Als Axel Sven Springer am 30. Oktober 1985, einem Mittwoch, nach Berlin aufbricht, weiß er nur so viel: Es geht um eine "Testamentssache". Vor der "Burg" wartet die Limousine samt Fahrer auf ihn. Um Punkt 14 Uhr verlässt der 19-Jährige das Internat Lyceum Alpinum, das von den Dorfbewohnern im schweizerischen Zuoz seiner trutzigen Bauweise wegen mit einer Festung verglichen wird. 200 Kilometer sind es bis Zürich. Dort nimmt der Springer-Enkel Axel Sven, den sie in der Familie Aggi nennen, um 18 Uhr das Flugzeug nach Berlin. Er übernachtet in der Familienvilla Schwanenwerder.
Knapp sechs
Wochen zuvor war der Großverleger Axel Caesar Springer gestorben. An diesem Donnerstagmorgen um kurz vor 9 Uhr versammeln sich seine Erben. Wenige Stunden später wird Axel Sven Springer um 240 Millionen Mark und um eine gewichtige Rolle im Verlag des Großvaters ärmer sein.
Das Testament, das Verleger-Witwe Friede Springer und der langjährige Rechtsberater des Alten, Bernhard Servatius, an jenem Vormittag präsentieren, stammt vom August 1983. Danach hätte Aggi ein Viertel des Erbes zugestanden. Doch es gibt einen Haken. Das Testament soll nicht der letzte Wille des Patriarchen gewesen sein. Servatius erklärt den versammelten Erben: Springer habe sein Testament kurz vor dem Tod noch einmal ändern wollen. Allein die Krankheit habe ihn gehindert, dies "formgültig" umzusetzen. Noch vor dem Mittagessen unterschreiben Aggi und seine Tante Barbara eine Erklärung, mit der die beiden ihren Erbteil zugunsten der anderen Springer-Nachfahren auf fünf beziehungsweise zehn Prozent reduzieren.
Heute bezeichnet
Aggis Hamburger Anwalt Oliver Heine die schnelle Nummer von damals als eine der "größten und verwerflichsten Betrugsgeschichten, die in den letzten Jahrzehnten in einer Familiendynastie abliefen". Axel Sven Springer fühlt sich getäuscht und hat die Erbenvereinbarung angefochten. Er verlangt von Friede Springer, die am stärksten vom Verzicht der beiden anderen Erben profitierte, zehn Prozent am Nachlass des Patrons zurück - darunter ein Fünf-Prozent-Paket an Europas größtem Zeitungshaus ("Bild", "Welt"). Bekommt Aggi in dem Erbstreit Recht, könnte auch Springer-Tochter Barbara Choremi Nachforderungen stellen. Das ganze Machtgefüge Friede Springers geriete ins Wanken. Zudem geht es um dreistellige Millionensummen. Friede Springer klagte, um ihrerseits die Gültigkeit der Erbenvereinbarung bestätigen zu lassen. Vor der Zivilkammer des Landgerichts Hamburg prallten die beiden Parteien vorletzte Woche erstmals öffentlich aufeinander.
Der sendungsbewusste konservative Verleger war Zeit seines Lebens unsicher, wer den Verlag nach seinem Tod weiterführen sollte. Ein Aktienpaket ließ er an die Börse bringen, ein anderes verkaufte er an Burda. Seinen letzten Willen hatte er mehrfach geändert.
Heute hält Friede Springer zehn Prozent an dem Presseimperium privat. Die Verlagsmehrheit haben die Erben fest in der Gesellschaft für Publizistik gebündelt. Außer Friede besitzen Aggi und seine Schwester Ariane Anteile, die anderen Verwandten sind längst herausgekauft. Das Sagen hat die Witwe. Sie ist alleinige Geschäftsführerin der Gesellschaft. Seit Jahren schon beharken sich die Geschwister mit ihrer Stiefgroßmutter - zum Beispiel darüber, wer in die Geschäftspost der gemeinsamen Firma gucken darf.
