Donnerstag, 08.05.2003 Ein Freund, ein guter Freund ...

Als der deutsche Botschafter heute morgen am Pekinger Flughafen feierlich Röntgen- und Beatmungsgeräte zur Bekämpfung der SARS-Epidemie an die chinesische Regierung übergab, herrschte eitel Sonnenschein.

Als der deutsche Botschafter heute morgen am Pekinger Flughafen feierlich Röntgen- und Beatmungsgeräte zur Bekämpfung der SARS-Epidemie an die chinesische Regierung übergab, wurde kein Wort häufiger erwähnt als "Freund". Botschafter Joachim Boudré-Gröger zitierte eine alte Volksweisheit: "Ein Freund in der Not ist ein wirklich guter Freund." Der stellvertretende chinesische Finanzminister tat es ihm gleich. Alles eitel Sonnenschein.

Siemens hat den 10-Millionen-Deal an Land gezogen

Nur bei den Vertretern der Lufthansa, deren Tochterfirma "Lufthansa Cargo" den Transport aus Deutschland sponserte, war die Stimmung nicht ganz ungetrübt. Statt mit einer Maschine der deutschen Linie trafen die Container mit einer Boeing 700-400 des Lufthansa Partners Air China ein - Symbol für den dramatischen Einbruch des China-Geschäfts. Wegen der SARS-Krise hat die Lufthansa die Zahl ihrer für den Sommer geplanten, wöchentlichen Flüge nach Peking und Shanghai von 24 auf sechs kürzen müssen. Die Peking-Strecke wird darüber hinaus nur noch mit einem kleinen, 240-sitzigen Airbus A-300 geflogen. Da war kein Platz für die Container mit dem Anti-SARS-Medizingerät.

Über den Autor

Matthias Schepp, 39, arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt für den stern. Von 1992 bis 1998 berichtete er aus Moskau, 1999 eröffnete er das Büro des stern in der chinesischen Hauptstadt. Mit seiner Frau und den beiden Kindern Moritz (3) und Max (1) lebt er im Zentrum Pekings. Schepp, der in Mainz und Dijon Geschichte studierte, sagt von sich selbst: "Mich interessiert das Verhalten von Menschen in Krisen- und Umbruchzeiten. Das Ende des Kommunismus ist mein großes Thema. In Russland war es gleichsam ein Sekundentod, in Peking beobachte ich das langsame Sterben der Ideen von Marx, Lenin und Mao."

Freuen konnten sich hingegen die China-Chefs des Siemens-Konzerns. Deren Medizinsparte "Siemens Medical Solutions", seit Jahren eines der schnellstwachsenden unter den 40 Siemens-Unternehmen in China, war es gelungen, den 10-Millionen-Euro-Deal, der 100 Röntgengeräte und 200 Beatmungsmaschinen umfasst, an Land zu ziehen. Dass die Fracht nur fünf Tage nach Bestellung in Peking eintraf, ist ein logistisches Meisterstück. Ein Teil der Ware musste aus Deutschland geholt, aus Frankreich und Spanien eilens umgelenkt, ein Teil sogar noch schnell fertig produziert werden.

"Ein Freund in der Not ist ein wirklich guter Freund"

Nicht für Geld, aber durchaus um den guten Ruf des Unternehmens zu mehren, wird die Spedition Schenker das Medizingerät in der nächsten Woche in China weitertransportieren. Sun Anming, der Vize-Bürgermeister von Peking kündigte an, dass die Apparate in den drei am schwersten betroffenen Provinzen zum Einsatz kommen sollen: in Peking mit mehr als 2100 registrierten SARS-Erkrankungen und 115 SARS-Toten, in der Provinz Shanxi mit über 400 bekanntgewordenen Ansteckungen bei 17 Toten und in der Inneren Mongolei, die mehr als 300 SARS-Infizierte und 16 Tote meldet.

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Der Vize-Bürgermeister war in edles blaues Tuch gehüllt - ein typischer Vertreter der neuen, pragmatischen Generation chinesischer Politiker. Mehrfach betonte er, dass China im Kampf gegen SARS siegen werde. Der Goldrandbrille zum Trotz klang er da ein bisschen so, als würde er Propaganda-Parolen aus der Zeit des Langen Marsches hinausposaunen. Und natürlich zitierte der Vize-Bürgermeister in seiner Dankesrede ein altes chinesisches Sprichwort. Sie wissen schon, liebe Leser, es sagte: "Ein Freund in der Not ist ein wirklich guter Freund."

Keiner will es sich mit der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China verderben

Angesichts der fröhlich demonstrierten deutsch-chinesischen Eintracht musste ich daran denken, wie hart die Sowjetunion 1986 von den westlichen Regierungen wegen ihrer anfänglichen Verschleierung des Reaktorunfalls von Tschernobyl kritisiert worden war. Das war richtig so, denn eine radiokative Wolke ist kein Spaß - so wenig wie ein neues, gefährliches Virus.

Damals herrschte Kalter Krieg zwischen West und Ost, heute will es sich niemand mit der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China verderben. Deshalb laufen die Botschaften mitunter Gefahr, zu Handelsvertretungen reduziert zu werden. Bundeskanzler reden bei ihren Chinabesuchen allemal lieber über den Transrapid als über Menschenrechte. Da passt zwischen Gerhard Schröder und seinen Vorgänger Helmut Kohl kein Blatt.

Vier Monate lang haben die Autokraten in Peking ihr eigenes Volk und die Welt über SARS belogen. Trotzdem sind sie immer noch Jedermanns Freund und Liebling. Der Mehrheitsführer des amerikanischen Senates Bill Frist, ein Republikaner und vor seiner Politiker-Karriere ein Arzt, lobte gar den Umgang Chinas mit SARS als "äußerst positiv". Aus Deutschland erhielt die Pekinger Regierung das oben beschriebene 10-Millionen-Euro-Anti-SARS-Geschenk.

Hoffentlich sagen die westlichen Regierungen wenigsten hinter verschlossenen Türen den Chinesen mal richtig die Meinung

Das ist keine falsche Politik: China, der erwachende Gigant, muss in die Weltgemeinschaft eingebunden, nicht ausgegrenzt werden. Den Menschen, die an SARS leiden, muss schnell und unbürokratisch geholfen werden. Sie sind Opfer ihrer Regierung. Sie zusätzlich zu bestrafen, indem die Weltgemeinschaft tatenlos dem Drama zuschaut, wäre zynisch und verantwortungslos.

Trotzdem bleibt zu hoffen, dass die westlichen Regierungen wenigstens hinter verschlossenen Türen den Chinesen mal richtig die Meinung sagen: höflich, aber glasklar in der Sache - so wie unter echten Freunden üblich. Denn wäre China, seit 1946 Mitglied der Weltgesundheitsorganisation (WHO), seinen vertraglichen Verpflichtungen nachgekommen, hätte SARS mit hoher Wahrscheinlichkeit schon in Guangdong gestoppt werden können, der Provinz, in der das Virus im November ausgebrochen war. "Dann gäbe es die Seuche weder in China noch sonst irgendwo in der Welt", klagte in der vergangenen Woche ein Berliner Regierungsmitglied hinter vorgehaltener Hand. Das kann man laut sagen, das sollte man laut sagen, finde ich.

Matthias Schepp

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