Monatelang, so rühmte sich Hisbollah-Chef Nasrallah im Fernsehen, habe man die Entführung der israelischen Soldaten geplant. Ein Plan, dessen Ziel es war, Israel in einen Krieg zu ziehen. Weder ein paar Katjuscha-Raketen noch Selbstmordanschläge hätten die Regierung in Jerusalem so weit aus der Reserve gelockt. Aber die Hisbollah wusste, dass die israelische Armee alles daran setzen würde, um ihre verschleppten Soldaten zu finden. Eine gezielte Provokation also, auf die das Kabinett Olmert nicht gerade besonnen reagierte. Nun findet sich Israel mitten in einem Konflikt wieder - auch mit dem übermächtigen Iran: Teheran beliefert die Hisbollah mit Waffentechnik. Ohne Iran und Syrien wären die schiitischen Kämpfer im Südlibanon ein nahezu unbedeutender Extremisten-haufen. Selbst wenn die Diplomatie den wieder entflammten Krieg befrieden kann - es wird erneut nur eine Verschnaufpause sein bis zur nächsten Eskalation. Auf dem Weg zu einer gerechten Zwei-Staaten-Lösung ist die Welt nicht einen Millimeter vorangekommen.
Reich an Hindernissen war die Fahrt des stern-Teams in die Kampfzone. Die Strecke von Damaskus nach Beirut lag unter Beschuss. stern-Reporter Steffen Gassel und der Fotograf Bruno Stevens mussten einen weiten Umweg fahren, an der Küste entlang und dann von Norden her in den Libanon. Die letzten Kilometer zum libanesischen Schlagbaum mussten sie wegen der langen Flüchtlingsstaus zu Fuß zurücklegen. In Beirut stieß Mitchell Prothero als zweiter Fotograf zum stern-Team. Zusammen recherchierten die Reporter die Geschichte einer Stadt und ihrer Menschen, für die dieser Tage kaum mehr auf dem Spiel stehen könnte: ihr zerbrechlicher innerer Friede und ihr gerade zurückgewonnener Wohlstand.
Auf israelischer Seite erlebten stern-Mitarbeiter Georg Cadeggianini und Fotografin Heidi Levine die Angriffe auf den Norden des Landes. In Naharija schlugen drei Katjuschas in nächster Nähe ein. "Ein leises Zischen in der Luft", beschreibt Cadeggianini die Situation. "Im Reflex duckten wir uns weg. Sekunden später ein wuchtiger Knall. Erst rechts, dann näher, dann hinter uns. Weniger als 50 Meter den Boulevard hinunter rauchte es am Straßenrand. Es roch nach Pulver. Äste der mächtigen Zypressen lagen auf der Straße, Schaufensterscheiben waren geborsten. Die Katjuscha dampfte noch und sah aus wie ein verbeultes Ofenrohr." Der Bericht beginnt auf Seite 28.
Auf einen unblutigen,
aber auf andere Art dramatischen Kampf möchte ich aufmerksam machen. Er wird geführt um die Pressefreiheit in der Türkei. Der Reihe nach: Am 12. Mai dieses Jahres stand der armenische Journalist Hrant Dink auf der Bühne des Hamburger Schau-spielhauses und wurde von stern und Verlag Gruner + Jahr mit dem Henri-Nannen-Preis für Pressefreiheit ausgezeichnet. Weil er mutig seinem Volk eine Stimme gibt, obwohl er deshalb von der türkischen Justiz verfolgt wird. Jetzt verurteilte der oberste Gerichtshof der Türkei den unbequemen Chefredakteur der armenisch-türkischen Wochenzeitung "Agos" in letzter Instanz zu sechs Monaten Haft auf Bewährung, weil er in einem Artikel vom "vergifteten Blut" zwischen Türken und Armeniern geschrieben und damit "ohne Zweifel" das Türkentum erniedrigt habe. Groteskerweise kam das Gericht zu dem Schluss, er habe behauptet, türkisches Blut sei vergiftet. Sogar der Staatsanwalt hatte Freispruch gefordert. Doch dem politisch missliebigen Journalisten sollten wohl Grenzen gezeigt werden. Damit ist Dink der erste türkische Staatsbürger, der nach dem berüchtigten Paragrafen 301 des reformierten Strafgesetzbuches rechtskräftig verurteilt wurde. Danach kann jeder jeden wegen "Erniedrigung des Türktums" sowie des Staates und seiner Institutionen vor Gericht bringen. Der Umgang mit diesem Gesetz erinnert an die Art, wie totalitäre Regime mit Nestbeschmutzern umgehen!
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold