Liebe stern-Leser!
Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Iren ein existenzielles Problem: Die "Kartoffelkrankheit" raffte das Grundnahrungsmittel der Inselbewohner dahin, die Knollen verfaulten auf den Feldern, eine mehrjährige Hungersnot brach aus. In jener Zeit wanderten etwa zwei Millionen Iren nach Amerika und Kanada aus.
Die Deutschen, die neuerdings vermehrt in den Beratungsstellen für Auswanderungswillige vorsprechen, haben Angst vor einer anderen Krankheit: dem Stillstand. Sie sind zwar satt, aber nicht zufrieden. Der Glaube an dieses Land ist ihnen verloren gegangen, weil Bürokratie, Regulierungswahn und zu wenig Leistungsanreize ihnen das Arbeiten und Leben hier vergällen.
Das Wort Exodus wäre übertrieben, aber man muss nicht lange suchen, um Deutsche zu finden, die heimatmüde geworden sind. Nicht weil sie aussteigen, sondern weil sie endlich ihr Leben anfangen wollen. Oft sind es gut ausgebildete junge Leute, die glauben, dass ihre Fähigkeiten in der Ferne mehr geschätzt werden als in Deutschland.
stern-Reporter Holger Witzel und stern-Fotograf Volker Hinz flogen 40.000 Meilen zwischen Grönland und Südsee, um deutsche Auswanderer zu porträtieren. In Wellington, der neuseeländischen Hauptstadt, bestätigte ihnen ein deutschstämmiger Einwanderungsberater: "Viele Leute, die schon jahrelang damit geliebäugelt haben, machen jetzt Nägel mit Köpfen." Und Auslöser sei immer häufiger der wirtschaftliche Frust (Seite 28 im Heft).
Noch etwas in eigener Sache, die aber jeden angeht: Schon seit drei Jahren engagiert sich der stern mit seiner Aktion "Mut gegen rechte Gewalt" gegen den Rechtsextremismus in unserem Lande. Um dieses Thema war es etwas still geworden. Terrorismus und Irak-Krieg dominierten die Schlagzeilen. Da gingen sogar die jüngsten, alarmierenden Zahlen fast unter: Im vergangenen Jahr zählte das Bundesinnenministerium 10.903 "extremistische Straftaten rechts", wie es im Amtsdeutsch heißt. Ein Anstieg um acht Prozent. "Rechtsextremistische Gewalttaten" nahmen um neun Prozent auf 772 zu - der braune Terror bleibt gefährlich.
In dieser Woche starten wir gemeinsam mit der Amadeu Antonio Stiftung eine Online-Plattform, die sich als Informationszentrum über Rechtsextremismus in Deutschland etablieren will und sich für Initiativen, Projekte und Aktionen engagiert, die sich dem Rechtsextremismus entgegenstellen. Die Online-Plattform, die von dem in mehr als 50 Ländern arbeitenden Unternehmen SAP unterstützt wird, ermuntert zur Zivilcourage und setzt im Internet ein deutliches Signal gegen Fremdenfeindlichkeit. Wenn Sie mehr wissen wollen, blättern Sie auf Seite 70 (im Heft) oder klicken Sie auf www.mut-gegen-rechte-gewalt.de.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold