Bei russischem Lieferstopp Notfallplan Gas: Wer wird als erstes abgeschaltet?

Erdgasverdichterstation in Mallnow nahe der deutsch-polnischen Grenze
Erdgasverdichterstation in Mallnow nahe der deutsch-polnischen Grenze
© Patrick Pleul / DPA
Der Konflikt mit Russland könnte zum Gaslieferstopp führen. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat die Frühwarnstufe des Notfallplans ausgerufen. Was das bedeutet und was die nächsten Schritte sind.

Der Gas-Streit mit Russland spitzt sich zu: Wladimir Putin hat angekündigt, dass die Lieferungen künftig nur noch in Rubel bezahlt werden können, die Europäer lehnen das ab. Beharren beide Seiten auf ihren Positionen, droht ein Stopp der Lieferungen (Details zum Rubel-Streit lesen Sie hier).

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat daher am Mittwoch die Frühwarnstufe des Gas-Notfallplans ausgerufen. Es gebe zwar "aktuell keine Versorgungsengpässe", sagte Habeck. "Dennoch müssen wir die Vorsorgemaßnahmen erhöhen, um für den Fall einer Eskalation seitens Russlands gewappnet zu sein."

Diese Eskalation könnte sehr schnell erfolgen: Putin hat seine Leute angewiesen, bis zum 31. März die Modalitäten für die Zahlung in Rubel auszuarbeiten. An diesem Tag will sich Putin mit Vertretern von Gazprom und der russischen Zentralbank treffen, um sich über den Stand der Dinge zu informieren. Wie schnell die Russen die Umstellung der Zahlung dann fordern, ist unklar. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte am Mittwoch lediglich, die Umstellung werde nicht sofort, sondern allmählich erfolgen.

Was bedeutet das alles für unsere Gasversorgung? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Notfallplan und den Folgen. 

Was ist der Notfallplan Gas?

Der "Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland" ist ein 37-seitiges Papier, das festlegt, wie Unternehmen und Staat mit Versorgungsengpässen umgehen und wer bevorzugt beliefert wird, wenn es nicht mehr für alle reicht. Grundlage ist eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2017. Der aktuelle Plan stammt aus dem Jahr 2019 und hat eine "Frühwarnstufe", eine "Alarmstufe" und eine "Notfallstufe".

Was besagt die "Frühwarnstufe" des Plans?

Die Frühwarnstufe wird ausgerufen, wenn "konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise" vorliegen, "dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage sowie wahrscheinlich zur Auslösung der Alarm- bzw. Notfallstufe führt". Das ist nun der Fall.

Erste Konsequenz ist, dass das Wirtschaftsministerium einen Krisenstab einberufen hat, der auch Vertreter der Energieversorger umfasst, um im Ernstfall schnell reagieren zu können. Direkte staatliche Eingriffe sind erst in Stufe 3 vorgesehen. Zunächst einmal sollen Gashändler und -lieferanten sowie die Netzbetreiber "marktbasierte" Maßnahmen ergreifen. Sie sollen Prozesse optimieren und bei der Beschaffung mögliche Alternativen zu russischem Gas mobilisieren, was kurzfristig aber schwierig ist. 

Was passiert in den weiteren Stufen?

Wenn die Gasströme tatsächlich gravierend reduziert werden oder ausbleiben, stellt die Regierung die Alarmstufe fest. Sind längerfristige Lieferausfälle und eine "erhebliche Störung" der Gasversorgung zu erwarten, greift die Notfallstufe. Das wäre bei einem Stopp des Hauptlieferanten Russland ohne Frage der Fall. In einem solchen Notfall kann die Regierung hoheitliche Maßnahmen ergreifen, um die Verteilung des vorhandenen Gases staatlich zu steuern. Dabei kann sie auch bestimmte Verbraucher vom Gas-Bezug ausschließen, damit genug für den Rest da ist.

Sind Privathaushalte besonders geschützt?

Ja. Privathaushalte und "Kunden, die grundlegende soziale Dienste erbringen", zählen laut Notfallplan zu den geschützten Kunden, die mit Priorität versorgt werden sollen. Auch Gaskraftwerke, die der Wärmeversorgung privater Haushalte dienen, sowie Fernwärmeanlagen, die mit Erdgas laufen, und die Wohnungen privater Verbraucher versorgen, sollen weiterlaufen. Laut dem Energieverband BDEW entfallen auf die Haushalte rund 31 Prozent des gesamten Gasverbrauchs. Zu den geschützten Verbrauchern gehören laut Bundesnetzagentur auch soziale Einrichtungen wie etwa Krankenhäuser. 

Russlands Präsident Wladimir Putin
Russlands Präsident Wladimir Putin
© Mikhail Klimentyev/ / Picture Alliance
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Wem wird als erstes das Gas abgeschaltet?

Darüber herrscht große Unsicherheit, da der Plan dies nicht im Detail festlegt. Zu den Maßnahmen, die die Regierung laut Notfallplan anordnen darf, gehört unter anderem die Einschränkung der Stromproduktion in Gaskraftwerken. Strom kann auch durch andere Energieträger wie Kohle, Atom und Erneuerbare erzeugt werden, weshalb dies bei einem Lieferstopp ein wahrscheinlicher Schritt wäre. Der Effekt dieser Maßnahme ist aber begrenzt, die Stromversorgung macht nur rund 13 Prozent des Gasverbrauchs aus.

Des Weiteren könnten laut Notfallplan Endverbraucher angewiesen werden, den Gas-Verbrauch zu reduzieren und das Heizen öffentlicher Gebäude heruntergefahren werden. Zudem könnte die Regierung für bestimmte Industriekunden eine komplette Abschaltung der Gasversorgung anordnen. Dies wäre eine harte, aber möglicherweise notwendige Maßnahme, da die Industrie für 37 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland verantwortlich ist. Auf Gewerbe, Handel und Dienstleistung entfallen weitere 13 Prozent.

Welche Unternehmen als erstes abgeschaltet würden, sagt der Plan nicht. An entsprechenden Kriterien wird im Hintergrund bei der Bundesnetzagentur und im Wirtschaftsministerium seit Tagen hektisch gearbeitet. Wer ist wie systemrelevant? Wo drohen bei Abschaltung die größten wirtschaftlichen Schäden? Das Problem: Die größten Gasverbraucher – etwa in der Chemie- oder Glasindustrie – wären von einem Gas-Stopp auch besonders getroffen, da bei einer vorübergehenden Stilllegung der Werke schwere Störungen der Produktionsprozesse drohen. Die Bundesnetzagentur betonte am Mittwoch, sie bereite "keine abstrakten Abschalte-Reihenfolgen" vor. In einer Mangellage gehe es immer um Einzelfallentscheidungen. Und: "Schäden werden in einer Notfallstufe kaum zu vermeiden sein, es gilt dann Schäden zu begrenzen."