NEULICH IM NETZ Wahl: Stoiberschröder 2006

Entgegen der landläufigen Meinung wird am 22. September nicht der Bundeskanzler gewählt. Aber eigentlich doch, weswegen die vier Musketiere via Web noch einmal eine Art von Gas geben.

Entgegen der landläufigen Meinung wird am 22. September nicht der Bundeskanzler gewählt. Aber eigentlich doch, weswegen die vier Musketiere via Web noch einmal eine Art von Gas geben.

Um es schon einmal vorweg zu nehmen: 49 Prozent sind für Stoiber. Zwar nur Jugendliche, aber immerhin. Denn, so stoiber.de, rechtzeitig zum Finish sei »erstmals Kanzler Gerhard Schröder auf der Beliebtheitsskala der Jugend in Deutschland überholt« worden. Und zwar bei einer Umfrage des Handyportals Jamba! unter »mehr als 65.000 Jugendlichen«. Gesetzt der Fall: 49 Prozent der Jugendlichen wären 49 Prozent der wahlberechtigten Jugendlichen wären 49 Prozent der Wahlberechtigten, dann müsste - rein rechnerisch - Guido Westerwelle nur 1,1 Prozent holen, und schon wäre Schluss mit rot-grün.

»Guido-fuer-bonn.de«

So weit die Theorie. Aber da sind im richtigen Leben Fünf-Prozent-Hürde und Direktmandate vor. Übrigens, eine gute Nachricht: Kumulieren, panaschieren und Palatschinken sind bei dieser Wahl ausdrücklich untersagt, weil?s Flecken macht und leere Kugelschreiber. Hauptsache: Aufsehen. Würde jetzt Guido Westerwelle entgegenhalten – genau, der mit dem Guidomobil und der Website www.guido-fuer-bonn.de, der, wenn er?s denn würde, Späßchenmacherkanzler.

18 Minuten vor 12

Lange Zeit mit fader Homepage unterwegs, geht der superliberale Medienpolitiker 18 Minuten vor zwölf auf die Überholspur. Frei nach Jean-Paul Gaultier, Klaus Kinkel und Erich Mende ist alles erlaubt. Zeitlos schick und waschbar bis 90 Grad liest sich das so: »Als Partei für das ganze Volk gehen wir unabhängig in die Bundestagswahlen 2002.« Supersmart auch die Farben. Früher hingegen war alles anders. Wie schön, das es auch das noch gibt, nämlich Westerwelles alte Site mit froschgleich quäkendem Parteivorsitzenden.

Fischers Website: tannenfarbener Albtraum

Schröder sagt derzeit nicht allzu viel und gibt bevorzugt den Staatsmann. Und den sozialdemokratischen Vor- respektive Nachdenker. Beispielsweise: »Sparen ist kein Selbstzweck. Nur wer reich ist, kann sich einen armen Staat leisten.« Gedanken wie Monolithen, mit Haltbarkeit jenseits der Legislaturperiode. Da kann Stoiber noch so viele Folien auf den Projektor hauen. Darüber fast vergessen: Joschka Fischer, welcher »außen Minister, innen grün«. Und mit der zweifelsohne unansehnlichsten aller Spitzenpolitiker-Websites gestraft. Selbst wenn hier etwas Spektakuläres zu lesen wäre, niemand würde es finden inmitten des tannenfarben irrlichternden Ganzen, das kaum wie ein Halbes anmutet. Wer sich allerdings die Zeit nimmt, wird Wunderliches finden. Aber das kann eben dauern.

Und dann ist plötzlich nach der Wahl. Deshalb: Hochverehrte 50 Prozent unentschlossener Bundesbürger, jetzt schnell Gewissheit bekommen, ob der eine oder der andere oder wer auch immer. Denn: Noch fünf Mal aufwachen, dann ist klar, wer bis zur nächsten Fußball-WM die Geschicke der Nation steuern soll.

Thomas Hirschbiegel

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