Die konjunkturelle Belebung lässt in Deutschland weiter auf sich warten. In ihrem heute vorgelegten Frühjahrsgutachten sehen die sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute bei Wachstum und Beschäftigung noch kaum einen Silberstreif am Horizont. "Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Phase lang anhaltender Schwäche", heißt es in dem Gutachten. Darin reduzieren die Professoren ihre im Herbst 2002 für dieses Jahr angenommene Prognose für das Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent auf jetzt nur noch 0,5 Prozent. Auch die von Bundeskanzler Gerhard Schröder angekündigten Reformen reichten für eine Trendwende nicht aus. Die Arbeitslosigkeit werde vorerst weiter steigen.
Steuererhöhungen sind keine Lösung
Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) erklärte, jetzt komme es darauf an, "dass der Reformzug schnell in Fahrt kommt." Oppositionspolitiker sehen in dem Gutachten ein Dokument des Scheiterns der rot-grünen Politik. Wirtschaftsverbände mahnten eine Beschleunigung der Reformen an. Zu den bisher geplanten Maßnahmen heißt es in dem Gutachten: "Wenn diese Agenda alles enthält, was bis zum Jahr 2010 auf den Weg gebracht werden soll, werden sich die Wachstumsbedingungen nur unwesentlich verbessern".
Die Institute gehen weiter davon aus, dass das Haushaltsdefizit in diesem Jahr mit 3,4 Prozent erneut über der nach dem Europäischen Stabilitätspakt zulässigen Grenze liegen wird. Erst 2004 werde es mit 2,9 Prozent wieder die Drei-Prozent-Marke einhalten. Zugleich bezweifelten die Institute, dass die Bundesregierung ihre Ziele eines ausgeglichenen Haushalts bis 2006 erreichen wird.
Trotz der überaus schwierigen Kassenlage warnten die Wissenschaftler aber nachdrücklich vor Steuererhöhungen. Es müsse vielmehr in den nächsten beiden Jahren bei den geplanten Steuerentlastungen bleiben. Die Regierung solle zudem ausdrücklich ankündigen, dass Steuerlast und Sozialbeiträge nicht erhöht werden.
Wirtschaftspolitik der Bundesregierung stößt auf Skepsis
Die Umsetzung der Hartz-Vorschläge auf dem Arbeitsmarkt werde kurzfristig keine größeren Beschäftigungseffekte auslösen, hießt es weiter in der Analyse. Erst bei einem Anziehen der Konjunktur dürften Auswirkungen der Reformen sichtbar werden. Für dieses Jahr erwarten die Gutachter im Durchschnitt 4,45 Millionen Erwerbslose im Jahresdurchschnitt. Die Bundesanstalt für Arbeit werde wieder einen Zuschuss von deutlich über fünf Milliarden Euro benötigen. Im Haushalt 2003 ist dafür kein Geld mehr vorgesehen. Im nächsten Jahr werde die Entwicklung zwar in der zweiten Hälfte etwas besser, aber im Durchschnitt 2004 werde es wieder 4,5 Millionen Arbeitslose geben.
Insgesamt traf die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung bei den Forschern auf Skepsis. Sie lasse Konsistenz vermissen, sagte deren Sprecher, Eckhardt Wohlers vom HWWA aus Hamburg. Er kritisierte insbesondere den Versuch, Reformen im Konsens herbeizuführen und dafür Kommissionen einzusetzen. Dieser Weg sei nicht erfolgreich. Auch die ersten Beschlüsse der Regierung nach der Wahl seien nicht richtig gewesen. Denn sie hätten Verbraucher und Investoren verunsichert.
Die Verbraucherpreise werden nach Einschätzung der Gutachter in diesem und im nächsten Jahr nur leicht steigen. Die Institute rechnen für 2003 mit einem Anstieg von 1,3 Prozent und für 2004 mit 1,2 Prozent. Nachdem sich der Preisauftrieb zu Beginn dieses Jahres etwas verstärkt habe, sei jetzt wieder mit einer Beruhigung zu rechnen. Für die Entwicklung Anfang 2003 seien Sonderfaktoren, wie die Anhebung der Mineralöl-, Strom- und Tabaksteuer verantwortlich.