Der frühere EU-Handelskommissar Pascal Lamy (58) ist am Donnerstag zum neuen Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO) ernannt worden. Er kündigte sogleich an, dass der erfolgreiche Abschluss der laufenden Doha-Runde für ihn Vorrang habe. Gegen den Franzosen hatte sich keiner der 148 WTO-Mitgliedstaaten auf der Jahrestagung der Organisation in Genf ausgesprochen. Somit galt er als der fünfte WTO-Generaldirektor gewählt. Lamy, der am 1. September den Thailänder Supachai Panitchpakdi ablöst und für fünf Jahre nominiert ist, hatte sich gegen drei Kandidaten aus Schwellen- und Entwicklungsländern durchgesetzt.
Auf den Wirtschafts- und Politikprofi kommen schwere Aufgaben zu. So muss er die seit 2001 laufende und nach der Hauptstadt des Scheichtums Katar, Doha, benannte zweite große Handelsrunde zu Ende bringen. "Dies hat für mich die erste, zweite und dritte Dringlichkeitsstufe", ließ Lamy in einer Erklärung verlauten. "Wir wollen sicherstellen, dass das Interesse der Entwicklungsländer im Mittelpunkt des Welthandelssystems stehen wird." Derzeit laufen schwierige Beratungsrunden über Zölle und Subventionen im Agrarbereich, dem Knackpunkt der Doha-Runde zur Liberalisierung des Welthandels. Im Dezember ist in Hongkong ein WTO-Ministertreffen geplant, das nicht wie 2003 im mexikanischen Cancun scheitern soll.
Ein WTO-Generaldirektor hat keine wirkliche Macht
Zudem schwelt ein Streit zwischen der EU und China um Textilexporte. Die EU-Kommission hat gerade Eilverhandlungen mit China zur Drosselung der Exporte im Rahmen der WTO beschlossen, falls nicht bis zum 31. Mai eine Einigung gefunden wird. Die EU verlangt weniger Ausfuhren von T-Shirts und Leinengarn. Der größte Handelsstreit droht sich aber zwischen Europa und den USA über die Milliarden-Subventionen für Flugzeugbauer zu entzünden. Beide Seiten werfen sich bereits seit Jahren gegenseitig vor, den Bau neuer Flugzeuge durch illegale Beihilfen zu subventionieren.
Dazu klopfen unter anderem noch der Iran und Russland an die WTO-Tür. Diplomaten trauen dem 58-Jährigen aber zu, diese Probleme in den Griff zu bekommen. Am Donnerstag öffneten die USA Teheran die Tür in Richtung WTO, indem sie erstmals keinen Widerstand gegen Beitrittsverhandlungen einlegten.
Ein WTO-Generaldirektor hat keine wirkliche Macht, mit denen er die WTO-Staaten beeindrucken kann. Da Entscheidungen bei der WTO im Einvernehmen getroffen werden, kommt es auf sein Verhandlungsgeschick an. Die 1995 gegründete WTO ist die einzige internationale Organisation, die den Welthandel regelt und Streitigkeiten unter Handelspartnern lösen hilft. Sie ist Nachfolgerin des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (General Agreement on Tariffs and Trade/GATT). Hauptsitz ist Genf, wo 630 Mitarbeiter in diesem Jahr einen Haushalt von rund 110 Millionen Euro verwalten.