Sie wollen bei dieser Hauptversammlung mal was ganz anderes machen: Bevor RWE-Chef Peter Terium in der Grugahalle zu seiner Hauptrede am Pult anhebt, tritt er an den Bühnenrand. Hinter ihm schleichen sich mit Bitterleichenmiene sein Vorstandsvize Rolf-Martin Schmitz, Finanzchef Bernhard Günther und Personalvorstand Uwe Tigges an. Sie bleiben hinter ihm - ein Wink fürs Publikum, wer allein hier Chef ist. Blitzlichtgewitter der Fotografen. Dann beginnen die vier Manager einen Dialog über die finanziellen Probleme des Konzerns, der so hölzern und konstruiert daherkommt, dass ihn nicht einmal ein Ulrich Tukur hätte retten können. RWE, der Opfer-Stadl.
Terium sagt: "Die Krise ist bei weitem noch nicht ausgestanden. Die Zeiten werden sogar noch rauer werden." Er erzählt von seiner Familie, "wo ich zwar nicht der Kapitän bin", er aber immer wieder erfahre, wie wichtig Vertrauen und Teambildung seien. Damit gibt er mit einem "Sniff" in der Stimme das Wort weiter an "Rolf". "Rolf" gibt an "Bernhard". "Bernhard" an "Uwe". Alle jammern über die Politik. Alle loben ihre eigenen Anstrengungen und preisen die "supermotivierte" Belegschaft. Das kurze Bühnenstück mündet in einen Film, in dem gut ausgeleuchtete RWE-Mitarbeiter aus verschiedenen Sparten etwas Optimistisches in die Kamera sagen. Manche sprechen sogar Englisch, was wohl Weltläufigkeit beweisen soll. Dann ist Schluss. Die hunderten, vorwiegend betagten Aktionäre in den blauen Stühlen starren ungläubig auf die 30 Meter breite Leinwand. Terium durchbricht die Stille: "Ein kleiner Applaus ist wohl angebracht." Klapp-klapp-klapp.
RWE hält an Altbewährtem fest
Das Ätzende an dieser Bühnenshow: Die Dramaturgie setzt auf Wahrheiten auf, die in den Köpfen der RWE-Manager geboren wurden. Terium sagt immer wieder, es gebe eine "Stromkrise". Die mache RWE zu schaffen. Das klingt so, als könne man nichts für das eigene Elend. Als kaufe plötzlich niemand mehr den Strom der Essener. Aber das ist Unsinn. Die Energienachfrage im In- und Ausland ist riesig. Zugleich wird der Markt mit so viel Strom wie nie geflutet, weil immer mehr Wind- und Sonnenkraftwerke entstehen und die Kohlekraftwerke von RWE und CO. trotzdem produzieren, als wäre nichts geschehen. Wegen des Überangebots sinken die Preise an der Strombörse und damit die Umsätze der Produzenten. Wenn das die "Krise" ist, die Terium beklagt, trägt RWE selbst kräftig dazu bei.
Die zweite RWE-Gaukelei lautet, dass der Konzern für die Energiewende systemrelevant sei. "Wir brauchen die Gas- und Kohlekraftwerke noch lange", sagt Terium. Die Wissenschaft sieht das ganz anders, schon in 15 Jahren seien sie verzichtbar. Terium möchte am liebsten seine unprofitablen Meiler sofort abschalten, sie aber als Reserve weiter anbieten und dafür kassieren. Der Holländer hält diese Logik für evident, "beim Fußball bekommen ja auch die Ersatzspieler auf der Bank ihr Geld". Nur wäre das eine neue versteckte Dauersubvention im Energiemarkt, die Stromkunden oder Steuerzahler belasten würde. Das Ziel der Bundesregierung lautet dagegen, Energie im freien Markt möglichst nicht anders zu behandeln als Kartoffeln oder Autos.
Nicht so grün wie gedacht
Die dritte RWE-Hauswahrheit liegt in der Überzeugung, man sei im Turbomodus auf dem Weg zu einem grünen Konzern. Viel Wind machen die Essener etwa um ihre Smart-Home-Energiesparprodukte, die eines Tages viel Geld einbringen sollen. Die Lage bei der Stromproduktion sieht allerdings ganz anders aus: 15 Jahre nach Inkrafttreten des Erneuerbaren-Energien-Gesetz stammen gerade einmal 7,5 Prozent des RWE-Stroms aus erneuerbaren Quellen. Das ist erbärmlich, das weiß auch der Vorstand. Während der große Wettbewerber Eon sich vergangenes Jahr entschlossen hat, das antiquierte Energiegeschäft auszulagern und irgendwann abzustoßen, kleben die Essener an ihren alten Kohlekraftwerken von Rhein und Ruhr. ZU einem großen Wurf wie Eon konnte sich Terium bislang nicht durchringen.
Die vierte RWE-Fehleinschätzung betrifft die Qualität des eigenen Teams. Von Harmonie und Wir-ziehen-an-einem Strang ist wenig zu spüren, wenn man hinter die Kulissen schaut. Kreuz und quer verlaufen Fronten. Terium, gelernter Steuerprüfer, ist ohne Zweifel ein integrer, verbindlicher Mann, dessen Vertrag gerade verlängert wurde. Ein kühl kalkulierender Manager, dem es sogar gelungen ist, durch den Verkauf der Tochter Dea und einen eisernen Sparkurs für 2014 wieder einen Gewinn herbeizuzaubern. Doch ihn und seinen Weg kontrolliert der zwanzigköpfige Aufsichtsrat. Dort sitzen Manager, Arbeitnehmervertreter, Gewerkschafter, Kommunalvertreter, die alle eigene Interessen verfolgen. Das Gremium ist gespalten und muss nächstes Jahr neu besetzt werden, was äußert kompliziert werden dürfte. Vor allem nerven Terium die Kommunen, die etwa ein Viertel der RWE-Aktien halten. Sie schießen öffentlich gegen seine Pläne, sie nicht mehr automatisch mit üppigen Dividenden zu versorgen – was zwingend notwendig ist bei 31 Milliarden Schulden, die auf dem Konzern lasten.
Zeichen der Zeit verkannt
RWE geht es finanziell schlecht, keine Frage, und die Zukunft ist düster. Wenn Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel eine Klimaabgabe auf alte Kohlekraftwerke durchbringt, was er zurzeit versucht, muss das Unternehmen noch mehr bluten. Doch Mitleid ist nicht angebracht. Klimaschutz muss Vorrang haben. Grüne Energie wird immer billiger, ist jetzt schon konkurrenzfähig und entlastet auf Dauer die Wirtschaft, auch wenn Terium das Gegenteil behauptet. RWE hat sich über Jahre vom Selbstbewusstsein der Unverwundbarkeit blenden lassen und diese Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Terium beteuert zwar, er werde das Unternehmen mittelfristig wieder in die Erfolgsspur bringen. Aber was mittelfristig bedeutet und wo er neue Umsatzquellen erschließen will, erklärt er seinen Aktionären in der Grugahalle nicht überzeugend. Vielleicht weiß er es auch noch nicht. Auf den Gesichtern der Anteilseigner, die im Foyer der Grugahalle an ihren Bockwürstchen knabbern, liegt Ratlosigkeit. Ein Kleinaktionär sagt enttäuscht: "Wenn RWE ein Opfer ist, dann höchstens seiner eigenen Ideenlosigkeit."