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Ein zweiter Fall Prokon Wie German Pellets Tausende Öko-Anleger um ihr Geld brachte

Die Parallelen zur Prokon-Pleite sind frappierend: Gläubiger der Brennstofffirma German Pellets fürchten, eine Viertelmilliarde Euro zu verlieren. Sie hätten gewarnt sein müssen. Ein Lehrstück über riskante Investments in acht Akten.
Von Jens Brambusch und Christian Kirchner

Trauer durchleben Menschen meist in Phasen. Zunächst ist da der Schock über einen Verlust, das Nicht-wahr-haben-Wollen. Später, in der zweiten Phase, kochen die Emotionen hoch.

Tausende Kleinanleger, die Anleihen des Holzschnitzelherstellers German Pellets gekauft hatten, sind bereits in Phase zwei angekommen. Mitte Januar stürzten plötzlich die Kurse der Papiere dramatisch ab: auf sieben Euro je 100 Euro Nennwert. Rund 250 Millionen Euro stehen im Feuer. In einer Telefonkonferenz Anfang Februar erklärten die Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle und die US-Investmentbank Houlihan Lokey den Anlegern, was sie herausgefunden hatten: Das Geld sei vermutlich weg. Sicherheiten? So gut wie keine. Es herrschte blanke Wut.

Die Anleger wollten vor allem eines wissen: Laufen Ermittlungen gegen German Pellets? Wurde Anzeige gegen den Geschäftsführer gestellt? Hat das Unternehmen aus Wismar betrogen? Das werde Teil der Aufarbeitung sein, sagten die Anlegeranwälte. Am 10. Februar stellte German Pellets Insolvenzantrag. Den Wunsch auf Eigenverwaltung lehnte das Gericht jedoch ab.

Der Fall German Pellets ist ein ähnlich aufschlussreiches Lehrstück wie die Pleite des Windkraftanlagenbauers Prokon vor zwei Jahren. Die Parallelen sind frappierend – und zeigen deutlich, wann bei Anlegern die Alarmglocken schrillen müssen.

1. Die hohen Zinsen

Bei der letzten Anleiheemission versprach German Pellets 7,25 Prozent Zinsen. Prokon bot Investoren kurz vor der Pleite rund 8 Prozent. Und das in einer Niedrigzinsphase, in der zehnjährige Bundesanleihen gerade einmal 0,4 Prozent Rendite abwerfen. Die Diskrepanz sollte stutzig machen: Banken können zurzeit extrem günstig Geld aufnehmen und als (höher verzinsten) Kredit an Firmen weiterreichen. Das würden viele auch gerne tun, aber es herrscht ein Mangel an Darlehensnehmern mit guter Bonität. Wenn ein Unternehmen Kleinanlegern auffällig hohe Zinsen für ihr Geld zahlt, bedeutet dies häufig: Es erhält vermutlich von Banken keinen Kredit oder kann keine ausreichenden Sicherheiten bieten.

2. Die Erfolgsstory

Hohe Zinsen alleine reichen nicht, um Geldgeber zu ködern. Viele Kapitalanleger wollen neben einer hohen Rendite auch ein gutes Gefühl – eine überzeugende "Story". Prokon-Gründer Carsten Rodbertus gab jahrelang den entschlossenen Kämpfer gegen das Kapital. Der Mann mit dem langen grauen Zopf wollte zeigen, das Business auch ohne Banken geht. Die Anleger folgten ihm wie einem Guru.

Peter Leibold verkauft ebenfalls eine Story: "Öko kann auch professionell sein." Anders als Rodbertus erscheint der Industriekaufmann stets adrett gekleidet, mit Krawatte und Einstecktuch. Leibold hat Karriere in Verlagen und Sendern gemacht, bevor er 1998 die Führung der Klausner-Sägewerke übernahm, die der Familie seiner Frau gehörten.

Gerne erzählte er die Geschichte, wie er nach Skandinavien reiste und dort Kraftwerke sah, die mit Holzpellets befeuert wurden. Er war begeistert. Die Schnitzel sind ein Abfallprodukt aus Sägewerken: ökologisch, nachhaltig, preiswert. Was die Skandinavier können, das kann er doch auch. Nur besser und größer. Dass Freunde ihm abrieten, störte Leibold nicht.

2005 gründete er German Pellets. Heute hat das Unternehmen 15 Standorte in Deutschland, Österreich und den USA, beschäftigt 620 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von rund 600 Millionen Euro.

Klingt nach einer durchdachten und soliden Erfolgsgeschichte, Sucht man sie im Kleingedruckten der Prospekte, liest sich die Story ganz anders: German Pellets ist zu schnell gewachsen, steht da. Die rasante Expansion ist finanziert mit den Abermillionen aus Anleihen und Genussrechten. Und das in einer Branche mit winzigen Margen. Entsprechende Gegenwerte? Fehlanzeige.

3. Das Trendthema

Die Anleger glauben, in eine gute Sache investiert zu haben. Investments, die mit Labels wie "nachhaltig" oder "erneuerbar" werben, liegen im Trend. Prokon erhob die Geldanlage fast zu einer Ideologie: Wer Genussrechte der Firma aus Itzehoe in Schleswig-Holstein zeichnete, beteiligte sich aktiv an der Energiewende und zeigte es den gierigen Stromriesen.

Auch German Pellets positionierte sich als Ökokonzern, der vom Trend zur Nachhaltigkeit und dem lange Zeit hohen Ölpreis profitiert. Dass German Pellets mehr Händler als Nutzer nachwachsender Rohstoffe war, fiel unter den Tisch. Investoren haben eine einfache Regel missachtet: Gute Anlagen sprechen für sich. Sie haben es nicht nötig, mit Trendthemen aufgeladen zu werden.

