Montag, 28.04.2003 Warum SARS gut für meine Gesundheit ist

"Gestern abend besorgte Anrufe von Freunden, Kollegen und Eltern aus Hamburg und Mainz. Ich beruhige alle und erkläre ihnen, dass SARS gut für meine Gesundheit ist. Und das kommt so..."

Gestern abend besorgte Anrufe von Freunden, Kollegen und Eltern aus Hamburg und Mainz. Sie hatten von den Panikkäufen gelesen und im Fernsehen dramatische Bilder von der Massenflucht an den Pekinger Bahnhöfen gesehen. Ich beruhige alle und erkläre ihnen, dass SARS, die tödliche Lungenkrankheit, gut für meine Gesundheit ist. Und das kommt so:

Wochenlang hatte die chinesische Regierung die Epedemie verschwiegen oder kleingeredet, nun holt sie mit aller Macht zum Gegenschlag aus: In meinem vierzehnstöckigen Plattenbau zum Beispiel mit einer Chemiekeule namens Peressigsäure, die literweise versprüht wird. Betrete ich den Aufzug bleibt mir der Atem weg. Ich röchele und huste, bis ich endlich meine Wohnung erreiche.

Über den Autor

Matthias Schepp, 39, arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt für den stern. Von 1992 bis 1998 berichtete er aus Moskau, 1999 eröffnete er das Büro des stern in der chinesischen Hauptstadt. Mit seiner Frau und den beiden Kindern Moritz (3) und Max (1) lebt er im Zentrum Pekings. Schepp, der in Mainz und Dijon Geschichte studierte, sagt von sich selbst: "Mich interessiert das Verhalten von Menschen in Krisen- und Umbruchzeiten. Das Ende des Kommunismus ist mein großes Thema. In Russland war es gleichsam ein Sekundentod, in Peking beobachte ich das langsame Sterben der Ideen von Marx, Lenin und Mao."

Es ist ein trockener Husten, einer den Mediziner als unproduktiv, weil schleimlos, bezeichnen. Trockener Husten übrigens gilt neben hohem Fieber als eines der Anzeichen von SARS. Natürlich treibt mir der Reizhusten die Schweißperlen auf die Stirn. Meine chinesischen Nachbarn schauen mich mit weit aufgerissenen Augen an und flüchten entsetzt. Verdammt noch mal, sind sie eigentlich immun gegen das Zeug?, frage ich mich.

Ich rufe einen Bekannten an, der in Deutschland für den Arbeitsschutz zuständig ist. Angestellte, die mit Peressigsäure in Berührung kommen, sagt er, müssen Spezialbrillen, einen Gesichtsschutz und Plastikhandschuhe tragen. Die Putzfrauen in meiner Wohnlage, die auf den schönen Namen "Drachen-Versammlungs-Garten" hört, kommen aus armen Inlandsprovinzen. Sie verdienen 600 Yuan im Monat, umgerechnet 65 Euro. Natürlich spart das Management der Wohnanlage auch an Sicherheitsvorkehrungen. Die Frauen haben nicht einmal einen Mundschutz.

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Ich beschließe, künftig Treppen zu steigen - fünf Stockwerke in meine Wohnung, dreizehn ins Büro. Dreimal am Tag trage ich Max, meinen jüngsten Sohn von oben nach unten und dann wieder hoch. Er ist erst 18 Monate alt, aber schon 15 Kilo schwer. Ich japse nach Luft, diesmal nicht wegen der Chemie-Bombe, sondern wegen meiner schlechten Kondition. Schließlich sitzen auch rasende stern-Reporter die meiste Zeit am Schreibtisch, hauen in Computertasten, telefonieren und führen Interviews. Am nächsten Morgen habe ich Muskelkater. Nach einer Woche fühle ich mich mindestens zehn Jahre jünger, nicht Ende Dreißig, sondern Anfang Zwanzig. Zwei Kilo habe ich auch schon abgenommen. Nicht, dass ich dick wäre. Nicht, dass ich von einem Waschbrettbauch träume, aber dass der kleine Bauchansatz allmählich schwindet, freut mich schon.

Am Abend fahre ich zum "Krankenhaus des Volkes" im Westen der Stadt. Normalerweise ein Weg von einer dreiviertel Stunde. Diesmal brauche ich gerade zwanzig Minuten. Keine Staus. Manche Pekinger wagen sich nicht einmal mehr in ihren eigenen Auos auf die Straße. Die brutale Luftverschmutzung wird auch weniger, freue ich mich. Allerdings nicht rund um das Volks-Krankenhaus. Da nämlich ist gerade ein Desinfektionskommando im Einsatz. In der Klinik sind mehr als sechzig Ärzte und Krankenschwestern an Sars erkrankt. Infizierten Patienten haben andere sarsfreie Patienten angesteckt, weil kein Platz war, sie rechtzeitig zu isolieren. Die Szene rund um das Krankenhaus erinnert mich an den Seuchen-Schocker "Outbreak" mit Dustin Hoffmann, einem meiner Lieblingsschauspieler.

Milizionäre sperren das Gelände weiträumig ab. In den Seitengassen lauern Geheimpolizisten Journalisten auf, die Fotos des Dramas machen wollen. SARS-Kranke schauen mit stumpfen Blick aus den Fenstern, Krankenschwestern huschen an den Eisengittern vorbei.

Einige Polizisten tragen Gasmasken. Nicht ohne Grund. Auf den Straßen schlägt sich eine weiß-graue Masse nieder, zur Desinfektion versprüht. Sie lässt Passanten die Augen tränen und den Atem stocken.

Für einen Moment scheint es, als seien die Maßnahmen zur Bekämpfung der Seuche gefährlicher als SARS selbst.

Matthias Schepp

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