Das Geld wird vergöttert und es wird verteufelt. Man kann ihm in seinem Leben auch einen rationalen Platz als notwendiges Zahlungs- und Werteaufbewahrungsmittel einräumen. Zur Zeit wird besonders intensiv über das Geld im Zuge der Globalisierung und wachsenden Einflusses von Finanzinteressen debattiert.
Geldströme verselbstständigen sich
Geld hat eine neue Dimension erhalten. Der Soziologe und Philosoph Oskar Negt spricht in seinem neuen Buch »Arbeit und menschliche Würde« von einer »Verselbständigung der Geldmacht und der Finanzströme, die bisher in den Alltagszusammenhang der Erwerbs- und Arbeitsgesellschaft eingebettet waren«. Er sieht darin eine der folgenreichsten und bedrohlichsten Abspaltungen von konkreten Lebenszusammenhängen. Das Geld verliert seinen medialen Charakter. Negt verweist auf den Umfang, in dem sich dieses abstrakteste Medium menschlicher Beziehungsverhältnisse von allen rechtlichen, politischen und moralischen Kontrollinstanzen der Gesellschaft abkoppelt. »Es entsteht eine Gesellschaft mit eigenen Gesetzen.«
Geld statt Gott
Kernstück der Kritik aus religiöser Sicht ist, dass im allgemeinen Bewusstsein das Geld immer mehr die frühere Stelle Gottes als alles bestimmende Macht einnimmt. Der Soziologe und Philosoph Georg Simmel setzte es schon vor hundert Jahren in seiner »Philosophie des Geldes« in Beziehung zu Gott: Das Gefühl von Ruhe und Sicherheit, das der Besitz von Geld gewährt, entspricht psychologisch demjenigen, das der fromme Mensch in seinem Gott findet.
Weniger Fromme, mehr Geldgierige
Neue Bedeutung hat das Phänomen nach dem Urteil heutiger Wissenschaftler inzwischen dadurch gewonnen, dass zumindest in der westlichen Welt die Frommen eher die Ausnahme sind. Das »liebe Geld« hat dem »lieben Gott« den Rang abgelaufen, formuliert der Theologe Hans-Joachim Höhn.
Christentum verliert an Profil
Sein Kollege Thomas Ruster mahnt ein deutlicheres Profil des Christentums gegenüber der Wirtschaft als »dominante Macht in der Welt« an. Dem Kapitalismus mit seinem Zinssystem muss die Anerkennung verweigert werden. Es gilt, alle Versuche der Vermittlung mit einer gottlosen Welt aufzugeben. Stattdessen sollte sich das Christentum nach seiner Auffassung zu den biblischen Lehren über wirtschaftliches und soziales Verhalten bekennen, einschließlich des Zinsverbots.
Umkehrung der Nächstenliebe?
Schon Moses verlangte, dass einem verarmten Menschen geholfen werden muss, ohne von ihm Zins zu nehmen. Ein Kernstück der heute fast gänzlich ignorierten Wirtschaftskritik Martin Luthers galt der Ungleichheit des Risikos zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer. Luther sah im Zins nehmenden und gewinnorientierten Wirtschaften überhaupt die systematische Umkehrung des von Gott geforderten Verhältnisses zum Nächsten. Er wollte eine Ökonomie, die sich nicht am persönlichen Gewinn, sondern am bedürftigen Nächsten orientiert.
Auch Islam denkt egalitär
In der muslimischen Welt dürfen nach dem auf dem Koran basierenden Recht keine Zinsen verlangt und gewährt werden. Kapitalgebende Banken sind zusätzlich zu ihren Gebühren am Gewinn des Kapitalnehmers beteiligt. Anleger werden statt des Erhalts von Zinsen am Gewinn oder Verlust der Bank beteiligt. Was die Solidarität mit dem Nächsten angeht, so sind alle, die über der Armutsgrenze leben, außer zu Almosen auch zu einer festen, jährlichen Abgabe, Zakat, für Ärmere verpflichtet. Diese je nach Besitz gestaffelte Abgabe ist keine Form von Wohltätigkeit, sondern der rechtmäßige Anspruch der Armen den Reichen gegenüber. Eine Bürokratie zur Eintreibung der verlangten Abgabe verbietet der Koran ausdrücklich. Der Islam ist in seiner Lehre dem Egalitarismus verschrieben. Das hat nicht verhindert, dass in vielen islamischen Ländern große soziale Ungleichheit besteht.
Laster machen eigentlich erfolgreich
Die katholische Zeitschrift »Herder-Korrespondenz« (Freiburg) macht zur Rolle des Geldes in unserer Gesellschaft geltend, dass es wenig sinnvoll ist, trotz unbestreitbarer Auswüchse, gegen das System als solches Sturm zu laufen. Zitiert wird der Theologe Falk Wagner mit der Auffassung, der »einer Individual- und Tugendethik entstammende Katalog geldbestimmter Laster wie Geldgier, Geiz, Habgier, Neid und Verschwendung« wirkt unter den Bedingungen des hoch ökonomisierten und durchgehend kapitalisierten Weltzustandes hilflos.