wer die gezielt anspricht, kann auch in einem gesättigten Markt noch Wachstum generieren", sagt Ulusoy.
Familienvater statt Single-Mann
Vorreiter dieser Entwicklung war DaimlerChrysler: Der Mercedes ist eines der Autos, das auch bei Türken hoch im Kurs steht und als Statussymbol gilt. Schon seit 1995 wirbt der Autohersteller deshalb mit Kampagnen, die sowohl von der Bildsprache als auch von den Inhalten her auf die Zielgruppe abgestimmt sind: Statt des blonden, jung-dynamischen Single-Manns fährt in den Werbespots die türkische Großfamilie auf Heimatbesuch in die Türkei.
"Das macht sich bezahlt: Der Marktanteil in der Zielgruppe ist in dieser Zeit von 7,9 auf 12,7 Prozent gestiegen", sagt Nermin Celik von der betreuenden Werbeagentur Erk Güner. Gearbeitet wird dabei - wie bei anderen Kampagnen auch - mit Testimonials, die dem Wertesystem der Türken entsprechen. "Für die neue S-Klasse ist das ein Pilot, der auf Grund seines technischen Know-Hows sehr angesehen ist, ein Geschäftsmann, der den Erfolg symbolisiert und ein Intellektueller, der in seiner Bibliothek sitzt und die traditionelle Laute Ud spielt."
Große Unkenntnis über die Zielgruppe
Dass die türkisch-stämmigen Einwanderer inzwischen in den Fokus der Werbewirtschaft rücken, hat auch damit zu tun, dass sie jünger sind als der deutsche Durchschnitt und deshalb in der werberelevanten Altersgruppe von 19 bis 49 stärker vertreten sind. Nach Schätzungen sind 66 Prozent der Türken in Deutschland jünger als 35 Jahre - Tendenz steigend. "Türken heiraten außerdem früher, investieren dann viel Geld in die Familie und haben mehr Kinder", sagt Ulusy vom ZfT. Das sei ein Markt, der noch entdeckt werden müsse - vor allem jetzt, wo sich herauskristallisiere, dass die Mehrheit der türkischen Einwanderer in Deutschland bleiben und hier auch ihr Geld ausgeben wollen.
Dass bisher trotzdem nur wenig mit den interkulturellen Marketing-Methoden gearbeitet wird, hat einen einfachen Grund: "Es herrscht eine große Unkenntnis über diese Zielgruppe", sagt Susan Fuchs von der Gesellschaft für innovative Marktforschung in Berlin. "Es existieren keine institutionalisierten Untersuchungspanels, keine ausreichenden Daten, keine quantitative Forschung." Allein dass diese Zielgruppe inzwischen als solche anerkannt werde, sei deshalb schon ein Fortschritt. "Man kann das ein bisschen mit dem Seniorenmarketing vergleichen", sagt Fuchs. Auch hier sei schon seit Jahren von den Potentialen dieser Zielgruppe gesprochen worden, wirklich umgesetzt worden sei wenig.
Kein Hund, kein Schwein
Denn es reicht eben nicht, nur die deutschen Anzeigenmotive oder Werbeslogans etwa ins Türkische zu übersetzen, es muss auch Rücksicht auf kulturelle und religiöse Besonderheiten genommen werden. "Grußkarten zu Weihnachten zu verschicken, bringt nicht besonders viel - denn die Türken feiern keine Weihnachten", sagt Celik von Erk Güner.
Und auch Tiere sind mit Vorsicht zu genießen: Während der Golden Retriever bei deutschen Zuschauern hohe Sympathie-Werte auslöst, sind Hunde bei Türken verpönt. Gleiches gilt für Schweine - bei den überwiegend muslimischen Türken ein unreines Tier. "Wenn eine Telekommunikationsfirma Werbung macht mit dem Spruch Kein Schwein ruft mich an'", sagt Celik, "bringt das nicht besonders viel".