Die Entfernung zwischen Augsburg und Bad Cannstatt beträgt gut 160 Kilometer. Ende des 19 Jahrhunderts tat sich in diesen beiden Orten etwas, was den Transportverkehr für mehr als ein Jahrhundert prägen sollte. Nur wusste keiner etwas davon und die Protagonisten vermutlich am wenigsten. Im Jahr 1984 begannen Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach in Cannstatt mit der Entwicklung eines motorgetriebenen Fahrzeugs zum Transport schwerer und sperriger Güter. Zwei Jahre später war der erste Lkw fertig. Der Heckmotor leistete rund 4 PS, später dann etwa 6,6 PS und mit einer Nutzlast von 1.500 Kilogramm war der Maschinen-Lastesel durchaus ein Schwerarbeiter. Aus heutiger Sicht glaubt man, dass den Daimler das Fahrzeug aus den Händen gerissen wurde. Mitnichten. Lediglich das "British Motor Syndicate" in London griff zu. Nur ein Jahr später brachte ein gewisser Rudolf Diesel im Auftrag der Maschinenfabrik Augsburg erstmals einen Motor zum Laufen, der seinen Namen tragen und den Verkehr revolutionieren sollte. Bei den Daimler Lastkraftwagen tat sich im gleichen Jahr ebenfalls Entscheidendes: Der der Zweizylinder-Phoenix-Motor wanderte unter den Fahrersitz und das Gewicht der Nutzlast nach oben. Somit war die grundlegende Architektur der modernen Lkws geboren.
Phönix aus der Asche
Fortan mauserten sich die beiden Gegenden zu den Epizentren der Lkw-Branche. Aber auch anderswo schossen die Lkw-Produzenten aus dem Boden: Renault, Magirus, Scania, Mack, Horch oder Büssing - um nur einige zu nennen. Die Benz-Motorlastwagen ließen schon im Jahr 1900 die heutigen Fahrzeuge erahnen und stemmten bis zu fünf Tonnen Nutzlast. Mittlerweile hatten auch die Deutschen die Vorteile der rollenden Schwerathleten erkannt und die Transporter waren aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenken. Beim Treibstoff war man damals übrigens bei Weitem nicht so wählerisch wie heute: Petroleum, Benzin oder Spiritus wurde in die Tanks gefüllt.
Wichtige Technologien wie Luftreifen, die Zündkerze und die Trommelbremse waren entscheidend für den Alltagseinsatz. Am 21. Juni 1915 - mitten im Ersten Weltkrieg - begann eine neue Ära. An diesem Tag wurde ins Handelsregister der Stadt Nürnberg eine neue Firma eingetragen: Die "Lastwagenwerke M.A.N.-Saurer" waren das Ergebnis eines Joint Ventures der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG und des Schweizer Nutzfahrzeugherstellers Saurer. Das Wettrennen war eröffnet. Es sollte bis zum Jahr 1923 dauern, ehe der Dieselmotor seinen Weg unter die Motorhaube eines Lkws fand und die Symbiose begann, die bis heute typisch für den Gütertransport auf der Achse ist. Der OB 2-Motor von Benz & Cie verfügte immerhin schon über eine Vorkammereinspritzung.
Auch bei MAN tüftelte man weiter und stellte 1928 seinen ersten Dreiachs-Lkw auf die Räder, den Vorläufer aller folgenden Schwerlast-Lkws von MAN. Beim Diesel ging der Leistungsschub erst so richtig los: Im Jahr 1932 leistete der D4086 im S1H6-Lkw 140 PS und machte den Truck zum stärksten Diesel-Lkw der Welt. Die nächsten technische Meilensteine folgten 1937 mit der Entwicklung des Diesel-Direkteinspritzers und des Allradantriebs.
Dann kam die Zäsur des Zweiten Weltkriegs und danach der Wiederaufbau des zerstörten Landes. Die Produktionsanlagen der Nutzfahrzeugindustrie lagen im wahrsten Sinne des Wortes in Trümmern. In den 1950er Jahren begann die Sonne mit dem Wirtschaftswunder wieder zu scheinen. Das Rückgrat des Aufschwungs bildeten auch die Brummis, die dringend benötigte Güter in jeden Winkel der Republik brachten. Ein Sinnbild, dass es nun mit voller Kraft voranging, war der MAN F8, ein Haubenlenker-Lkw, unter dessen langer "Schnauze" ein V8-Motor mit 180 PS werkelte. Im gleichen Jahr vollzog der bayerische Hersteller den ersten Schritt zum Downsizing und brachte den ersten deutschen Lkw-Motor mit Abgasturboaufladung auf den Markt. Der Sechszylindermotor MAN D 1546 GT leistete mit 8,72 Litern Hubraum 175 PS statt 130 PS. Der Mercedes-Benz Gegenentwurf waren der Lkw L 3500 und ab 1955 der L 311. Bei Blaumännern mit dem Stern stand die PS-Kraftprotzerei nicht an erster Stelle: Der Reihensechszylinder-Viertakt-Dieselmotor (Mercedes-Benz OM 312) schaffte 90 PS und später 101 PS.
Ende der 1950er-Jahre bekamen die Daimler-Benz Lkws das rundliche Antlitz, das die nächsten zwei Jahrzehnte markant sein sollte. Der Grund für diese neue Optik war die zunehmende Nachfrage nach Frontlenker-Lkws. Daimler hatte lange an der klassischen Haubenform festgehalten, musste aber dann aufgrund der wirtschaftlichen und technischen Anforderungen die Bauweise radikal ändern. Auch wenn die runden Frontlenker weiterhin durch legendäre Fernsehserien wie "Der Kommissar" (mit dem unvergessenen Erik Ode) rollten, änderte sich die Bauform Mitte der 1960er-Jahre radikal. Die Mercedes-Lkws waren nun Frontlenker mit einer Würfel-Kabine.
Diese kubische Bauweise führte Daimler-Benz dann auch in der neuen Generation (NG) konsequent fort, die dann 1988 durch die Schwere Klasse (SK) abgelöst wurde. MAN begann 1977 eine Kooperation mit VW und räumte ein Jahr später mit dem Modell 19.280 die Auszeichnung "Truck of the Year" ab. Weitere acht Jahre später hatte der MAN (18 bis 48 Tonnen) eine komplett neue Fahrerkabine. Bei Mercedes begann ab 1998 die Ära des Buchstabens "A" mit den Modellen Accelo, Atron, Atego, Arocs, Axor, Antos und vor allem Actros. Bei MAN heißt das Flaggschiff TGX, von dem auf der IAA 2014 den TGX Hybrid als Studie vor. Mercedes geht mit dem eActros LongHaul den nächsten Schritt. Der vollelektrische Lkw soll mit einer Batterieladung 500 Kilometer weit kommen.