Ich chille gern. In meinem Job telefoniere ich stundenlang, beantworte Dutzende Mails, muss konzentriert, zielgerichtet und immer bei der Sache sein. In der übrigen Zeit entspanne ich, schalte das Hirn aus und "floate" relaxt durch das Leben. Dabei lasse ich mich gern einfach treiben, aber nur ungern stören.
Beim wöchentlichen Familieneinkauf chille und floate ich etwa besonders gern. So ein Einkauf ist Entspannung und Meditation pur. Bis ich penetrant von den Leuten an diesen speziellen Ständen angesprochen werden, die mir immer wieder Wurst-, Käse- oder Joughurtproben andrehen möchten, die so klein sind, dass sie noch auf dem Löffel verdunsten. Und schon werde ich aus meinen Gedanken gerissen: "Hallo, junger Mann, kennen Sie schon… ?"
Das passiert mir in letzter Zeit immer häufiger. Wenigstens im Auto bin ich ungestört und kann vor mich hinchillen. Denkste. In Berlin werde ich inzwischen an jeder Ampel abgefangen, wo mir mehrere Jugendliche in Gang-Klamotten die Windschutzscheibe zerkratzen und für die ungewollte Säuberungsaktion auch noch Geld haben wollen. Und fahre ich an die Tankstelle, möchte mir der aufdringliche Service-Mann für einen Euro den Tank füllen. Dabei finde ich es so herrlich entspannend, selbst den Rüssel in den Tank zu hängen, um dabei zuzusehen, wie die Eurozahlen an der Zapfsäule hochspringen.
Wildfremde Leute überall
Nicht einmal in meinem eigenen Haus kann ich vor mich hingammeln, wenn ich einmal Zeit habe. Dann klingeln wildfremde Leute an der Tür, um mir Kartoffeln vom Bauern, gemalte Bilder von bedürftigen französischen Gaststudentinnen, neue Telefonverträge oder Wachtürme zu verkaufen.
Kurzum: Ich bin genervt von allzu vielen Störungen. Das muss ich nicht auch noch am PC-Arbeitsplatz haben. Aus diesem Grund lehne ich alle Chats und Instant Messenger kategorisch ab. Sie lenken nur ab und das auch noch in Echtzeit. E-Mails lassen sich sofort beantworten, wenn man gerade Bock auf sie hat. Sie sind aber auch noch in ein paar Stunden da, wenn es dann vielleicht besser passt. Also sorry, keine Chats. Und auch kein Twitter.
Twitter erinnert mich an die Science-Fiction-Cons vor 25 Jahren, als wir jung und engagiert in einem schmuddeligen Wohnzimmer hockten, um über Perry Rhodan, Star Wars oder vollbusige Amazonen in blutrünstigen Space Operas zu quatschen. Das endete doch immer nur in einem Besäufnis und am Ende hockte einer an der mechanischen Schreibmaschine, um einen Con-Bericht zu schreiben, der dann kopiert und an weitere SciFi-Fans verteilt wurde. Da standen dann auch nur so kurze Twitter-Meldungen drin wie: "Hihi, Norbert ist eben besoffen in die Badewanne gefallen und pennt da jetzt." Das war damals schon nur für die Anwesenden komisch. Und das ist bei Twitter auch nicht anders.
Ich muss nicht bei Facebook sein, bewerte keine Amazon- und Ebay-Verkäufer und verspüre keinen Funken Ehrgeiz, mich in Foren herumzutreiben oder bei einer Social Community mitzumachen. Bin ich anders, unnormal, asozial, Online-un-sozial? Ich möchte eben nicht wissen, welche Hobbies mein Nachbar hat und was er gerade in dieser Sekunde macht. Ich möchte online nicht über Kinder, Schuppenflechte oder das Zaun-Bell-Verhalten meines Hundes diskutieren. Ich stelle keine Fragen von unterwegs per SMS an eine Online-Community, zeige im Web nicht meine Wohnung her und beteilige mich auch nicht an gemeinschaftlich erarbeiteten Börsen-Prognosen.
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Carsten Scheibe geht unter die textBOOSTer (www.textbooster.de) und bringt die Texte anderer in Form, sodass sie sich frisch, verständlich und kundenorientiert lesen lassen. Ganz egal, ob es um Homepages, Newsletter oder um PowerPoint-Präsentationen geht: Nicht nur auf die äußere Form, sondern auch auf den Inhalt kommt es an. Wer Probleme hat, selbst die richtigen Worte zu finden, beauftragt eben einen professionellen Buchstabenjongleur.
Na klar bin ich ein Methusalem, der nicht peilt, was heute hip, angesagt und unverzichtbar ist. Aber ich verbringe meine freie Zeit eben doch noch lieber mit den Kumpeln, um ins Kino zu gehen, zu pokern, zu golfen oder Paintball zu spielen. Das ist heftig old style, macht aber richtig viel Spaß. Mehr, als jede Stunde am Tag vor der PC-Glotze zu sitzen und auf digitale Unterhaltung zu hoffen.
Und ganz abstinent bin ich ja auch nicht. Bei StayFriends finde ich alte Klassenkameraden und auf Xing verwalte ich meine Business-Kontakte. Das reicht dann aber auch. Und jetzt muss ich noch ein paar Stunden chillen und floaten. Am besten in meinem Garten auf der Liege. Da stört mich wenigstens niemand.
Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania