Schreckensszenario Die Haushaltslöcher wachsen

Nach Medienberichten müssen Bund Länder und Gemeinden in diesem und den kommenden drei Jahren Steuerausfälle von bis zu 50 Milliarden Euro verkraften - mit herben Folgen für den Haushalt von Finanzminister Eichel.

Eines steht jetzt schon fest: Allenfalls die Höhe der neuen Milliardenausfälle ist noch offen, auf die sich Experten von Bund, Ländern, Bundesbank, Kommunalverbänden und Wirtschaftsforscher nach dreitägigen Beratungen am Donnerstag verständigen werden. Die Berliner Zeitung zitiert in ihrer Montagausgabe Kreise der Steuerschätzer: "Es wird dramatisch". Allein der Bund erwartet dem Bericht zufolge in diesem Jahr Mindereinnahmen von etwas mehr als drei Milliarden Euro im Vergleich zur letzten Steuerschätzung im November 2004. Im kommenden Jahr liege der Betrag mindestens doppelt so hoch, schreibt die Zeitung.

Stichwort Steuerschätzung

Der seit 1955 bestehende Arbeitskreis "Steuerschätzungen" tritt von Dienstag bis Donnerstag zum 125. Mal zusammen. Experten von Bund und Ländern, kommunalen Spitzenverbänden, Forschungsinstituten, Wirtschaftweisen, Bundesbank und Statistischem Bundesamt prognostizieren zwei Mal im Jahr die Steuereinnahmen für die öffentliche Hand. Ihre Vorhersagen bilden die Basis für die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen. In der Debatte um drohende Milliardenausfälle geht oft unter, dass die tatsächlichen Steuereinnahmen in den vergangenen zwei Jahren zulegten und sich besser entwickelt haben als zuletzt erwartet.

Die hohe Gesamtzahl von bis zu 50 Milliarden Euro für die Jahre 2005 bis 2008 ergebe sich unter anderem dadurch, dass die derzeitige schwache Konjunktur auch in späteren Jahren durch den so genannten Basiseffekt zu extremen Einnahmeverlusten führe, heiße es zur Erklärung. Die neuen Hiobsbotschaften kurz vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen sind alles andere als ein Stimmungsmacher für Rot-Grün. Denn auch die dann folgende Etataufstellung für das Wahljahr 2006 lässt Schlimmes ahnen.

Klaffende Haushaltslücke für 2006

Denn die Steuerausfälle sind nur ein Teil der Probleme von Finanzminister Hans Eichel (SPD). Eine Lücke von bis zu 20 Milliarden Euro im Etat 2006 ist nicht unwahrscheinlich. Durch die Arbeitsmarktreform Hartz IV drohen schon in diesem Jahr Mehrkosten von sechs bis sieben Milliarden Euro. Auch die Planungen für das nächste Jahr sind nach jetzigem Stand Makulatur. Denn am Ende könnten deutlich mehr Langzeitarbeitslose und Bedürftige unter das neue Arbeitslosengeld II fallen als ursprünglich gedacht.

Über die wirkliche Be- und Entlastung ihrer Haushalte durch Hartz IV streiten Bund, Länder und Kommunen seit Monaten, eine Revision der Etatposten blieb bisher aus. Es könnte passieren, dass die Kommunen vom Bund weit stärker entlastet werden, Eichel im Gegenzug aber seine Revisionswünsche nicht durch den unionsdominierten Bundesrat bekommt. "Ein Schreckensszenario", wird im Hause Eichels eingeräumt.

Auch Rentenkasse droht Lücke

Auch bei den Rentenkassen droht eine Lücke. Schon im Herbst könnten höhere Bundeszuschüsse erforderlich sein, was Eichel bisher kategorisch ausschließt. Die Union beziffert die Risiken im Bundesetat für das laufende Jahr auf insgesamt 15 Milliarden Euro. Der einstige Sparkommissar Eichel leugnet längst nicht mehr, dass es Risiken gibt. An einen Nachtragsetat denkt er aber noch nicht. Schließlich kann er auf die ein oder andere Entlastung hoffen.

So dürfte nach Polen auch Russland seine Schulden vorzeitig an Deutschland zurückzahlen und Milliarden in die leeren Kassen bringen. Zudem verfügt Eichel über ein sattes Kreditpolster, aus dem er sich bedienen könnte. Etwa 15 Milliarden Euro Kreditermächtigungen sind zusammen gekommen, die vom Parlament bewilligt wurden. Entlastung soll auch eine stärkere Beteiligung privater Investoren an Infrastrukturvorhaben bringen - aller Kapitalismus-Kritik zum Trotz.

Privatisierungserlöse fix eingeplant

Auf der erhofften Haben-Seite steht zudem weiter der Verkauf von Forderungen des Bundes gegenüber den Postpensionskassen. Hier sind mehr als fünf Milliarden Euro eingeplant. Zwei Milliarden soll zudem die umstrittene Auflösung des ERP-Sondervermögens und seine Überführung an den Bundeshaushalt bringen. Alles in allem muss Eichel in diesem Jahr Rekord-Privatisierungserlöse von mehr als 17 Milliarden verbuchen, um mit den Etatplanungen irgendwie hinzukommen.

Aber nicht nur dem Bundesfinanzminister steht das Wasser bis zum Hals, sondern auch den Ländern. Fünf haben verfassungswidrige Etats. So scheinen Eichels Hoffnungen, nach den NRW-Wahlen am 22. Mai mit der Union einen neuen Anlauf Subventionsabbau zu starten, nicht unbegründet. Schließlich, wird Eichel nicht müde zu betonen, fehlten wegen der Unionsblockade allen Kassen mehr als 17 Milliarden Euro. Angesichts der Dramatik darf eine Debatte nicht fehlen: Die um eine Mehrwertsteuererhöhung. Sie ist immer der "Notausgang" für alle Politiker, in Wahlkampfzeiten aber in jeder Partei ein Tabuthema.

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