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US-Bundesstaat Ohio Behörden machtlos: Betreiber von Homeschooling-Netzwerk wollen Kinder zu "wundervollen Nazis" erziehen

Eine Lehrerin und ihre Schulkinder in Deutschland um 1933. Homeschooling-Anbieter in Ohio wollen aus Kindern Nazis machen
Eine Lehrerin in Deutschland verabschiedet ihre Schulkinder um 1933 mit dem Hitler-Gruß. Homeschooling-Anbieter im US-Bundesstaat Ohio wollen aus Kindern Nazis machen.
© Anonym / Picture Alliance
Sie nennen sich übersetzt Herr und Frau Sachse: Ein Ehepaar aus Ohio hat ein Netzwerk für Heimunterricht ins Leben gerufen, in dem die Kinder lernen, Schwarze und Juden zu hassen und Adolf Hitler zu lieben.

Im US-Bundesstaat Ohio macht ein Homeschooling-Netzwerk Schlagzeilen, in dem Kinder zu Nazis erzogen werden sollen. Ein Ehepaar aus Wyandot County betreibe im Messengerdienst Telegram den Kanal "Dissident Homeschool", über den es seine faschistischen Unterrichtspläne für Grundschüler an mehr als 2400 Abonnenten im ganzen Land verteilt, berichten US-Medien. Aufgedeckt hatte den Fall in der vergangenen Woche Anonymous Comrades Collective, eine Gruppe, die es sich laut ihrer Internetseite zur Aufgabe gemacht hat, Nazis, Rassisten und Faschisten zu entlarven.

Den Berichten zufolge behaupten die Eheleute, dass öffentliche Schulen von "schwulem afro-zionistischem Abschaum" geleitet würden und weisen die Eltern an, "jüdischen Medieninhalte" von ihren Kindern fernzuhalten. Im Unterricht brächten sie den Schülerinnen und Schülern bei, "Sieg Heil" zu sagen und verbreiteten eine rassistische Ideologie. So gäbe es Unterrichtspläne, in denen der Südstaatengeneral Robert E. Lee als "großartiges Vorbild für junge, weiße Männer" bezeichnet werde und der Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. als "die Antithese unserer Zivilisation und unseres Volkes".

"Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass unsere Kinder ihn als den betrügerischen, unehrlichen, aufrührerischen Neger (engl. "negro", d. Red.) kennen, der er tatsächlich war", schrieb der Administrator des Telegram-Kanals laut dem US-Magazin "Vice". "Er ist das Gesicht einer Bewegung, die städtische Gebiete ethnisch von Weißen gesäubert und das anti-weiße Regime herbeigeführt hat, von dem wir uns jetzt befreien wollen." Das Posting sei mit einem Unterrichtsplan für Grundschulkinder zum Herunterladen versehen gewesen.

In einer "Matheaufgabe" seien die Kinder aufgefordert worden, "Kriminalitätsstatistiken" zu interpretieren, mit dem Ziel, "zu erkennen, bei welchen demografischen Merkmalen man vorsichtig sein muss". In einer anderen Lektion über den menschlichen Intelligenzquotienten sei behauptet worden: "Die Schwarzen haben im Durchschnitt einen viel niedrigeren IQ als die Weißen."

Betreiber nennen sich Mr. und Mrs. Saxon

"Seit die Gruppe im Oktober 2021 gegründet wurde, hat sie sich offen zur Nazi-Ideologie bekannt und die weiße Vorherrschaft beworben, während sie Eltern stolz davon abriet, ihre weißen Kinder mit Menschen anderer Rassen spielen zu lassen oder mit ihnen in Kontakt zu treten", schreibt "Vice". "Administratoren und Mitglieder verwenden ohne Scham rassistische, homophobe und antisemitische Verunglimpfungen und zitieren täglich Hitler und andere Nazi-Führer in einem öffentlich zugänglichen Kanal."

Die Betreiber von "Dissident Homeschool" nennen sich Mr. und Mrs. Saxon (auf Deutsch: Herr und Frau Sachse) und verbergen den Netzwerknutzern gegenüber ihre wahre Identität. Anonymous Comrades Collective gelang es jedoch nach eigenen Angaben anhand biografischer Details, die das Paar auf Telegram und bei Podcast-Auftritten preisgab, sie als Logan und Katja Lawrence zu identifizieren. Die beiden leben demnach in Upper Sandusky, Ohio, sind Eltern von vier kleinen Kindern und haben einen Deutschen Schäferhund der Blondi heißt – genauso wie der Hund von Adolf Hitler. "Vice" und die US-Nachrichtenseite "Huffington Post" bestätigten nach eigenen Recherchen die Identität der Eheleute.

Laut "Huffington Post" waren die Lawrences am 5. November 2021 unter ihrem Pseudonym im Neonazi-Podcast "Achtung Amerikaner" aufgetreten und hatten erklärt, sie hätten jahrelang "von den Nazis genehmigtes Material" für die Unterrichtung ihrer eigenen Kinder gesucht und entwickelt und nun "Dissident Homeschool" ins Leben gerufen, weil sie das Material gerne weitergeben wollten. Ihr Kanal solle amerikanischen Eltern helfen, ihre Kinder selbst zu unterrichten. "Wir setzen uns sehr dafür ein, dass aus dem Kind ein wunderbarer Nazi wird", sagte "Mrs. Saxon" demnach dem Moderator des Podcasts. "Und durch Hausunterricht werden wir das schaffen."

