Kreppa - dass ein Wort mit diesem Klang nichts Gutes bedeuten kann, dürfte auch denjenigen einleuchten, die bisher noch nie ein Wort Isländisch gehört haben. Kreppa bedeutet zusammenkrümmen, Wirtschaftskrise, Rezession. Es ist in den isländischen Medien das Schlagwort dieser tumulthaften Tage. Vielleicht hätte ich schon ahnen können, dass etwas nicht stimmte, als mein sehr konsumfreudiger Freund Halldor mir vor zwei Wochen eine E-Mail schrieb: "Kann Dich im November nicht in Berlin besuchen wie geplant. Währung ist abgeschmiert."
Damals allerdings schien mir das kein Grund zur Sorge, denn die isländische Krone war noch nie eine stabile Währung gewesen. Doch als das isländische Fernsehen Ende September mitten am Tag eine Pressekonferenz der Notenbank zeigte, wurde mir schlagartig klar, wie dramatisch die Lage in meiner zweiten Heimat ist. Währungshüter David Oddsson sagte in der ihm eigenen, eher melancholisch als seriös wirkenden Art, dass der Staat in der letzten Nacht die Bank Glitnir übernommen habe, um sie vor dem Bankrott zu bewahren.
Es folgte eine Reihe von Ereignissen, die Island wie nie zuvor in das Zentrum des Medieninteresses brachte: Erst hieß es, die Russen hätten Milliarden versprochen, dann wieder nicht. Die Glitnir-Hauptaktionäre bezeichneten die Zwangsverstaatlichung als größten Bankraub der isländischen Geschichte, schließlich sprach Ministerpräsident Geir Haarde von der Gefahr eines Staatsbankrotts und ist nun der erste Politiker Islands, der von Leibwächtern beschützt werden muss. Dann wurde die Landsbanki verstaatlicht, nun auch Kaupthing.
In den 80er-Jahren waren zweistellige Inflationsraten normal
Wie konnte es nur dazu kommen? Die üblichen Schuldzuweisungen zwischen den betroffenen Ministerialressorts und Parteien wurden bereits ausgetauscht. Das zu verfolgen mag man je nach persönlicher Betroffenheit und Lebenseinstellung traurig oder komisch finden. Doch wer tiefer in der isländischen Kultur und Geschichte nach Gründen für die aktuelle Misere sucht, entdeckt etwas, das allen Europäern bekannt vorkommen könnte: den Wunsch, modern zu sein und in einer globalisierten Welt zu den Gewinnern zu gehören - gepaart mit der Unfähigkeit, sich von traditionellen Mustern zu lösen.
Aus den Sommerferien, die ich als Kind oft auf Island verbrachte, erinnere ich ein anderes isländisches Wort von ebenfalls nicht sehr vertrauenerweckendem Klang: verdbolga. Wörtlich heißt es Preisentzündung, also: Inflation. In den 80er-Jahren waren zweistellige Inflationsraten normal. Die Wirtschaft war komplett vom Fischexport abhängig, die Banken befanden sich größtenteils in staatlicher Hand, man brauchte eine Genehmigung, um die notorisch schwache Krone in D-Mark oder Dollar zu tauschen, und der Handel war streng reguliert - sogar der Verkauf von Bier war bis 1989 verboten. Es war die Zeit, in der jeder meinen Vater fragte: "Warum nimmst du keinen Kredit auf und kaufst hier eine Haus? Die Inflation wird es schon bezahlen."
"Warum sparen? Ich habe doch mein Haus"
Über Jahrzehnte hinweg hatten sich die Isländer an eine Inflation gewöhnt, die das Sparen zu einer absurden Veranstaltung werden ließ. Jeder versuchte, sein Geld so schnell wie möglich auszugeben, und machte das, was alle anderen Isländer auch machten: möglichst viele Schulden. Die Exporteinnahmen aus dem Fischfang deckten dieses Verhalten über lange Zeit. Alle fünf Jahre wurde vor Reykjavik ein neuer Vorort in die Lava gesprengt, mit Platz für immer größere Häuser - jeder hatte für den Kauf der ersten Immobilie das Recht auf einen staatlichen Kredit in Höhe von 90 Prozent der Kaufsumme. Als ich 1991 nach Island kam und einen Freund fragte, was während meiner Abwesenheit passiert sei, antwortete er stolz: "Wir haben jetzt mehr Autos pro Einwohner als die Amerikaner!" Und das war erst der Anfang. In den 90er-Jahren privatisierte der Staat die Banken, Aluminiumproduktion und Fremdenverkehr stellten das Wirtschaftswachstum auf eine breitere Basis. Doch auch als die Inflation normale westeuropäische Werte erreichte, gaben die Isländer weiterhin ihr Geld mit vollen Händen aus. Selbst meine älteren Verwandten sagten: "Warum sparen? Ich habe doch mein Haus."