4. Die Kleinanleger

Warum wendet sich ein Unternehmen überhaupt an Kleinanleger, um Kapital zu beschaffen? Private Investoren sind betreuungsintensiv und teuer. Prokon lud Inhaber von Genussrechten zu Windparkfesten mit Würstchen und Getränken ein, German Pellets karrte Investoren an die Frankfurter Börse.

Für ein Unternehmen ist es erheblich bequemer, Kapital über einen Bankkredit oder die Platzierung einer Anleihe bei Großinvestoren zu beschaffen. Als German Pellets bei der Anleiheemission vor drei Jahren 50 Millionen Euro einsammelte, verschlangen allein die Gebühren 3 Millionen Euro. Eine Menge Geld, das zusätzlich zu der in Aussicht gestellten Verzinsung erwirtschaftet werden muss. Prokon gab rund sieben Prozent seiner eingeworbenen Gelder für Werbung aus, um immer neue Anleger zu locken.

Merke: Wer sich intensiv um Kleinanleger bemüht, ist oft von anderen Geldflüssen abgeschnitten. Und das hat meist einen Grund.

5. Die Firmenstruktur

Wenn sich ein Unternehmen bei Anlegern Geld leiht, werden die Forderungen üblicherweise mit dem Firmenvermögen besichert. Nicht so bei German Pellets. Das Unternehmen besteht aus einem komplexen Geflecht von rund zwei Dutzend Firmen. Große Teile der Anlegergelder flossen über Umwege einer Stiftung in die USA, wo sie wiederum als Sicherheiten für Bauprojekte und Pelletlieferungen dienten. Oder sie wurden intern als Darlehen in verbundene Unternehmen weitergereicht. Wie etwa jene rund 27 Millionen Euro, die German Pellets an den Ofenhersteller Kago verlieh, den Leibold 2010 gekauft hat. Im Januar meldete Kago Insolvenz an. Das Unternehmen wird abgewickelt, das Darlehen dürfte verloren sein.

Peter Mattil sieht hohe Verluste auf die Gläubiger von German Pellets zukommen. Das Firmenkonstrukt biete keine Sicherheiten, so der Münchner Fachanwalt für Bankund Kapitalmarktrecht. Die Papiere, so Mattil, seien von der German Pellets Genussrechte GmbH ausgegeben worden, die das Kapital der Anleger an die German Pellets Beteiligungs GmbH weitergegeben habe. Mit der German Pellets GmbH, die reale Umsätze und Gewinne erwirtschaftet, hätten die Anleger also nichts zu tun. In einer komplexen Struktur lässt sich die wahre (Un-)Profitabilität gut verschleiern. Auch im Geflecht des Windkraftkonzerns Prokon landeten die Gelder zunächst in einer Genussrechtsgesellschaft, von wo sie an weitere Prokon-Gesellschaften weiterverliehen wurden.

Am 5. Februar reagierte die Finanzaufsichtsbehörde Bafin und verbot German Pellets den Verkauf von Genussrechten. Den Altanlegern nützt dies wenig. Unternehmen, deren Struktur unübersehbar ist, sollten Anleger generell meiden.

6. Das Geschäft

Prokon hatte Anleger mit dem Versprechen gelockt, die Zinszahlungen aus der Stromeinspeisung der firmeneigenen Windräder zu leisten. Tatsächlich trugen die Strom erlöse nur einen kleinen Teil zum Profit bei. Stattdessen errichtete Prokon Windräder, deren Wert nach Fertigstellung bilanziell sofort erhöht wurde – und begründete so die Höhe der üppigen Zinsen.

Bei German Pellets sind der Hauptgewinntreiber nicht etwa Produktion und Verkauf von Pellets. Das Unternehmen erwirtschaftete zuletzt rund 61 Prozent seiner Umsätze ganz banal mit dem Handel, kaufte Pellets billiger ein und trachtete danach, sie teurer zu verkaufen. Mit mäßigem Erfolg: Die Umsatzrendite lag im letzten testierten Geschäftsjahr, 2014, bei lediglich 1,3 Prozent.

7. Die Bilanz

Wer solide wirtschaftet, verfügt über eine starke Eigenkapitalbasis. In einem der letzten untestierten Bilanzentwürfe räumte Prokon ein, dass das Eigenkapital ins Minus gerutscht sei. Der Fehlbetrag belaufe sich auf mehr als 100 Millionen Euro. Bei German Pellets betrug die Eigenkapitalquote zuletzt schmale 8,7 Prozent. Glaubt man den Anwälten aus der Telefonkonferenz, dürfte die seither weiter geschrumpft sein.

8. Das Abtauchen

Als sich bei Prokon die Widersprüche häuften, brach das Unternehmen Ende 2013 den Kontakt mit den Medien ab. Eine Vogel-Strauß-Politik, die auch German Pellets verfolgt: Seit dem Einbruch der Kurse stellte sich das Unternehmen tot, gab als Stellungnahme lediglich ab, man könne sich den Verfall nicht erklären. Ein Fragenkatalog von Capital blieb unbeantwortet.

Bricht ein Unternehmen den Kontakt zu Medien und Anlegern ab, hat es offenbar keine überzeugenden Antworten zu bieten.

Die dritte Phase der Trauer beschäftigt sich mit dem Loslassen. Sie ist wichtig, um die letzte Phase vorzubereiten: den Neuanfang. Doch bevor sich die Anleger ins nächste Abenteuer stürzen, sollten sie genau hinschauen – Prokon und German Pellets dienen als Mahnung. Bei deutschen Mittelstandsbonds stehen insgesamt 5 Milliarden Euro im Feuer.

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