Und auf Telegram habe Katja Lawrence als Begründung für ihr Projekt geschrieben: "Wenn wir unsere Kinder nicht zu Hause unterrichten, sind unsere Kinder den Schulen und dem schwulen afro-zionistischen Abschaum, der sie leitet, schutzlos ausgeliefert."

Die in dem Kanal vernetzten Eltern sehen das offenbar ähnlich. "Vice" zufolge schrieb dort ein Elternteil im vergangenen Jahr: "Ich möchte nicht, dass meine Kinder der schwulenliebenden, familienfeindlichen Judenfabrik der öffentlichen Schule ausgesetzt sind. Ich kann es nicht ertragen." Ein anderes Mitglied habe quasi seinen eigenen Lehrstoff angeboten und geschrieben: "Hier ist eine Übersicht über 10 Gründe, warum Hitler einer der Guten war."

Nazi-Symbole: Die Codes der neuen Rechten

Wiederholte Anfragen von "Vice" und der "Huffington Post" nach einer Stellungnahme zu den Berichten ließen die Lawrences den Medien zufolge unbeantwortet. Ein Journalist der Nachrichtenseite habe das Ehepaar auch im "Dissident Homeschool"-Kanal um einen Kommentar zu den Ergebnissen der Recherchen von Anonymous Comrades Collective gebeten. Seine Anfrage sei sofort gelöscht worden und die Administratoren hätten die Kommentar- und Chatfunktion des Kanals ausgeschaltet. Kurz darauf habe Katja Lawrence ihre Facebookseite gelöscht.

Der Leiter der Schulbehörde von Upper Sandusky, Eric Landversicht, zeigte sich von den Berichten entsetzt: "Die Anschuldigungen sind ungeheuerlich", zitiert ihn die Zeitung "The Newark Advokate". Und auch die bundesstaatliche Schulbehörde verurteilte das Netzwerk: "Es gibt absolut keinen Platz für hasserfüllten, spaltenden und verletzenden Unterricht in den Schulen von Ohio, einschließlich der Home-Schooling-Community unseres Bundesstaates", sagte Stephanie Siddens aus dem Bildungsministerium von Ohio "Vice". "Ich verurteile nachdrücklich und kategorisch die rassistische, antisemitische und faschistische Ideologie und die Materialien, die in Umlauf gebracht werden."

Schulbehörden in Ohio sind machtlos

Große Konsequenzen dürfte das Entsetzen der Behörden nicht haben, da diese im Bereich Homeschooling kaum Einflussmöglichkeiten haben: Zwar seien Eltern, die zu Hause unterrichten, verpflichtet, Kopien ihrer Unterrichtspläne beim Staat einzureichen, jedoch seien sie selbst für die Wahl des Lehrplans verantwortlich, erklärte Landversicht. "Der von den Eltern gewählte Lehrplan wird nicht vom Bezirk unterstützt oder gebilligt." Und laut den in Ohio gültigen Gesetzen sei der Bezirk verpflichtet, Kinder, deren Eltern die erforderlichen Informationen und Zusicherungen für den Heimunterricht einreichen, vom Besuch der öffentlichen Schule zu entbinden.

Rechtsgerichtete Organisationen wie die Home School Legal Defense Association hätten in den 1980er- und 1990er-Jahren eine Deregulierung des Homeschoolings in den USA erkämpft, berichtet die "Huffington Post". "Sie aktivierten Eltern, die zu Hause Unterricht erteilten, und zwangen die Gesetzgeber im Grunde dazu, alle Arten von Beschränkungen oder Schutzmaßnahmen abzuschaffen, die sichergestellt hätten, dass zu Hause unterrichtete Kinder eine gute Ausbildung erhalten und sicher sind", sagte Carmen Longoria-Green, Rechtsanwältin und Chefin einer Vereinigung für verantwortungsvollen Heimunterricht der Nachrichtenseite. "Es ist in diesem Land jetzt sehr, sehr einfach zu behaupten, dass man zu Hause unterrichtet, aber in Wirklichkeit seinen Kindern keine angemessene Bildung zukommen zu lassen. Und damit meine ich nicht einmal eine nicht-rassistische Erziehung. Ich will damit sagen, dass es in diesem Land durchaus möglich ist zu behaupten, dass man Hausunterricht gibt, und dann seinem Kind nie das Lesen beizubringen."

Was "Dissident Homeschool" betrifft, sieht Longoria-Green keine Möglichkeit für die Behörden, "Mr und Mrs. Saxon" oder andere Eltern davon abzuhalten, ihre Kinder mit Nazismus zu indoktrinieren: "Ich denke, was sie tun, ist völlig legal."

Quellen: Anonymous Comrades Collective, "Vice""The Newark Advocate", "Huffington Post".

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