#regrettingmotherhood Mütter, die keine mehr sein wollen

Mutter kann man nicht auf Probe sein. Einmal den Schritt gewagt, lässt er sich nicht zurückdrehen. Das würden viele Mütter aber gern. Sie bereuen ihre Entscheidung und stoßen eine Debatte an.

Eine Katastrophe. Ich habe sofort verstanden, dass das nichts für mich ist. Mehr noch: Es ist der Albtraum meines Lebens." Sagt Tirtza, 57, über ihr Leben als Mutter. In der Studie der israelischen Soziologin Orna Donath kommen 23 Frauen zwischen Mitte 20 und 70 Jahren in intensiven Interviews zu Wort. Gemeinsam haben sie, dass sie ihre Mutterschaft bereuen. In teilweise drastischen Worten beschreiben sie die "Auseinandersetzung mit dem nunmehr Unvermeidbaren", wie Charlotte, 44, ihren Konflikt beschreibt.

Ein weitgehend unerforschtes Phänomen

Das Thema ist tatsächlich neu, zumindest in der medialen Öffentlichkeit. In Zeiten, in denen so ziemlich jedes psychologische Phänomen auf Magazin-Covern ausgeleuchtet wird, ist das bemerkenswert. Pränatale Angst oder postnatale Depression sind von der Entwicklungspsychologie zwar weitgehend erforscht - aber eine Mutter, die ihr Leben lang bereut, ein Kind bekommen zu haben? Die ihre Mutterrolle sogar hasst? Dazu gibt es nicht nur keine Langzeitstudien oder quantitative Untersuchungen, das darf auch gar nicht wahr sein. Oder?

Natürlich wird die Debatte unter dem Hashtag #regrettingmotherhood hitzig geführt, seit die "Süddeutsche Zeitung" erstmals über die Studie berichtete. In Blogs und auf Twitter sind entsetzte Kommentare zu lesen, für viele ist schon der Hashtag ein Problem: Mutterschaft und Reue, diese beiden Worte passen nicht zusammen.

So weit, so erwartbar. Interessanter an der Diskussion: Es regt sich auch vorsichtiges Verständnis. "Jede Frau hat das Recht, die Entscheidung, Kinder zu bekommen, zu bereuen", schreibt Lovis Cassaris via Twitter. Das heiße schließlich nicht, dass sie das Kind bereut. Ein Punkt, den auch die Mütter in Orna Dornaths Studie ausdrücklich betonen. Sie lieben ihre Kinder, aber sie ertragen ihr Leben als Mutter nur schwer: die Verantwortung, den Verlust der Freiheit, die Veränderung des Körpers. Deshalb würden sie die Geburt ihres Kindes am liebsten rückgängig machen, wenn sie könnten.

Orna Donath nennt Mutterschaft ein "kulturelles und historisches Konstrukt". Ein Konstrukt, das einem Gesetz gleicht, denn es darf nicht hinterfragt werden. Es ist fest in den Köpfen verankert, dass Kinder das größte Glück der Erde sind. Wer seine Mutterrolle bereut, ist nicht normal, hat individuell versagt. So war es zumindest bisher. Aber jetzt wird darüber diskutiert. Denn schließlich ist der Zwiespalt, der den Frauen der Studie zum ausgewachsenen Problem geworden ist, den meisten Müttern bekannt. Sie bewerten ihn nur unterschiedlich.

Für Donath soll ihre Studie deshalb erst der Anfang sein. Die von ihr befragten Frauen sprechen ausführlich und reflektiert über das Thema. Sie sehen sogar positive Aspekte in ihrem Leben als Mutter: die tägliche Herausforderung, die gesellschaftliche Akzeptanz. Ihr Problem ist, dass die Nachteile für sie deutlich schwerer wiegen. Ein Gefühl, dass sich auch mit dem Erwachsenwerden der Kinder nicht ändert. Die Reue dauert an. So wird Donaths Studie zu einer Grundlage, die radikale Meinungen provoziert. Oder, noch besser: Einen differenzierten Blick auf ein Problem, zu dem sich Frauen in Zukunft zumindest bekennen können, ohne die gesellschaftliche Verurteilung fürchten zu müssen.

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tim