VW-Gesetz Das Ende der Schonzeit

  • von Claus Gorgs
Der Europäische Gerichtshof entscheidet in dieser Woche über das einzigartige VW-Gesetz. Das Urteil beendet die fast 50 Jahre andauernde Schonzeit des Autokonzerns und könnte Porsche den Weg zur Übernahme von VW ebnen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) dürfte am Dienstag das sogenannte VW-Gesetz kippen. Die in Deutschland einzigartige Regelung schützt den Automobilkonzern seit 1960 vor Übernahmen. Der Generalanwalt beim EuGH hat sich bereits für die Abschaffung des Gesetzes ausgesprochen - nach Ansicht der EU-Kommission widerspricht es dem Europarecht. In rund 80 Prozent aller Fälle folgt das Gericht dem Antrag seines Generalanwalts. Geschieht dies auch am Dienstag, geht ein Kapitel deutscher Industriegeschichte zu Ende. Die komplexe Verflechtung von Politik, Gewerkschaften und Unternehmen bei Europas größtem Autobauer würde aufgelöst.

Sollten die Richter das Schutzgesetz kippen, würden sie dem größten Volkswagen-Aktionär Porsche den Weg zur Übernahme von Europas größtem Autobauer ebnen. Der Stuttgarter Sportwagenhersteller besitzt bereits 31 Prozent der Anteile - und hat Pläne sein Paket auf mehr als 50 Prozent aufzustocken. Wie schnell dies zu Umwälzungen in Wolfsburg führen wird, ist jedoch unklar. "Ich denke, wer radikale Änderungen erwartet, liegt falsch. So wie VW strukturiert ist, wird es für Porsche sehr schwer werden, schnelle Veränderungen bei dem Unternehmen durchzusetzen", sagte ein Londoner Analyst, der ungenannt bleiben wollte.

Maximal 20 Prozent der Stimmrechte pro Aktionär

Das VW-Gesetz beschränkt die Stimmrechte jedes einzelnen Aktionärs auf maximal 20 Prozent, unabhängig davon, wie viele Anteilsscheine ein Investor tatsächlich hat. Eine Übernahme war damit bislang faktisch unmöglich. Zudem haben das Bundesland Niedersachsen und die Bundesregierung nach diesem Gesetz Anspruch auf zwei Sitze im Aufsichtsrat von VW - sofern sie mehr als eine Aktie halten.

Auf Niedersachsen, einen großen Befürworter des Gesetzes, trifft dies zu. Allerdings ist das Bundesland mit rund 20 Prozent ohnehin zweitgrößter Aktionär von Volkswagen. Demnach spricht einiges dafür, dass es auch nach dem Wegfall des VW-Gesetzes seine zwei Aufsichtsratsmandate behält. Insgesamt umfasst das Gremium 20 Mitglieder, 10 davon sind Arbeitnehmervertreter.

Unabhängig davon, wie die Entscheidung des EuGH am Dienstag ausfällt - es ist nicht davon auszugehen, dass das Gesetz sofort außer Kraft gesetzt wird. Daneben hat VW ein internes Problem zu lösen: Das VW-Gesetz ist in der Satzung des Konzerns verankert. Um diese zu ändern, ist eine 80-Prozent-Mehrheit bei einer Jahreshauptversammlung erforderlich. Das bedeutet: Niedersachsen hat über seine Beteiligung bei fast allen Änderungen ein Vetorecht. Der Großaktionär aus Stuttgart macht jedoch unmissverständlich deutlich, dass er eine Verzögerungstaktik der Landesregierung in Hannover nicht dulden wird. Zur Not, lassen Porsche-Manager durchblicken, werde man die erforderliche Satzungsänderung nach dem EuGH-Urteil gerichtlich durchsetzen.

Aktienbeteiligung soll nicht verkauft werden

Bislang hat Niedersachsen die Karten nicht auf den Tisch gelegt. Man habe weder vor, die Beteiligung auf die übliche Sperrminorität von 25 Prozent auszudehnen, noch wolle man seine Beteiligung verkaufen, hieß es. Laut Porsche-Chef Wendelin Wiedeking will das Unternehmen über Optionen mit Anspruch auf einen Barausgleich seine Beteiligung an VW deutlich erhöhen. Die meisten Experten gehen von einer Aufstockung auf rund 50 Prozent oder mehr aus.

Das interne Machtgefüge bei Porsche dürfte dabei eine große Rolle spielen. Investoren bauen darauf, dass Wiedeking die Gewerkschaften und Niedersachsen in die Schranken weist. Sie machen diese für jahrelange schwache Ergebnisse bei Volkswagen verantwortlich. Der jetzige VW-Aufsichtsratschef und Porsche-Mehrheitsaktionär Ferdinand Piëch zeigte während seiner Zeit als Volkswagen-Chef wenig Interesse an Reformen und pflegte gute Beziehungen zu den Gewerkschaften und dem Betriebsrat. Branchenkenner gehen davon aus, dass sich Piëch gegen Wiedeking durchsetzt und die Rufe nach Reformen dämpft.

Das wäre auch im Interesse von Vorstandschef Martin Winterkorn, der als loyaler Vertrauter Piëchs gilt. Wie auch immer der EuGH urteilt - die Machtfrage bei Volkswagen ist noch nicht entschieden.

FTD