Man muss sich einmal vorstellen, es gäbe in der Nachbarschaft so ein großes Buchkaufhaus wie Thalia in Hamburg oder Hugendubel in München. Es ist ein sehr großer Laden, mehrere Etagen, aufgeräumt, mit einer CD und DVD-Abteilung, Zeitschriften und Sonderangeboten. Es kommt einem zwar seltsam vor, dass die Angestellten oft kaum Deutsch sprechen und immer übermüdet aussehen aber sie bringen einem die Bücher, die man sucht, sofort. Auch seltsam ist, dass vor der Tür kräftige Jungs mit rasierten Schädeln und den bei Nazis so beliebten Thor-Steinar-Jacken aufpassen, dass niemand etwas klaut. Und ein paar der Jungs sind auch im Laden und singen, oder besser gröhlen in der CD-Abteilung Lieder wie "Nur die besten sterben jung" von den Böhsen Onkelz, einer angeblich geläuterten Nazi-Rock-Band.
Und weiter hinten bei den Geschichtsbüchern hocken sie und andere, meist ältere zwischen den Regalen und blättern in Büchern wie "Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum" vom Antisemitismus-Erfinder Wilhelm Marr oder in "Antisemitismus-Katechismus" des Judenhassers Theodor Fritsch. Das Exemplar "Immer wieder Nahkampf" des Landsers und Nahkampfspangen-Trägers in Gold, Ingo Möbius, ist schon abgegriffen, und die Werke des Holocaust-Leugners David Irving gibt es hier gebraucht. Man trifft auch ein paar uralte Männer weiter hinten in der Sammlerabteilung, die mit großen Lupen die Hakenkreuz-Briefmarken untersuchen, die man hier tauschen kann. Aus der DVD-Abteilung lärmt es, weil jemand einen "Landser, Panzer, Sturmhaubhitzen"-Film mit voller Lautstärke abspielt, und bei den Zeitschriften stapeln sich die neuen Landser-Hefte. So, würden sie in so einen Laden gehen? Nein?
Bücher und Musik - nicht mehr als Ware
Der Laden heißt Amazon. Im vergangenen Jahr verbuchte der Versandriese in Deutschland einen Umsatz von 8,73 Milliarden Dollar, erwirtschaftet mit billigen Leiharbeitern in den Versandzentralen, knebelharten Rabatt-Verträgen mit den Verlagen und millionen Kunden, die heute bestellen und morgen bekommen. Das neue Buch von Tom Wolfe, Lillifee-Spiele, das neue Album von Rihanna als Download, Amazon ist der Kulturversorger Deutschlands. Aber mit Amazon ist es wie mit Google – was einst als nettes, symphatisches Start-up begann, gehört heute zu den Weltmächten des Internet- und Informationshandels.
Für Amazon, das sieht man am Gründer Jeff Bezos, sind Bücher und Musik eine Ware, nichts weiter und ganz egal, was sie transportiert. Und so kommt es, dass Amazon unbemerkt auch zu einem der größten Versandhändler auch für Nazi- und Antisemitismus-Werke geworden ist. Dumpfes und hetzendes Nazi-Denken an den Stammtischen der NPD oder in den Gangs der Hakenkreuz-Skinheads findet hier sein theoretisches Futter. Bücher, die oft auch in Bibliotheken nur unter Vorbehalt einzusehen sind, können – drei, vier Klicks – bestellt werden.
Große Auswahl an braunem Sortiment
Nun kann man einem Buchhändler nicht vorwerfen, dass er nicht alle Seiten der Bücher in seinen Regalen kennt, und man kann auch sagen, dass die Geschichtswissenschaft ihre rechtskonservative Freiheit hat, und man könnte auch die Werke des judenfeindlichen Historikers Heinrich von Treitschke noch ertragen. Aber hier geht es nicht um Wissenschaft. Wer die Bücher des 2006 in Österreich zu Gefängnis verurteilten Holocaust-Leugners David Irving ("Hitlers Krieg") anbietet, muss wissen was er tut. Bei Amazon ist Irving kein Einzelfall. Beispiele: "Der Sieg des Judenthums über das Germaenthum" von Wilhelm Marr, 7,90 Euro, erschienen 1879, ist das Grundlagenwerk des Antisemitismus. "Der Wert des Lebens", 11,43 Euro, schrieb Eugen Dühring, der Hofprediger Hitlers. "Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts", zwei Bände für 26 Euro, von Houston Stewart Chanberlain ist eine der ersten antisemitischen Geschichtsschreibungen.