Ich gebe gern zu, mit wie viel Sehnsucht ich mich, zurück in Deutschland, an diese Islandaufenthalte erinnerte: Arbeitslose gab es ebenso wenig wie Pessimismus, immer mehr Touristen kamen, und durch die Musik von Björk und Sigur Ros wurde Island auch noch cool. Nach der Jahrtausendwende schien alles so weiterzugehen. Während in Deutschland vom Abschwung West die Rede war, kaufte die kleine Icelandair fast zehn Prozent an Easyjet; Kaupthing verdoppelte durch die Übernahme der dänischen FIH-Bank mit einem Schlag ihre Bilanzsumme und leistete sich wenig später den Monty-Python-Star John Cleese für eine Werbung. John Cleese! Für 300.000 Leute. Für das Geld hätte man ebenso gut alle Isländer anrufen können, doch es ging längst nicht mehr um Island. Es ging um die Welt, und isländische Investoren verkündeten ohne Scham, dass die Aktiva ihrer Unternehmen das Bruttosozialprodukt des Landes bei Weitem überstiegen.
Das war bezeichnend für den Stolz, mit dem es die Isländer erfüllte, dass sie der Welt nun endlich bewiesen, dass sie nicht nur Fische fangen, sondern auch Supermarktketten und Fußballvereine kontrollieren konnten. Sogar das Kopenhagener D'Angleterre kam in isländischen Besitz, das Traditionshotel der Dänen, die Island als Kolonialmacht über Jahrhunderte beherrscht hatten. Die Freude über dieses Wir-sind-endlich-wer war sicherlich ein Grund dafür, dass kaum jemand an dem enormen Wachstum des Finanzsektors Anstoß nahm, und die Flachbildfernseher, Heimkinos und Designerküchen, die der Boom in normale isländische Haushalte brachte, führten auch nicht gerade zu antikapitalistischen Protesten.
Wenn sich schon die Öffentlichkeit nicht beschwerte, was war dann mit den staatlichen Stellen? Natürlich hat Island eine Bankenaufsicht, doch auch hier ist der Versuch gescheitert, mit den traditionellen Mitteln und Ressourcen eines Kleinstaats international zu agieren. Ein Land, das 300.000 Einwohner hat und trotzdem alle Aufgaben einer modernen arbeitsteiligen Nation übernehmen muss, hat ein Problem. Im Gegensatz zu Deutschland, wo oft das Fachidiotentum beklagt wird, hat Island ein Problem mit dem Dilettantismus. Die Menschen sind fleißig und tatkräftig, übernehmen aber manchmal Aufgaben, von denen sie einfach nichts verstehen. Der jetzige Ministerpräsident war früher Außenminister und auch mal Finanzminister - zu der Zeit, als der Notenbankchef, der zwischendurch auch mal Außenminister war, Ministerpräsident war und der jetzige Finanzminister das Amt des Fischereiministers bekleidete. Diese nun wirklich ländliche Art von Vetternwirtschaft war der Aufsicht von international agierenden Banken nicht gewachsen. Das System funktionierte, solange die wenigen wichtigen Akteure allesamt in Reykjavik wohnten und sich früher oder später ohnehin auf einer Konfirmation oder im Theater über den Weg liefen. Doch in dem Moment, in dem so einflussreiche Männer wie Landsbanki-Chef Björgolfur Thor Björgolfsson nach London zogen, konnte soziale Kontrolle die institutionelle nicht mehr ersetzen.
Regulieren macht den Isländern einfach keinen Spaß
Außerdem bringen Überwachen und Regulieren den Isländern einfach keinen Spaß. Die Erinnerung an die risikofreudigen Vorfahren, die vor über 1000 Jahren Skandinavien verließen, um auf einer unwirtlichen Insel mitten im Atlantik ein freies Leben fern von mittelalterlichen Feudalherren zu führen, ist immer lebendig geblieben - wenn man sich von Obrigkeiten reinreden lassen wollte, hätte man ja gleich in Norwegen bleiben können. Nun ist es fast wieder wie in den 80er-Jahren: Die Inflation ist zweistellig, der Staat kontrolliert die Banken und rationiert die Devisen. Wenn sie jetzt noch das Bier wieder verbieten, könnte man denken, die Isländer wollten mit der Globalisierung noch einmal von vorn anfangen.
Besonders hart trifft die Krise meine Generation, meine Freunde um die 30, die noch ihren Studienkredit abbezahlen, gerade eine Familie gegründet und ihr erstes Wohneigentum gekauft haben. Natürlich sind meine Freunde sauer und fühlen sich betrogen, doch sie besinnen sich auf die zwei großen isländischen Nationaltugenden: Tatkraft und Optimismus. Warum auch nicht? Die Isländer haben den besten Fisch der Welt und die sauberste Energie, das wird schon irgendwie für 300.000 Leute reichen. Vielleicht mit ein paar Autos weniger.
Dieser Optimismus ist nicht auf meine Generation beschränkt. Siggi Hall, eine Art isländischer Johann Lafer, der noch in diesem Monat ein neues Restaurant in Reykjavik eröffnet, wurde gefragt, ob er fürchtet, dass ihm aufgrund der "kreppa" die Gäste wegblieben. "Nein", antwortete er. "Für jeden der ehemals Wohlhabenden, die sich mein Essen jetzt nicht mehr leisten können, wird ein ehemals Reicher kommen, der es sich nicht mehr leisten kann, übers Wochenende nach New York zu fliegen." Siggi Hall legt in seinem Restaurant großen Wert darauf, isländische Zutaten zu verwenden: Schellfisch, Lamm, Kartoffeln. Vom Global Player im Investmentbanking hin zu Produkten "aus der Region". Klingt auch irgendwie fortschrittlich, oder?