Es dauerte ein paar Minuten, bis der Verbrennungsofen in der Scheune seine Betriebstemperatur erreicht hat. Hermann Scheer brauchte dagegen nur wenige Sekunden. Hohe Preise und gierige Manager - über die Machenschaften der Energiekonzerne könnte sich der SPD-Politiker stundenlang aufregen. "Wir müssen endlich lernen, die Wahrheit zu erkennen", raunte er seinen Zuhörern zu. "Wir müssen endlich etwas tun."
Die Einwohner im hessischen Rai-Breitenbach haben etwas getan. Weil ihnen die Gas- und Ölpreise zu teuer wurden, bauten sie sich ein eigenes Kraftwerk, das Energie für ihre Heizungen herstellen soll. Am Samstag wurde die Anlage in Betrieb genommen. Hermann Scheer war gekommen, um zu gratulieren. "Was Ihr hier macht, ist Politik im besten Sinne", sagte er.
Kein billiges Unterfangen
Dass es sich bei dem scheunenartigen Gebäude um keinen Hühnerstall handelt, ist von außen nicht sofort erkennbar. Einzig der Geruch von nassem Holz lässt ahnen, dass hier etwas anderes lagert: Kleingehackt bildet das Holz den Rohstoff, aus dem das Biokraftwerk Wärme gewinnt. Aus dem Lager wird es über ein automatisches Förderband in einen fast sechs Meter hohen Kessel befördert. Darin wird es erhitzt, bis es brennt. Die dadurch gewonnene Energie wird über insgesamt acht Kilometer lange Rohre an die Haushalte transportiert. Dort speist sie ein so genannter Wärmeumwandler ins Heizsystem ein.
Ein aufwendiges und vor allem teures Projekt, hinter dem kein Unternehmen und keine Gemeinde steckt. Initiiert und organisiert wurde das Biokraftwerk von der Bevölkerung. 3,2 Millionen Euro hat es insgesamt gekostet. Knapp 700.000 Euro haben die Bürger selber aufgebracht, der Rest wird aus Zuschüssen und Krediten finanziert. "Insgesamt wird es für unsere Genossenschaft ein Null-Geschäft werden", sagte deren Vorsitzender Horst Stapp. Er sitzt in der ersten Reihe, direkt vor Hermann Scheers Rednerpult, und wischt sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
Die vergangenen zwei Jahre, sagte er immer wieder, seien sehr anstrengend gewesen. Doch es habe sich gelohnt. Etwa 80.000 Euro werden die Bürger durch den Verkauf überschüssigen Stroms im Jahr umsetzen - das reicht, um die Kredite in acht bis zehn Jahren abzubezahlen. "Danach können wir das Geld zum Beispiel auf die Preise anrechnen", sagte Stapp. 8,95 Cent pro Kilowattstunde wird die Wärme zunächst kosten. Später möglicherweise noch weniger.
Die Idee entstand auf einer Fahrt nach Niedersachsen. In Jühnde gibt es bereits ein ähnliches Heizkraftwerk, das allerdings erheblich mehr Unterstützung erfährt, als Horst Stapp. Er stand zunächst alleine da, als er mit seiner Idee versuchte, möglichst viele Einwohner zu überzeugen. Stapp ist Ortsvorsteher - er kennt seinen Ort genau. Möglicherweise war das ein Grund, warum es nur ein halbes Jahr dauerte, bis sich über 100 Mitstreiter gefunden hatten. Heute, zwei Jahre später, sind es 150. Damit sind fast alle Haushalte aus dem Dorf vertreten.
Die Einwohner von Rai-Breitenbach organisieren sich ihre Wärme eigenständig und ehrenamtlich. Dass sie damit mal ein so gutes Geschäft machen würden, haben sie nicht erwartet. "Als wir gestartet sind, konnte ja keiner ahnen, wie sich der Ölpreis noch entwickeln würde", sagte Stapp. "Wir hatten eigentlich vor, die Wärme zunächst zum gleichen Preis wie bei den herkömmlichen Heizmethoden anzubieten und dann später langsam runterzugehen." Nun rechnen er und seine Mitstreiter mit einer Ersparnis von über 30 Prozent pro Person.
4500 Euro Einlage
Heizen wird immer teurer. Obwohl der Ölpreis an der New Yorker Rohstoffbörse in den vergangenen Wochen wieder zurückging, ist er mit etwas über 115 Dollar pro Fass immer noch doppelt so hoch wie vor drei Jahren. Die Prognosen geben keinen Grund zur Hoffnung: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet bis 2018 mit einem Ölpreis von über 200 Dollar. Weil auch das Gas an diese Entwicklung gekoppelt ist, bleibt kaum ein Haushalt verschont.
Es ist nicht nur das Geld, es ist auch das Prinzip, um das es den Einwohnern von Rai-Breitenbach geht. Unabhängig von den Konzernen und Behörden zu sein - das ist auch für Klaus Walczik ein gutes Gefühl. Seit 27 Jahren lebt er hier im Dorf, hat bevor er in Rente ging in der Energiebranche gearbeitet. Wie alle anderen musste auch er insgesamt 4500 Euro für die Genossenschaftseinlage, den Anschluss der Rohre und den neuen Heizkörper bezahlen. Seinen gerade erst sieben Jahre alten Ölkessel wird er abmontieren lassen. "Ich will nicht irgendwelchen Öl-Monopolisten in Moskau oder Dubai ihre Paläste finanzieren", sagte Walczik. "Hier in Rai-Breitenbach weiß ich wenigstens, dass das Geld an der richtigen Stelle ankommt."
Argumente, von denen sich auf Anhieb viele Einwohner überzeugen ließen. Skeptiker gab es kaum. "Wir hatten ein sehr geringes finanzielles Risiko", erinnerte sich Walczik. "Es hätte eigentlich nur am Anfang schief gehen können, wenn uns das beauftragte Ingenieursbüro gesagt hätte, dass es nicht funktioniert." Bis dahin hatten alle Genossenschaftsmitglieder jeweils nur 150 Euro investiert. "Das hätten wir verkraftet." Zum Schluss der Eröffnungsfeier ergriff Horst Stapp noch einmal das Mikrofon. "Ich möchte Ihnen noch einige Initiativen vorstellen, die es uns in anderen Gemeinden in ganz Deutschland nachmachen wollen", sagte er. "Ihnen möchte ich sagen: Fahren Sie nach Hause und erzählen Sie allen, dass es geht. Wenn man nur hartnäckig bleibt."
Hartnäckig waren sie in Rai-Breitenbach - so sehr, dass sie nun auch das nächste Projekt angehen. Weil die Deutsche Telekom in das entlegene Dorf keine Breitbandleitungen verlegen will, werden es Stapp und seine Mitstreiter einfach selber tun. "Dafür haben wir zusätzlich zu den Heizungsrohren noch leere Rohre verlegt, die man einfach nutzen kann", sagte der Ortsvorsteher. "Wenn die in den Konzernen und Regierungen nichts für uns tun, dann machen wir es halt selbst."