Ein Bekannter hatte letzthin Probleme mit seiner Mieterin. Nun, nicht direkt mit ihr, sondern eher mit der Wohnung, in der sie Zuhause war. Noch genauer: mit dem über besagter Wohnung liegendem Dach. In dem nämlich hatte sich eine bestimmte Wanzenart eingerichtet, deren Vertreter von Zeit zu Zeit durch die Ritzen der Wandverkleidung ins Wohnungsinnere drangen. Und dann lagen sie da und bewegten sich nicht. Und wenn doch, dann höchstens ein paar Zentimeter pro Tag. Ein schöner Anblick war es trotzdem nicht. Zumal im Frühling die Wanzen besonders engagiert aus den Ritzen fielen, weswegen die Mieterin an manchen Tagen 30 und mehr neue Mitbewohner begrüßen durfte.
Das war ihr irgendwann zu viel, weswegen sie das Problem an den per Eigentum gestraften Bekannten weiterreichte. Und da stand er nun und suchte Rat im Web. Branchenverzeichnisse kannte er aus dem echten Leben. Sie kamen mit dem Telefonbuch ins Haus und fristeten in der Regel ein Schattendasein, bevor sie mit Erhalt des Nachfolgeverzeichnisses ungeblättert entsorgt wurden. Und wenn sie selbst das Entsorgen vergessen worden war, hatte auch das einen Grund: Niemand konnte sich mehr an dessen Aufbewahrungsort erinnern.
Auf der Jagd nach einem Kammerjäger
Also im virtuellen Branchenverzeichnis suchen. Das begann recht nett. "Kammerjäger" eingetragen, dazu seinen Wohnort, und in der nächsten Sekunde sah er eine Vielzahl von Kammerjägerangeboten auf dem Schirm. Er klickte auf den, der der Mietwohnung am nächsten war. Neben der Adresse gab es eine Telefonnummer. Die wählte er.
Thomas Hirschbiegel
Kolumnist für stern.de seit 1997 - und das H der H&A medien: Redaktion, Public Relations und Online-Konzepte.
"Guten Tag, ich hätte gern ihren Kammerjäger gesprochen." "Kammerjäger gibt es hier keinen." "Ach." "Ja, schon seit Jahren nicht mehr. Wir haben umgesattelt und machen jetzt nur noch in Schädlingsbekämpfungsmittel." "Bei Yellowmap sind sie aber noch immer als Kammerjäger notiert." "Bei was für einem Mepp?" "Yellowmap." "Kenn ich nicht." "Das ist so eine Art Gelbe Seiten im Internet." "Scheint nichts zu taugen." "Da möchte ich Ihnen nicht widersprechen."
Vom freundlichen Schädlingsmittelvertreiber bekam der Bekannte dann doch noch einen trefflichen Tipp. Den rief er an, und kurz darauf war die Mietwohnung wieder wanzenfrei.
Neben ungepflegten Datenbanken gibt es regelrechte Nebenwelten aus nichtsnutzigen Informationen. Unwissenswertes aus einer längst vergangenen Zeit, einzig von einer wirren Begeisterung ins Netz getrieben. Ohne Konzept, was kommen könnte, morgen beispielsweise, wenn sich niemand mehr dafür interessiert. Aber soweit dachte man wohl nicht. Oder wurde beim darüber Nachdenken überrascht wie weiland die Menschen in Atlantis oder Pompeji.
Womöglich gibt es viel zu entdecken.