Nach Kritik Fleischkonzern Tönnies stoppt Anwerbung ukrainischer Flüchtlinge direkt an der Grenze

Tönnies-Werk in Rheda-Wiedenbrück
Tönnies-Werk in Rheda-Wiedenbrück
© Lino Mirgeler / DPA
Schlachtkonzern Tönnies hat direkt an der polnisch-ukrainischen Grenze Flüchtlinge als Arbeitskräfte angeworben. Nach Kritik von Aktivisten hat der Konzern diese Praktik nun gestoppt.

Fast zweieinhalb Millionen Ukrainer sind bereits wegen des Krieges über die polnische Grenze geflohen. Der Schlachtkonzern Tönnies würde einige von ihnen gerne als Arbeitskräfte in seinen Fabriken einsetzen. Doch die Art und Weise der Anwerbeversuche sorgte für Kritik - der Konzern hat die umstrittene Praktik mittlerweile gestoppt.

Wie das ARD-Magazin Panorama und Aktivisten auf Twitter berichten, verteilten Tönnies-Mitarbeiter unmittelbar im polnischen Grenzort Przemyśl Handzettel an Kriegsflüchtlinge, um sie als Produktionshelfer anzuwerben. Dabei wurde ihnen auch der Transport nach Deutschland und eine Unterkunft versprochen. Tönnies bestätigte Panorama, dass drei Mitarbeiter an die Grenze entsandt worden seien, um Arbeitskräfte anzuwerben. Nach kritischen Berichten erklärte das Unternehmen am Donnerstag dann: "Sorry, vielleicht waren wir hier zu voreilig. Daher haben wir das Angebot vorerst eingestellt."

Patrick Walkowiak von der Flüchtlingsorganisation Friends of Medyka warf Tönnies in dem ARD-Bericht vor, die Notlage der Geflüchteten auszunutzen. Walkowiak ist selbst vor Ort und hat die Anwerbeversuche erlebt. Die Zustände im Aufnahmelager Przemyśl seien chaotisch, in dieser Extremsituation könnten die Flüchtlinge die Anwerbeversuche gar nicht einordnen, sagt der Flüchtlingshelfer. Es fehle an Bussen und anderen Transportmöglichkeiten, sodass Flüchtende teilweise tagelang in dem Lager ausharren müssen. Und Tönnies nahm nur die mit, die bereit waren, einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. 

Tönnies reagiert auf Kritik

Tönnies konnte die Kritik zunächst nicht nachvollziehen. "Wir helfen den Kriegsflüchtlingen vor Ort und bieten ihnen eine Zukunftsperspektive", sagte ein Unternehmens-Sprecher gegenüber Panorama. An zwei Standorten in Deutschland seien bereits etwa ein Dutzend Geflüchtete aus der Ukraine eingestellt worden. Tönnies biete elf Euro die Stunde und liege damit über dem gesetzlichen Mindestlohn. Und: "Nur wenn die Flüchtlinge bei Tönnies arbeiten, dürfen sie in unseren Dienstwohnungen untergebracht werden."

Allerdings werden Kosten für die Unterkunft vom Gehalt abgezogen. In der Vergangenheit hatte die Unterbringung der Tönnies-Mitarbeiter in überbelegten Werksunterkünften sowie die schlechten Arbeitsbedingungen in den Schlachtfabriken wiederholt öffentlich am Pranger gestanden.

Helfen Sie den Menschen in der Ukraine
Stiftung stern: Hier spenden

So hält auch Inge Bultschneider von der Interessengemeinschaft "WerkFAIRträge", die sich für bessere Arbeits- und Wohnverhältnisse von Migranten in der Fleischindustrie einsetzt, die Anwerbeversuche für geschmacklos. "Sich am Elend zu bereichern und es als gute Tat zu verkaufen, ist in der Fleischbranche nichts Neues. 2015 bei der Flüchtlingswelle haben wir Ähnliches erlebt", sagte Bultschneider Panorama. Tönnies entgegnete dem: "Wir bereichern uns nicht an der Not der Flüchtlinge. Das ist eine völlig irre Aussage. Wir tarnen auch nichts als gute Tat." Es sei nur darum gegangen, den Menschen zu helfen, ergänzte das Unternehmen am Donnerstag in einer Stellungnahme.

Zusätzlich pikant an der ganzen Geschichte ist, dass Konzernboss Clemens Tönnies über Jahre beste Beziehungen nach Russland und sogar zu Wladimir Putin persönlich pflegte. Als Aufsichtsratschef von Schalke 04 fädelte er einst den Sponsoren-Deal mit Gazprom ein, in Russland investierte er in die Schweinezucht. Das Foto, das Tönnies strahlend gemeinsam mit Putin bei der Übergabe eines Schalke-Trikots mit Gazprom-Schriftzug zeigt, würde er heute wohl am liebsten vergessen machen. Dem Handelsblatt sagte er kürzlich: "Ich habe mich wie viele andere in ihm getäuscht."