Editorial Auf der Fährte der Fälscher

Liebe stern-Leser!

Gucci, Hermès, Louis Vuitton, Prada, Rolex - je edler die Marke, desto hemmungsloser wird sie gefälscht. Besonders an den Mittelmeerstränden werden sich im Sommer wieder Millionen deutscher Urlauber über die Bauchläden voller Uhren und Taschen beugen und mit der Versuchung kämpfen, für ein paar Euro ein bisschen Prestige einzukaufen. Dass so ein Schnäppchen teuer werden kann, wenn der Zoll aufmerksam wird, ist nur ein Aspekt unserer Titelgeschichte (ab Seite 50). Sie deckt vor allem auf, wie die Markenpiraten weltweit Beute machen.

Um den Machenschaften der internationalen Produktfälscher-Mafia auf die Schliche zu kommen, gaben sich stern-Reporter Matthias Schepp und der Hongkonger Fotograf Michael Wolf eine falsche Identität. Als "Michael Fuchs, Geschäftsführer", und "Matthias Pesch, Vertriebsleiter" sowie mit der Adresse einer Hongkonger Scheinfirma gelang es ihnen, bis in chinesische Fälscherwerkstätten vorzudringen und mit den Hintermännern des Millionengeschäfts in Kontakt zu treten. Immer gaben sie vor, einen Container gefälschter Schuhe oder Taschen über den Hamburger Hafen nach Osteuropa schmuggeln zu wollen.

Einmal allerdings wurde

es eng für die beiden. Die Verhandlungspartner auf Seiten der Triaden, den chinesischen Verbrechenssyndikaten, schöpften Verdacht. "Der Herr, der sich uns als Fabrikmanager vorstellte, hatte Muskeln wie ein Kung-Fu-Kämpfer und ließ uns anderthalb Stunden nicht für eine Sekunde aus den Augen," erzählt Schepp, "wir waren froh, dass wir da heil rauskamen, ohne aufzufliegen."

Die derzeit wieder anschwellende Debatte um die Frage "Was ist deutsch?" sollte behutsam und, bitte schön, im Kammerton geführt werden. Man kann sich schnell darauf einigen, für die Werte, wie sie unsere Verfassung festhält, einzutreten. Aber zu viele überschreiten die Schwelle des Verfassungspatriotismus hin zum Nationalismus. Und sehen sich bestärkt, die Nation als Grundlage einer Identität zu verstehen, die ausschließt und diskriminiert, wer eine andere Hautfarbe hat oder Sprache oder Religion. Gewalt war schon immer der Zwilling des Rassismus, das lesen wir täglich in deutschen Polizeiberichten. Der stern hat in dieser Ausgabe die Namen der Todesopfer rechtsradikaler Gewalt seit 1990 in Deutschland zusammengetragen (Seite 40). Auch als Mahnung an die Politik, Neonazis entschlossen zu bekämpfen: mit ausreichenden Etats, Polizei und Sozialarbeitern. Gegen den Linksextremismus hat der Staat den Rücken gerade gemacht. Das darf jetzt am rechten Abgrund nicht anders sein, nur weil noch kein Neonazi-Terror gegen staatliche Institutionen oder deren Vertreter die Schlagzeilen beherrscht.

Die Dummheit der Glatzen sollte uns nicht verführen, die Parolen ihrer intellektuellen Vordenker zu ignorieren. Sie wollen eine andere Kultur, ein anderes Land - jedenfalls keine Demokratie.

Herzlichst Ihr

Andreas Petzold

print