Hamburg Autofrei sieht anders aus

Von Christoph M. Schwarzer, Hamburg
Alles nur fürs Klima: Besucher und Bewohner der Hansestadt Hamburg sollten am Sonntag ihr Auto stehen lassen - freiwillig. Als Anreiz waren Busse und Bahnen kostenfrei. Ob's nur am Dauerregen lag, dass die CO2-Sünder trotzdem fuhren?

Geht doch. Die Linie 6 fährt direkt in die Hafencity. Ab und zu sogar mit einem der beiden umweltschonenden Wasserstoffbusse. Es ist absolut kein Problem, ohne Auto zu Hamburgs größter Baustelle zwischen Speicherstadt und neuer Elbphilharmonie zu kommen. Auch nicht an diesem Sonntag, an dem Busse, Bahnen und Fähren im Verkehrsverbund kostenlos sind. Schließlich ist Klimaschutzaktionstag. Produziert weniger Kohlendioxid, lasst freiwillig Euer Auto stehen!

Individualverkehr mit schlechter Klimabilanz

So weit, so gut. Die puren Zahlen drücken dem Selbstfahrer aufs Gewissen. 6,6 Liter nimmt die Stadt Hamburg als Durchschnittsverbrauch eines Pkw an. Ein ziemlich optimistischer Wert zwischen Ampeln und Staus. Da wirken die mittleren zwei Liter pro Person im Bus geradezu lächerlich. Und wenn er voll besetzt ist, geht nur ein halber Liter Diesel pro Nase durch die Einspritzdüsen. Unterm Auto leidet das Klima also drei bis zehnmal mehr. Ungefähr.

U- und S-Bahnen stehen ebenfalls gut da. Sie fahren effizient mit Strom, der zumindest zurzeit weder aus einem der maroden Atommeiler am Rand von Hamburg noch aus dem kommenden CO2-Monster in Moorburg stammt. "Bahn frei fürs Klima!" ist das Motto des freiwilligen autofreien Sonntags, der Teil des regionalen Klimaschutzkonzepts bis 2012 ist. Für die Bahn ist der Weg ohnehin immer frei.

"Autofrei" wird schlecht angenommen

Der Praxistest im Selbstversuch zeigt: Wer nicht weiß, dass autofreier Sonntag ist, bemerkt es nicht. Am Alten Fischmarkt zum Beispiel darf die zweite Spur der Hafenstraße am Sonntag für ein paar Stunden legal zum Parken genutzt werden. Zu diesem Touristenmagnet ist die Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln exzellent. Trotzdem ist alles dicht mit Autos. Und ein Blick auf die Kennzeichen zeigt: Es sind nicht die vielen Tagestouristen, die hier parken und den Hamburgern reichlich Umsatz bescheren. Auf den meisten Schildern steht das einheimische "HH".

Auf der Bundesstraße 5 östlich der Alster läuft der Verkehr wie gehabt. Und in der Tanke nahe der Mundsburg-Türme heißt es auf Anfrage nur, ja, klar, wissen wir, autofreier Sonntag, aber nein, wir merken nichts davon. Beim Bäcker im engen Wohngebiet sieht's nicht anders aus. Obwohl er direkt an der Bushaltestelle liegt, halten ständig Autos vorm Brötchen-Mann, der Warnblinker geht an, Fahrerin oder Fahrer in Jogginghose springen locker raus, kaufen ein und geben danach die zweite Reihe wieder frei.

My Car Is My Castle

Vielleicht liegt es am permanenten Sprühregen, der in jede Ritze kriecht und das Warten an der Haltestelle unbequem macht. In Bus und Bahn selbst jedenfalls sitzt man komfortabel. Ja, bei Nässe wird die Luft stickig. Ja, hier ist man nicht alleine, und ein Radio gibt es auch nicht. Aber es ist sauber und anders als in der Bundeshauptstadt bleiben Bettelfolklore und Bierpöbelei aus. Wahrscheinlich liegt es doch daran, dass das Auto zu billig ist.

Die Hamburger Verkehrsbetriebe rechnen vor, dass ein Vergleich von Autobetriebskosten zu Dauerkarte immer zu Gunsten von Bus und Bahn ausgeht. Offenbar wägen viele Menschen immer noch anders ab: Nur, wer in der Innenstadt wohnt, kann leicht komplett aufs Auto verzichten. Für alle anderen und besonders für die, die auf dem platten Land wohnen, fallen die Grundkosten für den Pkw ohnehin an. Und dann wird statt der Gesamtlast nur der pure Spritpreis mit dem S-Bahnticket verglichen. Je nach Autogröße kann der Komfort-Mehrpreis gegenüber den Öffentlichen verschmerzbar oder unbedeutend sein.

Hansestadt mit schlechten Radwegen

Am billigsten ist ohnehin das Fahrrad. Das ist auch aus Klimasicht der Kracher: Die Mehrimmission eines Radlers, der statt mit Ruhepuls zu sitzen seinen Körper bewegt, muss die Atmosphäre wegstecken können. Bei der Fundbüro-Auktion gibt es tolle Alltagsdrahtesel für 20 Euro, unschlagbar. Und gesund ist es auch. Zumindest für Herz und Kreislauf.

Vom Wetter abgesehen gibt es aber in der Elbstadt noch ein zweites Problem für die Radfahrer. Die Strukturen sind seit dem Wiederaufbau nach der Zerstörung im Krieg vor allem fürs Auto gebaut. Wer andere Städte aus Sattel-Sicht kennt, ist entsetzt über Radwege, Verkehrsführung und Ampeln. Abseits des Zentrums wird es schnell gefährlich. Daran hat auch der CDU-Senat in den letzten Jahren nichts geändert.

Der Flirt mit den Grünen

Vielleicht muss er das bald tun. Wenn Ole von Beust bei den Wahlen im Februar die absolute Mehrheit verlieren, die FDP nicht und die Linke doch reinkommen sollte, werden die Grünen als Koalitionspartner attraktiv. Im Bezirksrathaus Altona klappt das seit fast vier Jahren ganz gut. Und vielleicht ist der Klimaaktionstag bereits ein kleiner Wink in Richtung Grüne Alternative Liste.

Die Freiwilligkeit des autofreien Sonntags hat augenscheinlich nichts bewirkt. Weltmetropolen wie London sind da wesentlich radikaler. Dort wird die Citymaut demnächst gestaffelt: CO2-Schleudern zahlen einen deftigen Aufpreis.

Für das laufende Jahr sind drei weitere Aktionstage "Bahn frei fürs Klima!" geplant. Wenn die genau so schlecht angenommen werden wie dieser, bleibt der freiwillige autofreie Sonntag nichts weiter als eine Werbemaßnahme für den Nahverkehr und ein ökologisches Feigenblatt für den CDU-Bürgermeister.

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