Wenn Paketbote Arne Oltmanns vorfährt, begleiten ihn weder Auspuffgestank noch Motorenlärm. Fast lautlos radelt der UPS-Fahrer mit seiner bis zu 250 Kilo schweren Fracht durch die Straßen der Hamburger Innenstadt. Und vor allem: Selbst wenn Oltmanns in zweiter Reihe parkt, kommt man noch mit dem Auto vorbei.
Der 28-Jährige ist mit einem Cargo Cruiser unterwegs, einem elektrischen Lastenfahrrad, dreieinhalb Meter lang, etwa mannshoch und deutlich schmaler als die wuchtigen Paket-Lkw, die in diesen Vorweihnachtstagen die Straßen verstopfen. "Die ersten Meter bei voller Ladung sind anstrengend, danach läuft's wie von selbst", sagt Oltmanns und tritt in die Pedale. Einen Führerschein braucht er für das Spezialrad nicht, was sich gut trifft, denn Oltmanns hat gar keinen.
Mit Lastenrädern und zu Fuß
Die Paket-Zustellung per E-Bike ist Teil eines Modellversuchs, den UPS 2012 in Hamburg startete und mittlerweile auf weitere Innenstädte ausgeweitet hat. Die Idee: Statt jeden Tag mehrere sperrige Fahrzeuge mit Paketen durch die verkehrsreichen Innenstädte zu quälen, wird am frühen Morgen nur einmal ein vollgeladener Container in die City gekarrt und in einer Seitengasse abgestellt. Neben Emissionen spart UPS so auch Fahrzeuge und Fahrer ein, letztere sind im boomenden Paketgeschäft derzeit nicht leicht zu bekommen.
Den Container nahe des Hamburger Gänsemarkts laufen und fahren drei Boten per Fahrrad oder zu Fuß immer wieder an und verteilen die Ware an die Empfänger in fußläufiger Entfernung. Oltmanns lädt seinen Cruiser drei bis vier Mal neu, bevor das Tagessoll erledigt ist.

Die Weihnachtszeit ist auch für Oltmanns stressiger als sonst - um die 150 Pakete fährt er täglich mit seinem E-Bike aus. Zwar muss er auf seiner Innenstadttour vor allem Ladengeschäfte und Büros beliefern, sodass ihm die Amazon-Bestellorgie privater Haushalte erspart bleibt. Dafür muss er die Geschenke ausliefern, die Unternehmen ihren Firmenkunden zukommen lassen. "Vor allem Weinflaschen sind sehr beliebt", sagt Oltmanns und verdreht die Augen. Auf seiner persönlichen Hitliste der undankbarsten Warenlieferungen verdrängen die schweren Getränkekartons in der Vorweihnachtszeit kurzzeitig sogar die Druckerpapierbestellungen von Platz eins.
Weinkisten für den 22. Stock
Oltmanns fährt beim "Emporio" vor, einem 23-stöckigen Büroturm mit Blick über die Hamburger City und die Alster. Eine komplette Cruiser-Ladung ist allein für die hier ansässigen Firmen gedacht - IT-Firmen, Schifffahrtsunternehmen, Investmentgesellschaften. Statt von Haus zu Haus geht es für Oltmanns von Stockwerk zu Stockwerk. Die vier Weinkisten sollen in die schicken Räume der Reederei im 22. Stock des gläsernen Hochhauses. Zum Glück gibt’s einen Aufzug. In dem trifft der UPS-Mann auch den DHL-Kollegen, mit dem er sich kurz darüber austauscht, in welchen Nachbargebäuden welcher Aufzug mal wieder defekt ist.
Seine alkoholische Lieferung wird in den Büros hoch oben schon freudig erwartet - was nicht selbstverständlich ist. Regelmäßig irrt Oltmanns mit Weihnachtspräsenten durch die Gegend, deren Empfänger schon längst verzogen sind. "Die darf ich dann wieder mit zurück schleppen." Immerhin hat sich die Sache mit dem Fisch in diesem Jahr nicht wiederholt. Im letzten Jahr ließ eine Firma allen ihren Geschäftspartnern zu Weihnachten ein Paket mit frischem Fisch zukommen. Warum, hat Oltmanns nicht verstanden, ausliefern musste er die Kühlboxen natürlich trotzdem.

Der Chef mit der offenen Hose
Grundsätzlich mag sich Oltmanns über seine Firmenkunden aber überhaupt nicht beschweren. Meistens liefert er die Ware einfach beim freundlichen Empfangspersonal ab. Das Durchklingeln eines halben Wohnhauses, bis mal jemand öffnet - wie es andere Paketboten von Mehrfamilienhäusern kennen - fällt weg. Und auch verpennte Menschen in Schlafanzug oder ganz ohne Klamotten öffnen ihm in der gehobenen Hamburger City eher selten die Türen. Wobei: "Einmal hatte ich einen Chef, der ganz hastig mit aufgeknöpftem Hemd und offener Hose an die Tür gelaufen kam. Den habe ich wohl bei irgendwas unterbrochen."
Gut kann er sich auch noch an den Auftrag einer Firma erinnern, die lediglich in ein anderes Büro 50 Meter weiter zog. Statt die 80 Kisten von einem Umzugsunternehmen rübertragen zu lassen, engagierte die Firma UPS: Oltmanns holte die Kisten ab und schickte sie vorschriftsmäßig ins Zentrallager. Am nächsten Tag kamen die Kartons aus dem Lager zurück und Oltmanns lieferte sie zwei Häuser weiter wieder aus.
Branche mit prekären Arbeitsbedingungen
Mit seinem Job und den Arbeitsbedingungen ist Oltmanns sehr zufrieden. Er ist sozialversicherungspflichtig als Helfer angestellt und verdient über 14 Euro die Stunde. Das ist ordentlich in einer Branche, in der prekäre Arbeitsbedingungen fast die Norm sind. Laut einer Antwort der Arbeitsagentur auf eine Anfrage der Linksfraktion verdient mehr als die Hälfte der Vollzeitaushilfen bei den Post- und Zustelldiensten weniger als 10,50 Euro die Stunde. Subunternehmer, die noch schlechter zahlen, seien von dieser Statistik noch nicht einmal erfasst, sagt Pascal Meiser, gewerkschaftspolitischer Sprecher der Linken im Bundestag. Etwas besser dran sind die Fachkräfte, von denen nur jeder Fünfte unter der genannten Niedriglohnschwelle verdient.
Auch Arne Oltmanns könnte noch etwas besser verdienen, wenn er von seinem Lastenrad-Posten ins Führerhaus eines UPS-Kraftfahrzeugs wechseln würde. Daher hat er für 2019 auch einen wichtigen Vorsatz: Im kommenden Jahr will Oltmanns seinen Führerschein machen.