Nachhaltig ist ein Wort, das jeder Politiker gern ausspricht. Es klingt so modern. Als würde man stets an die Zukunft denken. An die nachwachsende Generation, an die Umwelt. Ein Wort zum Wohlfühlen. Nur im Alltag vergessen Politiker die Nachhaltigkeit schnell. Nehmen wir die gesetzliche Krankenversicherung. Sie hat inzwischen ein Finanzpolster von knapp 20 Milliarden Euro angesammelt. 20 Milliarden Euro Reserven - was für eine schöne Nachricht. AOK, Barmer und Co verkünden keine Horrornachrichten über Pleiten oder Milliardenlöcher. Ihnen geht's bombig. Das liegt aber nicht an irgendwelchen Reformen. Die schwarz-gelbe Koalition hat Glück. Sie profitiert von der guten Konjunktur. Noch nie hatten so viele Menschen einen Job, und so fließen kräftig Sozialbeiträge. Die Krankenkassen erleben paradiesische Zeiten, so etwas kannten sie in den vergangenen Jahrzehnten nicht.
Zurücklegen statt verschleudern
Es wäre die richtige Zeit für eine nachhaltige Politik. Wir verschleudern nicht die Milliarden, sondern legen sie für schlechte Zeiten zurück. Keiner weiß, wie lange die Konjunktur noch gut läuft. Ende vergangenen Jahres ließ das Wirtschaftswachstum bereits kräftig nach. Die Krise um den Euro schwelt weiter und könnte teuer werden. Im Gesundheitswesen sind die Ausgaben für Arzneien, nachdem sie im vergangenen Jahr kräftig gesunken sind, im Januar hochgeschnellt. Viele Spargesetze laufen ohnehin bald aus, die Kosten werden steigen. Schließlich sind 20 Milliarden Euro im Gesundheitssystem auch nicht so viel Geld, wie es sich anhört. Die Kassen können damit etwa die Ausgaben eines Monats bezahlen.
Für das Geld zusammenzuhalten, spricht vieles. Das Land wäre für rauere Zeiten besser gerüstet. In der nächsten Krise müsste die Regierung nicht wieder sparen oder gar die Beiträge anheben. Die Politiker würden nicht nur über Nachhaltigkeit reden, sie würden Nachhaltigkeit tun.
Keine neue Bescherung
Aber keiner denkt daran. Die Regierung will die Reserven plündern. Finanzminister Wolfgang Schäuble möchte den Steuerzuschuss an die Kassen streichen, um seinen Haushalt zu sanieren. Gesundheitsminister Daniel Bahr will das Geld an die Versicherten ausschütten, um sich als Wohltäter zu profilieren. Die Ärzte halten weiter die Hand auf, obwohl sie ordentlich verdienen. Das Durchschnittsgehalt eines niedergelassenen Arztes liegt nach Schätzungen des Spitzenverbands der Kassen bei über 162.000 Euro. Auch viele Klinikärzte bekommen gute Gehälter. Aber die Milliarden der Kassen wecken Wünsche.
Das Gesundheitswesen braucht keine neue Bescherung. Es gibt wichtigeres zu tun, als Geld unter die Leute zu bringen. Wie wäre es, wenn sich die Regierung mal den drängenden Problemen widmen würde. Warum etwa finden die Menschen in armen Stadtteilen oder auf dem Land immer noch keinen Arzt, obwohl das Problem seit Jahren bekannt ist? Warum werden die Lasten der Krankenversicherung nicht gerechter verteilt? Geringverdiener zahlen von ihrem Einkommen, prozentual betrachtet, viel mehr als Besserverdiener. Warum steigen die Prämien für arme Privatversicherte im Alter so stark, dass sie kaum bezahlen können?
Sich um diese Nöte zu kümmern, wäre sinnvoller, als die Kassen von AOK und Co. zu leeren. Wir werden die Milliarden noch brauchen. So schön wie heute werden die Zeiten nicht lange bleiben.