Reaktion auf Werkvertragsverbot Tönnies gründet 15 Tochterfirmen: Was steckt dahinter?

Clemens Tönnies
Clemens Tönnies steht unter Druck, sein Geschäftsgebahren zu ändern
© David Inderlied/dpa / Picture Alliance
Werkverträge in der Fleischindustrie sollen verboten werden – außer für Firmen mit weniger als 50 Mitarbeitern. Gleichzeitig gründet Tönnies 15 Tochterunternehmen, in denen die Arbeiter neu angestellt werden sollen. Die Konstruktion weckt Argwohn, der Konzern spricht von einem normalen Vorgang.

Der Corona-Ausbruch bei Tönnies hat offenbart, was viele ohnehin seit Jahren wussten: Die Arbeitsbedingungen in industriellen Großschlachtereien sind skandalös. Schlecht bezahlte Arbeiter schuften bis zum Umfallen, die Verantwortung delegieren Tönnies und Co. mit Hilfe von Werkverträgen an Subunternehmer.

Damit soll nach dem Willen der Politik bald Schluss sein. Die Bundesregierung hat am Mittwoch ein Gesetz auf den Weg gebracht, das strengere Regeln für die Fleischindustrie vorsieht. Wichtigste Maßnahme: Ab Januar 2021 dürfen Arbeiter, die Tiere schlachten und zerlegen, nicht mehr über Werkverträge beschäftigt werden, ab April 2021 auch nicht mehr als Leiharbeiter. Stattdessen müssen sie vom Betrieb direkt angestellt werden.

Sinnvolle Ausnahme oder Schlupfloch?

Der Gesetzentwurf, der noch vom Parlament verabschiedet werden muss, sieht allerdings eine Ausnahme vor: Das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit gilt nicht für Betriebe, die weniger als 50 Mitarbeiter haben. "Die Fleischerei auf dem Lande ist nicht das Problem", sagte Arbeitsminister Hubertus Heil dazu.

Mit der Regelung will die Bundesregierung also kleinere, regionale Betriebe schützen. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) kritisiert die Ausnahme allerdings als viel zu weit gefasst. "Um den kleinen Metzger zu schützen, hätte auch eine Ausnahme für Betriebe bis zehn Beschäftigte gereicht", sagt NGG-Sprecherin Karin Vladimirov zum stern. "Wir sehen die Gefahr, dass das ein Schlupfloch werden könnte."

Tönnies' neues GmbH-Wirrwarr

Für Argwohn sorgt bereits jetzt die Reaktion von Tönnies auf das geplante Gesetz: Am 14. Juli hat Tönnies beim Amtsgericht Gütersloh 15 neue Tochterfirmen eintragen lassen. Sie lauten "Tönnies Production I GmbH", "Tönnies Production II GmbH" und so weiter bis zur "Tönnies Production XV GmbH". Alle 15 Unterfirmen haben laut Handelsregistereintrag den gleichen Zweck: "Herstellung und Vertrieb von Fleischwaren aller Art einschließlich der Schlachtung, Zerlegung und Kommissionierung sowie Be- und Verarbeitung zu handelsfähigen Endprodukten aus Fleisch und Fleischbestandteilen."

"Dass das zeitgleich mit dem neuen Gesetz passiert, wirft Fragen auf", sagt Gewerkschafterin Vladimirov. Die wichtigste: Warum braucht der Tönnies-Konzern, zu dem ohnehin schon ein Dutzend Tochtergesellschaften gehören, jetzt nochmal 15 neue Töchter, die alle das Gleiche tun? Stellt der Konzern jetzt in jeder Tochtergesellschaft nur 49 Menschen an, um sich unter die Ausnahmeklausel zu mogeln, wie manche Beobachter in den sozialen Netzwerken mutmaßen?

"Das System Tönnies" – TVNOW-Doku mit Tamer Bakiner
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© TVNOW
"Das System Tönnies" – neue Doku gibt Einblicke in die dunkle Welt der Fleischindustrie

Tönnies weist Vorwürfe zurück

Zumindest Letzteres kontert Arbeitsminister Heil via Twitter mit dem Hinweis, die Ausnahme gelte nicht für Tönnies' neue Tochterfirmen, sondern nur für Handwerksbetriebe. Und auch Tönnies-Sprecher Markus Eicher weist solche Vorwürfe gegenüber dem stern zurück. "Wir haben angekündigt, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kernbereichen der Produktion direkt anzustellen. Dabei bleibt es uneingeschränkt."

Bei der Gründung der Töchter handelt es sich laut Tönnies um einen "völlig normalen Vorgang in einem internationalen Konzern". Für die anstehenden Festanstellungen brauche es rechtliche Grundlagen, sagte Konzernsprecher Eicher. "Es ist momentan noch völlig unklar, welche Organisationsformen das geplante Gesetz vorsieht. Vorsorglich haben wir deshalb diese Gesellschaften gegründet. Mit diesen könnten wir Direkteinstellungen an verschiedenen Standorten und für die verschiedenen Gesellschaften im Konzern schnell umsetzen."

Gewerkschaft bleibt kritisch

Bislang ist allein am Stammwerk in Rheda-Wiedenbrück etwa die Hälfte der 7000 Beschäftigten über rund zwei Dutzend Subunternehmer angestellt. Die ersten 1000 Werkvertragsmitarbeiter will Tönnies nun bereits bis Mitte September fest anstellen, der Rest soll folgen.

Dass der Konzern das Geflecht an Subunternehmern durch ein Geflecht an Tochterfirmen ersetzt, sieht die Gewerkschaft dennoch kritisch. "Wir werden sehr genau hinschauen, wer wo angestellt wird", sagt NGG-Sprecherin Vladimirov. Sie befürchtet: Selbst wenn Tönnies seine Tochterfirmen nicht als kleine Handwerksbetriebe laufen lassen kann, die vom neuen Gesetz ausgenommen sind, so könne sich der GmbH-Wirrwarr trotzdem zum Nachteil der Beschäftigten auswirken. So sei etwa die Gründung von Betriebsräten in kleinen Einheiten erschwert.

Die Gewerkschaft werde Tönnies, Westfleisch und Co. daher weiter genau auf die Finger schauen. "Es wäre nicht das erste Mal, dass in der Branche gesetzliche Regelungen und freiwillige Selbstverpflichtungen umgangen werden", sagt Vladimirov.