"Das Gespräch dauerte eine halbe Stunde"
Landgericht, Sitzungssaal 410, auf der Tafel neben der Eingangstür steht "Termin zur Güteverhandlung". Die Phalanx der angereisten Anwälte findet drinnen nebeneinander kaum Platz. Dem Richter, einem überraschend jung und ebenso nervös wirkenden Mann, ist das Justizspektakel sichtlich unangenehm. Vor allem für Friede Springer empfindet Richter Kai Mückenheim Bedauern und ringt um warme Worte zum Vermächtnis ihres Mannes. Dann schlägt er vor: Frau Springer solle doch ein paar Prozent ihrer Anteile abgeben - dem Familienfrieden zuliebe.
Doch von Frieden
ist im weiteren Verlauf der Begegnung keine Rede mehr. Aggis Anwälte stellen fest: Schon aus Formgründen sei die Erbenvereinbarung ungültig. Zudem sei sie sittenwidrig. Nichts anderes als "ein halbseidenes Drückergeschäft" an der Haustür. Man habe den 19-jährigen Aggi damals gedrängt, den Verzicht ohne Rechtsberatung zu unterschreiben, ihn dabei arglistig getäuscht. Anders als damals vorgegaukelt, habe sein Großvater wochenlang Gelegenheit für die Testamentsänderung gehabt. "Warum erinnerte Frau Springer ihren Mann nicht daran, wenn es ihm angeblich so wichtig war?", fragt Aggis Frankfurter Anwältin Jutta Stoll und unterstellt Berechnung.
Die drei Anwälte der Witwe, distinguierter im Auftreten aber ebenso hart in der Sache, werfen der Gegenseite "Dreck schleudern" vor. Für sie steht fest: Aggi, der mehr als 17 Jahre mit der Erbenvereinbarung zufrieden gewesen sei, habe sich erst von Anwälten vor deren Karren spannen lassen. Friede Springer reagiert ruhig auf die Vorwürfe. Sie sagt: "Ich hatte damals andere Sorgen." Der Richter zeigt dafür Verständnis. Das Urteil wird vertagt. Mückenheim wird sicher nicht der Letzte sein, der die Geschichte um die Ereignisse in den Wochen vor Springers Tod zu hören bekommt. Seinen Vergleichsvorschlag lehnte Friede Springer ab. Die nächste Instanz ist schon angepeilt.
In dem Erbstreit
des Clans spielt auch der Testamentsvollstrecker und Verlags-Aufsichtsrat Bernhard Servatius eine zentrale Rolle. Der heute 71-Jährige war für den jungen Axel Sven damals eine Art Vaterfigur, sagen seine Anwälte. "Onkel Bernhard" kümmerte sich um die Bezahlung des teuren Internats in der Schweiz. Und als Aggi im Januar 1985 von ehemaligen Mitschülern entführt wurde, managte vor allem Hausjurist Servatius die Verhandlungen mit den Kidnappern. Heute geht Aggi auch gegen ihn gerichtlich vor. Im ersten Anlauf unterlag er allerdings mit einer Strafanzeige wegen Betrugs. Die Ermittlungen gegen Servatius wurden eingestellt. Der Springer-Enkel hat Beschwerde dagegen eingelegt.
Welche Rolle spielte "Onkel Bernhard"?
