Die Pressemeldung mit der Nummer 60, die am 16.06. 2011 um 11:10 Uhr in die E-Mail-Fächer der Redaktionen trudelte, ließ in ihrer Nüchternheit keinen Spielraum für Fehlinterpretationen. Es ging jetzt nicht mehr um weitere "zeitnahe Gespräche" zwischen dem Bundestrainer Joachim Löw und dem von ihm zwangsverrenteten Kapitän Michael Ballack, wie so oft zuletzt. Löw und mit ihm offenbar der gesamte Deutsche Fußball-Bund wollten diesmal ernst machen, schon die Überschrift ließ keine Zweifel: "Löw plant nicht mehr mit Ballack."
Es folgten dürre Zeilen des Dankes, die jene riesige Distanz zum Ausdruck bringen, die sich längst zwischen Löw und seiner neu modellierten Nationalmannschaft auf der einen und Ballack auf der anderen Seite auftut. Sie setzten den Schlusspunkt unter eine internationale Karriere im Nationaltrikot, die kaum unwürdiger zu Ende hätte gehen können.
Viel zu lange hat Löw mit dem finalen Urteil gewartet. Und raubte so dem stolzen Ballack, der nur durch eine Verletzung als Kapitän um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Südafrika gebracht worden war, jede Chance auf ein versöhnliches Finale. Während Akteure wie der Verteidiger Arne Friedrich nach schweren Verletzungen oder Formkrisen zuletzt wieder lautlos in den Kreis der Bundesauswahl integriert wurden, sah sich ausgerechnet der einstige Boss Ballack nach seinen Blessuren mit einem wahren Anforderungskatalog Löws konfrontiert, der nichts Gutes für ihn ahnen ließ.
Die Sensiblen und der Leitwolf
Statt ihm schnell und schmerzlos in einem offenen Gespräch den Verzicht zu erklären, ließ der Bundestrainer Ballack über Monate zappeln - ganz so, als habe der Mittelfeldspieler noch eine Zukunft, wenn er nur wieder groß aufspielen würde. Dabei liegt der Verdacht nahe: Löw plant schon seit Südafrika nicht mehr mit Ballack.
Viel spricht dafür, dass der Bundestrainer sich und seine so homogene wie sensible Elf nicht mehr dem kantigen alten Leitwolf aussetzen wollte, der in seiner Dickköpfigkeit durchaus nicht einfach zu führen ist. Doch es fehlte der Mut zum klaren Schnitt. Löw und mit ihm dieser DFB hielten den wichtigsten Spieler des vergangenen Jahrzehnts hin wie eine Nachwuchskraft. Durch das Zaudern nahm der Verband Ballack die Gelegenheit, sich zu arrangieren. Abzuschließen. Und das Gesicht gegenüber all den Jungen zu wahren, die ihn jetzt beerben.
Was bleibt, ist Bitterkeit auf Ballacks Seite. Sie scheinen schon mit seinem Zorn zu rechnen beim DFB, warum sonst fuhr man große Geschütze in der Pressemitteilung auf? "Der DFB, insbesondere auch unser Präsident Dr. Theo Zwanziger, ist über den Stand der Dinge immer informiert gewesen", teilt dort der Generalsekretär Wolfgang Niersbach mit. Es klang wie eine Mission von äußerster Brisanz. Eine Entscheidung aller sei der Verzicht auf Ballack, sollte dies heißen. Es dürfte die Front nicht eben aufweichen.
Gibt es das Länderspiel Nummer 99?
Beim Länderspiel am 10. August gegen Brasilien soll Ballack nun verabschiedet werden. Niersbach selbst scheint seine Zweifel zu haben, dass es wirklich dazu kommt: "Wir hoffen, dass er dieses Angebot annimmt." Man kann das auch als Drohung verstehen, jetzt bloß einzulenken. Nicht viel deutet darauf hin, dass Ballack ihnen den Gefallen tun wird und sein 99. Länderspiel macht. Nur ein Gedanke könnte ihn zum Stillhalten veranlassen: eines Tages womöglich bei diesem DFB anzuheuern. Vielleicht sogar als Nachfolger Löws.
Ballack wird wohl leise, durch die Hintertür, aus der Nationalmannschaft verschwinden. Nicht wenige werden dies als passenden Epilog einer Karriere deuten, die gerne als unvollendet beschrieben wird, weil doch der große internationale Titel fehlt. Dass Ballack Jahr für Jahr nach den größten Titeln im internationalen Fußball griff, zum FC Chelsea nach London wechselte und dort 2008 im Finale der Champions League nur einen Elfmeter vom Titel entfernt stand, wird ihm nicht gutgeschrieben. Dass er mit Bayer Leverkusen im Endspiel sechs Jahre zuvor fast die Galaktischen von Real Madrid auf den Boden zurückholte, auch nicht. Dass er über Jahre bis in die Finalspiele von WM- und EM-Turnieren mit einer Nationalelf vorstieß, die nicht eben mit Talenten gesegnet war, wird unter dem Eindruck der neuen Jugendkultur ebenfalls vergessen.
Kein Happy End wie bei Nowitzki
Michael Ballack hat nie aufgehört zu träumen von jenem großen Moment. Immer wieder hat er sich durch die Vorrunden dieser Weltmeisterschaften und Champions-Leagues gekämpft. Er hat sich in Position gebracht für den ersehnten Titel und selten enttäuscht in den wichtigen Spielen, kann man mehr von sich erwarten?
Vor zwei Wochen ist er im Urlaub in Miami gewesen, er hat dort einen anderen großen deutschen Athleten erlebt, der bislang das gleiche Schicksal mit ihm teilte. 13 Jahre rannte und sprang der seinem Ziel hinterher, immer wieder scheiterte er, oft dramatisch, wie er selbst. Für Dirk Nowitzki ist der Traum doch noch wahr geworden. Am Sonntag krönte er sich zum Champion mit seinen Dallas Mavericks in der nordamerikansichen Basketballprofiliga NBA, mit 33 Jahren. Er gilt jetzt als einer der größten deutschen Sportler aller Zeiten. Am Tag, da der DFB Ballacks Karriere mit einer Presseerklärung beendete, säumten in Dallas Hunderttausende die Straßen zur Siegesparade.
Michael Ballack wird eine solche Parade als Spieler nicht mehr erleben. Er beginnt die Zeit danach wie einer, der einen Kampf verloren hat. Einen Kampf, den er nicht gewinnen konnte.