Der "Antisemiten-Katechismus" von Theodor Fritsch, 19,25 Euro, kommt aus dem Giftschrank der Judenhasser. Und so geht es weiter. Bei Amazon ist der Verlauf des 2. Weltkriegs auch noch ungeklärt, wenn man sich, antiquarisch, "Nürnberg oder die Falschmünzer" von Maurice Bardeche, einer polternden Siegerverschwörungstheorie der Nürnberger Prozesse, bestellen kann. Und über "Wahrheit für Deutschland – Die Schuldfrage des 2. Weltkriegs" von Udo Walendy jubelt ein Amazon-Kunde: "Dank der Agitatoren der Holocaust-Industrie galt dieses brilliante Werk als jugendgefährdend und braune Schmäh- und Propagandaschrift." Aber nun sei es ja wieder da. Ähnlich das Buch von Robert L. Brock "Freispruch für Deutschland", Klappentext: "Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg war Deutschland auch nach 1945 einer Flut von Lügen ausgesetzt ..."
Amazon: "Wir sind nicht der Anbieter"
Nun könnte man immer noch sagen, na gut, da liegen ein paar Bücher für die Unbelehrbaren, für die Großväter die immer noch glauben, ohne den Winter hätte die Wehrmacht in Stalingrad gewonnen. Es gehöre schließlich zur Freiheit der Information. Das kann man meinen. Aber muss man das meinen? Es gehört auch zur Freiheit eines Versandhandels, manches was existiert, nicht zu verbreiten. Weil es zündelt.
Vom stern auf die braune Ware angesprochen, antwortet der Versand: "Amazons Ziel ist es, seinen Kunden die größtmögliche Auswahl an Produkten zu bieten." Zur Überprüfung der Inhalte, richte sich Amazon nach "Gerichten, Staatsanwaltschaften, sowie der Bundesprüfstelle jugendgefährdender Medien", kurz gesagt, nach dem Index. Die vom stern nachgefragten Titel seien "nicht auf der Indizierungsliste der Bundesprüfstelle." Allerdings, danke für den Hinweis, habe Amazon nach der stern-Anfrage die Titel "Nürnberg und die Falschmünzer" von Maurice Bardeche und "Vorsicht Fälschung – 1000 antideutsche Lügen" von Gerhard Frey umgehend aus dem Angebot entfernt. Im Übrigen sei Amazon nicht "der Anbieter von Produkten, die von Dritten über den amazon.de-Marketplace angeboten werden." Der Anbieter nicht, der Verbreiter schon.
Auch Nazis sind Kunden
Man sieht daran also, Amazon überlässt die Kontrolle des Angebots anderen, den Gerichten, der Bundesprüfstelle oder "Dritten" die auf verbotene oder indizierte Titel hinweisen, wie Amazon mitteilt. Grundsätzlich gilt aber, das Angebot formt die Nachfrage und die wieder das Angebot. Anders gesagt, auch Nazis sind in erster Linie Kunden.
Und ganz zufriedene anscheinend, vielleicht sogar "Prime"-Kunden damit die Pakete zu ihren Parteitagen schneller ankommen. Wenn man sich ein wenig länger in der braunen Ecke von Amazon umsieht, findet man nicht nur die Antisemitismus-Schriften und die Holocaust-Leugnereien, sondern einen ganzen Gemischtwarenladen militanter Nazi-Kultur und man kann sich die Amazon-Pakete vorstellen, die in den düsteren Winkeln der NPD-Hochburgen im Osten ausgeliefert werden.
Landser-DVDs wie "Landser, Panzer, Sturmgeschütze - Der schnell voran rollende deutsche Vormarsch auf Moskau im Kriegsjahr 1941 zwang die Landser der deutschen Wehrmacht zu ungeheuren Marschleistungen", Landser-Hefte auch als Kindle-Version und CDs oder Downloads selbst der alten Platten der früheren Nazi-Band "Böhse Onkelz". Sucht man dann nach den braunen Rockern von "Störkraft" ist man mitten im jungen Sortiment: "Bekannte Soldatenlieder", "Wir sind die Skins" von Loikaemie, "Die Fäuste hoch" von Krawallbrüder oder "So sieht das aus" von Enkelz. Hier verschwimmt zwar die eindeutige Trennung von politischer Nazi-Mucke und einfach nur herbem Skin-Rock, aber den Takt von beiden machen die Springerstiefel. Man muss hier aber auch sagen, dass auch Apples iTunes-Store auf solche Käufer nicht verzichtet.
Und, machen es andere besser? Eine Stichprobe: Thalia.de bietet Theodor Fritsch, Wilhelm Marr oder Udo Walendy nicht an. Sucht man nach Büchern unter dem Stichwort "Landser" bietet Amazon 131 Titel an, Thalia.de genau 2. Einige der antisemitschen Schriften wie Wilhelm Marr und Theodor Fritsch, die Bücher von David Irving sowie Landser-Hefte sind auch bei Versandhändlern wie eBook.de zu bestellen. Amazon ist da nicht allein, aber allein der größte.