Der Grund für Aggis Misstrauen gegen den "Onkel": Bei den Nachforschungen seiner Anwälte sei herausgekommen, dass Servatius der Erbenversammlung am 31. Oktober 1985 nicht die ganze Wahrheit gesagt habe. Der Jurist habe verschwiegen, dass er dem Verleger bereits am 3. September, also fast drei Wochen vor dessen Tod, einen Entwurf für eine Testamentsänderung zugeschickt hatte. Ein wichtiger Punkt im Prozess. "Unser Mandant ist jahrelang davon ausgegangen, dass sein Großvater erst auf dem Sterbebett die letzte Verfügung treffen wollte und nur zu schwach gewesen sei, seinen letzten Willen schriftlich zu fixieren", sagt Aggis Anwältin Jutta Stoll zum stern. "Hätte unser Mandant gewusst, dass der Testamentsentwurf wochenlang unbeachtet bei Springer auf dem Nachttisch lag, hätte er den Verzicht auf das Gros seines Erbes nie unterschrieben." Die Gegenseite sieht hier keinen Unterschied: Aggi sei alt genug gewesen um zu wissen, was er tat. Er sei über die Tragweite des Verzichts umfassend aufgeklärt worden.
Und noch ein weiteres
Ereignis macht den Enkel heute stutzig: Am 5. September 1985 war der Notar Hans-Joachim Rust zu Springer einbestellt worden, um dessen Ehevertrag mit Frau Friede zu ändern. Notar Rust notierte später: "Herr Springer war bettlägerig, freundlich aufgeschlossen. Die Beurkundung dauerte einige Minuten, das Gespräch eine halbe Stunde." Auf eine mögliche Testamentsänderung habe ihn Springer selbst nicht angesprochen. Erst zum Ende des Gesprächs "erwähnte das Ehepaar", ein Testament werde noch "handschriftlich errichtet".
Warum Springer dem Notar damals nicht einfach den vorliegenden Testamentsentwurf übergeben hätte, wurde im Prozess gefragt. Er habe die Notargebühr sparen wollen, gaben die Anwälte von Friede Springer in der Verhandlung zu Protokoll. Es wäre gar keine Gebühr fällig geworden, widerspricht die Gegenseite.
Alle Argumente
kreisen um die Wochen vor Springers Tod. Wie krank war der Patron, dass er für die Unterzeichnung oder eigenhändige Abschrift seines Testaments keine Kraft mehr besaß? Fest steht, dass der Verleger in seinem Todesjahr oft unter Fieberschüben litt. "Der Gesundheitszustand? verschlechterte sich im Laufe der Zeit zusehends", gibt Friede Springer in der Klageschrift an: "Während er am 10. September noch einen kurzen Hochzeitsgruß (an den früheren "Bild"-Chef Peter Boenisch, Anm.d.R.) schreiben konnte, konnte er am 19. September zwei Bücher nur noch unleserlich signieren."
Wirklich? Nachdem Aggis Anwälte vor kurzem das Verlagsarchiv durchstöbern konnten, widersprechen sie der Witwe heftig. Sie stießen auf Schriftstücke des Alten aus der fraglichen Zeit, die Friede Springer nicht erwähnte. Weitere Buchwidmungen zum Beispiel - aber vor allem ein Geburtstagsschreiben an Max Schmeling. Der vierzeilige Brief ist handgeschrieben, auf den 80. Geburtstag der Box-Legende vordatiert und scherzend mit "Dein alter Axel" unterschrieben. Das sei "meines Wissens der letzte kurze Brief, den er in seinem Leben geschrieben hat", gab Springer-Intimus Ernst Cramer an.
Am Freitag
in zwei Wochen findet die nächste Runde im Streit "Springer gegen Springer" vor dem Hamburger Landgericht statt. Aus einem Papier allerdings wurde bei allem Streit über Springers mutmaßlichen letzten Willen noch gar nicht zitiert - aus dem Testament. "Testamentarische und/oder gesetzliche Erben, die die Anordnungen des Testaments anfechten oder sonstwie ihre Wirksamkeit bestreiten, werden auf den Pflichtteil gesetzt", verfügte der Alte damals, und weiter: "Soweit sie auf den Pflichtteil verzichtet haben, verlieren sie damit auch diesen." Auf den Pflichtteil haben alle verzichtet. Es gibt für die Parteien also noch viel mehr zu verlieren als ein paar Prozent an einem Medienhaus.