Glosse Die Zen-Mönche des Kapitalismus

Sie suchen die Herausforderung? Sie wollen es auf die harte Tour? Sie haben Nerven wie Drahtseile? Dann werden Sie doch Kassierer bei Ikea!

"Menschen pesen durch Ikea,
Kinder riechen nach Nivea.
Müssen Pipi, wollen Nesquick,
Bonbons, Eis, verbreiten Hektik
– hier das Bausatzbett heißt 'Lekvik'".

So beschrieb der Kolumnist Wiglaf Droste seinen Einkauf bei Ikea, aber wer wirklich etwas Erleben will und dabei die ultimative Herausforderung sucht, dem reicht ein Einkauf am Samstag im "unmöglichen Möbelhaus" noch lange nicht aus. Die wirkliche Geißelung ist nicht das Einkaufen, sondern das Verkaufen bei Ikea.

Der schwedische Kerzenverkäufer ist sicher nicht der schlechteste Arbeitgeber, ganz im Gegenteil. Flache Hierarchien, gute Sozialleistungen und zu Weihnachten gibt es ein Präsent. Was will man mehr? Es gibt reichlich Aufgaben, die stets mit einem Lächeln auf den Lippen - so wünscht es zumindest die Geschäftsführung - gemeistert werden.

Der schönste Job bei Ikea ist definitiv der des Kassierers, denn nur hier hat man die Chance, mit den Kunden so richtig in Kontakt zu treten, mal einen kleinen Plausch zu halten oder sich einfach nur die kleinen und großen Sorgen anzuhören. Das einzige Problem dabei ist nur die Kassenschlange, die sich auch gern mal durch die SB-Halle an Billy und Ivar vorbei schlängelt. Die Arbeit ist einfach und mit nur etwa einem Dutzend Sätzen zu bewältigen. Die meisten Gespräche mit Kunden sehen etwa so aus:

Kassierer: Guten Tag!

Kunde: Kann ich die Tasche kaufen?

Kassierer: Nein, die gelben Taschen sind leider unverkäuflich.

Kunde (ungläubig): Wirklich?

Kassierer: Ja, aber wir haben die großen Blauen oder die Papiertüten für Sie.

Kunde: Kosten die Papiertüten etwas?

Kassierer: Ja, 25 Cent.

Kunde (hektisch): Ach, ich brauch gar keine Tüte.

Der Kunde legt seine Visa-Card auf den Kassentresen.

Kassierer: Wir akzeptieren leider nur die hauseigene Kreditkarte oder EC.

Kunde: Ist das neu?

Kassierer: Nein, das war schon immer so.

Kunde (ungläubig): Echt?

Kassierer: Ja, aber ich kann da gern mal jemanden anrufen und nachfragen.

Kunde: Nein, nein, ich kann ja auch bar zahlen.

Der Kunde sucht etwa fünf Minuten sein Portmonee, um dann noch einmal ebenso lange darin herumzukramen. Der Ehepartner muss dann mit den letzten fünf Euro aushelfen, leider ist dieser bereits am Auto. Nach etwa 15 Minuten regt sich langsam Protest in der hinteren Region der Schlange, einige Kunden haben sich bereits auf den Agen-Stühlen niedergelassen und verzehren genüsslich das Giffels-Gebäck aus der Tüte. Am Ende kann die Schwiegermutter dann doch noch mit dem fehlenden Geld aushelfen. Das Kind spielt dazu schrill auf der eben gekauften Blockflöte.

Kunde (will nett sein): Für Sie ist das aber auch ein langer Tag hier...

Kassierer (denkt): Wenn Sie nicht so lange brauchen würden, wäre ich schon zu Hause.

Kassierer (sagt): Schönes Wochenende!

Wenn man all dies verinnerlicht und ständig wiederholt, wird man irgendwann auch von den Albträumen mit Barcodes und Artikelnummern befreit, die jeden in den ersten Wochen an der Kasse plagen. Wer dann erst einmal Ivar von Sten und Idealisk von Koncis unterscheiden kann, wird eine Art Zen-Mönch des Kapitalismus. Umgeben von einer lauten Masse kehrt man in sich, bleibt unbeeindruckt von den Verlockungen des Geldes und hört nur noch die Melodie in seinem Kopf. Der Rest geht automatisch. Wenn nicht, wird man verrückt. Nicht umsonst heißt die Kassenzone bei Ikea "Frontline".

Ungeschriebenes Gesetz und goldene Regel zugleich ist der Umstand, dass der letzte Kunde immer und auf jeden Fall der anstrengenste ist. Der Laden ist seit 45 Minuten geschlossen, die meisten Kollegen schon auf dem Heimweg, aber zwei oder drei standhafte Kassierer harren an ihrem Laufband aus, um sich des letzten Kunden anzunehmen. Eben dieser lässt sich nicht dadurch beeindrucken, dass er alleine durch die haushohen Regale streift, nein, in aller Seelenruhe wird geprüft, vermessen und Probe gessesen, was das Zeug hält. Die Gefühle ihm oder ihr gegenüber lassen sich nur mit Medikamenten oder tiefer Meditation unterdrücken. Dann aber endlich: Der Weg zur Kasse scheint gefunden, die ersten Lichter gehen aus. Kurz vor der Ziellinie aber dann doch noch die Entscheidung: Es werden noch mehr Lila-braune Kissenbezüge benötigt und zwar jetzt sofort. Der letzte Kunde kann dann nicht einfach die Ware auf das Band legen, bezahlen und gehen. Nein, er unterzieht die Ware an Ort und Stelle einer Überprüfung, zweifelt die Korrektheit des Kassenbons an und hat garantiert noch 20 Sonderwünsche ("Ich brauche aber jedes Teil auf einer einzelnen Quittung", "Ist der Hotdog-Stand schon geschlossen?"). Je später der Abend, desto lustiger die Gäste.

Um das Personal bei Laune zu halten, ist Ikea aber gelegentlich durchaus großzügig. So wurden zum 25-jährigen Ikea-Deutschland-Jubiläum die Tageseinnahmen unter den Angestellten verteilt. Das führte dann bei der zentralen Feier für alle Mitarbeiter von Ikea Deutschland in Frankfurt zu wahren Jubelstürmen und Standig-Ovations. Dazu hatte Ikea 5.000 Gelb-Hemden an einem Samstag nach Frankfurt gefahren und da die Kassierer ja bis 17 Uhr an der Kasse sitzen, sogar geflogen. In der Messehalle fand man sich bei einer Veranstaltung wieder, die doch stark an eine Mischung aus Reichsparteitag und Mun-Sekten-Erweckungstreffen erinnerte. Ikea-Gründer Ingvar Kamprad flimmerte messiasgleich von einer Leinwand und sprach ein paar Worte des Bedauerns, nicht an dieser grandiosen Veranstaltung teilnehmen zu können, und ich glaube er hat sogar eine Träne vergossen, als er allen Mitarbeiten für ihren tollen Einsatz dankte. Danach hüpften die "Riverdance" über die Bühne. Der Masse hat's gefallen.

Das ist wie mit den Möbeln: Man lässt Menschen rund um den Globus Sperrholzplatten durch die Gegend wuchten, die dann - eigenhändig verschraubt - alle erdenklichen Formen annehmen und nennt das ganze einfach "Kult". Und was soll man sagen: Es funktioniert!

Torsten Beeck