Siemens räumt auf: Bisher waren defizitäre Sparten betroffen, jetzt erreicht die Sparwelle auch profitable Unternehmenstöchter. So auch das Würzburger Werk von Siemens VDO, einem bedeutenden Zulieferer von Kleinmotoren für die Autoindustrie. Wilhelm Sedelmayer, Betriebsrat am Standort Würzburg, versteht die Konzernführung nicht: "Die Stimmung im Werk ist beschissen." Anfang der Woche teilte die Unternehmensführung mit, dass bis Ende 2007 beim Auto-Zulieferer praktisch die komplette Produktion von Würzburg ins tschechische Ostrawa verlegt werden soll. Darauf reagierte der Verein der Belegschaftsaktionäre mit einem offenen Brief an den Siemens-Vorsitzenden: "Wir fragen Sie, (...) gilt das Bekenntnis des Hrn. Dr. von Pierer für Siemens zum Standort Deutschland auch für Sie noch?". Wird das Werk ganz geschlossen, sind 1600 Arbeitsplätze betroffen. Aber auch die zweite Variante, ein "Schrumpfungsprozess", würde 800 bis 1200 der gewerblichen Jobs kosten. In Würzburg werden elektrische und elektronische Antriebs- und Informationssysteme für die Automobilhersteller entwickelt und gefertigt.
"Katastrophe für die Region"
Wenn überhaupt, so die Konzernführung, könnten Arbeitsplätze nur dann erhalten werden, wenn die Arbeitnehmer zu schmerzhaften Einschnitten bereit sind. Die Belegschaft soll in fünf Jahren 50 Millionen Euro einsparen. Im Würzburger Werk, das laut Geschäftsbericht hochprofitabel ist, soll künftig 40 statt 35 Stunden gearbeitet werden, selbstverständlich ohne Lohnausgleich. Auch die bezahlten Pausen sollen abgeschafft werden, ebenso die Schichtzuschläge. Ein Ansinnen, das die Gewerkschaft auf die Barrikaden treibt: Die IG Metall hat für Freitag Mittag (15. April) zur Bildung einer Menschenkette rund um das Würzburger Werk aufgerufen - weitere Aktionen sind nicht ausgeschlossen.
Gewerkschaft und Betriebsräten stößt besonders bitter auf, dass die geplante Produktionsverlagerung diesmal einen profitablen Bereich wie die VDO treffen würde. Für Betriebsrat Wilhelm Sedelmayer ist die Lage klar: "Die Arbeitsplätze sollen nur aus Gründen der Profitmaximierung verlagert werden. Dafür werden in der ohnehin strukturschwachen Region Franken langjährige Mitarbeiter nach einem Jahr wahrscheinlich bei Hartz IV landen." Für die Region sei das eine Katastrophe, so Sedelmayer. Die Region Unterfranken ist durch die Bischofs- und Universitätsstadt Würzburg geprägt. Es gibt kaum Industriearbeitsplätze - und deshalb auch keine Ersatzjobs. Das nehmen die Arbeiter, mit einer durchschnittlichen Betriebszugehörigkeit von 15 bis 20 Jahren nicht einfach hin: "Unter denen kocht es, die haben eine Stinkwurt", so der Betriebsrat.
Siemens argumentiert mit Kostendruck
Als Grund für die drohende Auslagerung macht die Siemens-Führung den enormen Wettbewerbsdruck der Branche verantwortlich. Die Kunden verlangen nach immer billigeren Autos und die Autokonzerne geben diesen Preisdruck durch ihre Marktmacht an Zulieferer, wie Siemens VDO, weiter. Teilweise fordern sie von ihnen Preisnachlässe um bis zu 20 Prozent. Siemens VDO, eine der größten Konzernsparten, würde damit das gleiche Schicksal wie bereits die Mobilfunksparte ereilen: Dort hatte Heinrich von Pierer 2004 in den beiden Werken Bocholt und Kamp-Lintfort ebenfalls mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen gedroht und so die Belegschaft zu Kosteneinsparungen durch Mehrarbeit ohne Lohnausgleich gebracht.
Doch anders als die marode Mobilfunksparte machte der Würzburger Autozulieferer im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von neun Milliarden Euro Umsatz und rund 560 Millionen Euro Gewinn. In den letzten fünf Jahren stieg der Umsatz um fast 50 Prozent, im gleichen Zeitraum wurden nur 80 zusätzliche Arbeiter eingestellt. Eine Verlagerung nach Tschechien würde für Siemens eine enorme Steuererleichterung bedeuten, sogar EU-Subventionen sind möglich. Derzeit prüfen bereits Bundeswirtschaftsministerium und Finanzministerium ob man von "wettbewerbsverzerrender Verwendung von EU-Mitteln reden kann".
Autoproduktion deutschlandweit lahmgelegen
Ganz machtlos sind die Beschäftigten nicht: Bei Siemens VDO werden die kleinen Elektromotoren gebaut, die in Autos für Sicherheit und Komfort sorgen - vom ABS-System bis zum elektrischen Fensterheber. Im Würzburger Werk werden täglich 100.000 dieser Kleinmotoren für die Komponentenhersteller der Autokonzerne produziert. Würde das Werk bestreikt, wäre die Autoproduktion deutschlandweit lahmgelegt, von Audi über BMW und Opel bis zu Mercedes. Betriebsrat und Gewerkschaft versuchen dennoch, erst einmal die Gesprächsrunden fortzuführen und die Unternehmensleitung dazu zu bringen, von den Abwanderungsüberlegungen abzurücken. Oder wie es Sedelmayer formuliert: "Die Hoffnung stirbt zuletzt".