Vor genau 48 Jahren haben sie schon einmal gestreikt, die Frauen in Island: Am 24. Oktober 1975 legten die Frauen in dem nordischen Inselstaat die Arbeit nieder, versammelten sich, hielten Kundgebungen ab. 90 Prozent der Frauen streikten damals. Dieser 24. Oktober vor 48 Jahren war ein wichtiger Tag im Kampf um die Gleichstellung in Island und ging als "kvennafrí" – zu Deutsch etwa "Frauenurlaub" – in die Geschichte des Landes ein.
An diesem Dienstag erlebt Island wieder einen Frauenstreik. In diesem Jahr soll unter dem Motto "Das nennt ihr Gleichberechtigung?" den ganzen Tag für gleiche Bezahlung und gegen Gewalt gegen Frauen gestreikt werden, so die Organisatorinnen. "Frauen sind immer noch von systematischer Lohndiskriminierung betroffen und geschlechtsspezifische Gewalt ist eine Pandemie, die ausgemerzt werden muss. Wir können nicht länger auf Maßnahmen warten", heißt es auf der Website der Bewegung.
Für den Nachmittag ist auch eine Demonstration in der Hauptstadt Reykjavík geplant. Dort sollen mehrere Straßen im Stadtzentrum gesperrt werden. Auch in anderen isländischen Städten sind Veranstaltungen und Demonstrationen geplant.
Gesundheit und Bildung in Island am stärksten von Streik betroffen
Frauen und nicht-binäre Menschen sind zur Teilnahme an dem Streik aufgerufen. Wie schon 1975 sollen sie ihre bezahlte und unbezahlte Arbeit, einschließlich Kinderbetreuung und Hausarbeit, ganztägig niederlegen. Ein Streik im rechtlichen Sinne sei der "kvennafrí" aber nicht, betonen die Organisatorinnen. Es handele sich auch nicht um einen Feiertag, sondern um eine "kollektive Aktion".
Rund 40 isländische Organisationen haben sich dem Aufruf angeschlossen, berichtete der Rundfunk RÚV. Dazu gehören unter anderem der Verband der isländischen Krankenschwestern, der Universitätsverband und der Verband der Angestellten im öffentlichen Dienst.
Besonders betroffen von dem Streik sind das Gesundheits- und das Bildungswesen, berichtete das Portal "Iceland Reviev". Im Nationalkrankenhaus Landspítali sind laut RÚV rund 80 Prozent der Beschäftigten Frauen. In den Schulen falle der Unterricht aus oder werde gekürzt, so RÚV weiter.
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Rundfunk und Airlines rechnen mit streikenden Frauen
Runólfur Pálsson, Direktor der Klinik, erklärte dem Sender, dass die Operationen so geplant werden, dass möglichst viele am Streik teilnehmen können. "Natürlich werden wir weiterhin alle Notdienste, dringenden Aufgaben und notwendigen Operationen durchführen", sagte er. Er betonte jedoch, dass es die Arbeit im Gesundheitswesen mit sich bringe, dass nicht jeder der Arbeit fernbleiben könne. Stattdessen ermutigte er diejenigen, die sich nicht am Streik beteiligen oder beteiligen können, Fotos von sich bei der Arbeit zu machen, damit andere ihre Solidarität mit ihnen ausdrücken können.
Laut RÚV könnte auch der Flugverkehr bestreikt werden. Bei den beiden Fluggesellschaften Play und Icelandair sei ein großer Teil der Besatzung weiblich. Beide Unternehmen hätten jedoch erklärt, den Streik "voll und ganz" zu unterstützen. Birgir Jónsson, CEO von Play, gehe jedoch nicht davon aus, dass es zu Betriebsstörungen kommen wird. Es seien verschiedene Maßnahmen ergriffen worden, um dies zu verhindern, sagte er gegenüber Rundfunk.
Auch ein großer Teil des Rundfunks RÚV werde bestreikt, teilte der Sender am Montag mit. Notwendige Dienste sollen aufrechterhalten, das Programm in Radio und Fernsehen soll reduziert werden.

Regierungschefin streikt mit – und will mehr gegen Ungleichheit tun
Auch in der Politik beteiligen sich prominente Persönlichkeiten am Frauenstreik. "Ich werde an diesem Tag nicht arbeiten, und ich erwarte, dass alle Frauen hier das Gleiche tun", sagte Ministerpräsidentin Katrín Jakobsdóttir der Zeitung "Morgunblaðið". Sie werde keine Kabinettssitzung einberufen und erwarte, dass auch die anderen Frauen im Kabinett zu Hause blieben.
Jakobsdóttir sagte, dass die Lohnunterschiede in vielen Bereichen zunähmen. Ihre Regierung wolle untersuchen, wie sogenannte Frauenberufe im Vergleich zu traditionellen Männerberufen bewertet werden. "Wir untersuchen, inwieweit sich diese Berufe vom Durchschnitt unterscheiden, denn wir gehen davon aus, dass die bestehenden Lohnunterschiede darauf zurückzuführen sind", so Jakobsdóttir weiter.
In Island betrug das unbereinigte geschlechtsspezifische Lohngefälle im Jahr 2021 10,2 Prozent, im Vorjahr waren es 11,9 Prozent, schreibt das isländische Statistikamt. Am größten war der Unterschied mit 29,7 Prozent im Finanz- und Versicherungssektor, am geringsten mit 4,3 Prozent im Bereich Energie- und Wasserversorgung, Dampf- und Klimatechnik.
Island bei Geschlechtergerechtigkeit eigentlich weit vorn
Die Inselrepublik ist laut Weltwirtschaftsforum (WEF) aber auch das einzige Land, das mehr als 90 Prozent der geschlechtsspezifischen Unterschiede beseitigt hat. Mehrmals in Folge belegte Island den ersten Platz in der Rangliste der Länder mit der höchsten Geschlechtergleichstellung.
Laut WEF hat Island dies erreicht, indem es mehr Frauen in die Wirtschaft und die Erwerbsbevölkerung integriert hat, auch in Führungspositionen und in MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). Seit 2018 sind Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeitenden zudem gesetzlich verpflichtet, Lohngleichheit nachzuweisen. Außerdem wird die Kinderbetreuung subventioniert und Väter und Mütter haben das gleiche Recht auf Elternzeit.
Der aktuelle Frauenstreik ist der insgesamt siebte in Island. Nach dem ersten Streik vor 48 Jahren wurde 2005 die Arbeit am Nachmittag niedergelegt, um für gerechte Löhne zu protestieren. Fünf Jahre später wurde der Streik wiederholt, diesmal ging es um sexuelle Gewalt gegen Frauen. 2018 gab es einen weiteren Streik nach dem #MeToo-Skandal.
Quellen: kvennafri.is, "Morgunblaðið", RÚV, "Iceland Reviev", Statistics Iceland, Weltwirtschaftsforum