Klimaflucht "Wir werden wieder wie Nomaden"

Madi Keita wollte nie weg aus Mali. Doch als die Dürre die Ernten verdarb, suchte er sein Glück in Italien. Heute will er verhindern, dass andere denselben gefährlichen Weg gehen.
Dürre Portrait Madi Keita
Madi Keita, 36, arbeitet als Mediator mit Geflüchteten auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa. Er floh aus seiner Heimat Mali, weil die anhaltende Dürre dort seiner Familie die Lebensgrundlage genommen hatte
© Mathias Braschler & Monika Fischer

Wo liegt Ihre Heimat?
Im Westen von Mali. Ich stamme aus einer Bauernfamilie, bin das älteste von acht Kindern. Meine Geschwister, Eltern und Großeltern wohnen im Dorf Kita. Wir haben Mais, Erdnüsse, Hirse und rote Kartoffeln angebaut. Schon als Kind habe ich nach der Schule auf dem Acker geholfen.

Ein gutes Leben?
Damals schon. Ich bin Bauer. Ich hoffe bis heute, dass ich eines Tages wieder als Bauer arbeiten kann. 

Warum kam es anders?
Es gab eine große Dürre. Mehrere Jahre hintereinander blieb am Ende des Winters der große Regen aus. Der Brunnen im Dorf trocknete aus. Um an Wasser zu kommen, mussten die Menschen es in Kanistern kilometerweit heranschleppen. 

Was hatte das für Folgen?
Wenn der Regen nicht rechtzeitig fällt, kannst du nicht rechtzeitig mit der Aussaat beginnen. Dann hat das Getreide nicht genug Zeit, zu reifen. Mehrere Ernten fielen aus. Der Fluss, der am Dorf vorbeifloss, trocknete aus. Es war ein würdeloses Leben. Darum habe ich mich entschieden, mich auf die Suche zu machen nach einer besseren Zukunft für mich und meine Familie. 2008 war das, da war ich 19.

Haben dann Ihre Verwandten zusammengelegt, damit Sie Schleuser bezahlen konnten, die Sie durch die Sahara und übers Mittelmeer nach Europa bringen?
Wie kommen Sie denn darauf? Niemand hat mir einen Cent gegeben. Ich wollte auch gar nicht nach Europa.

Portrait-Session im kenianischen Busch: Mathias Braschler (.l) und Monika Fischer (r.) bei der Arbeit

Wie der Report "Die Heimatlosen" entstand

Ihr mobiles Fotostudio bauen die Schweizer Fotografen Monika Fischer und Mathias Braschler dort auf, wo die Protagonisten sind. Mal in einer mongolischen Jurte, mal in einer Lehmhütte im Irak oder, wie hier, im kenianischen Busch. Der neutrale Hintergrund gehört zum Konzept. "Wir wollen zeigen: Es sind alle gleich", sagt Fischer. Die "Displaced"-Dokumentation wurde vom UN-Welternährungsprogramm (WFP) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) unterstützt. stern-Autor Steffen Gassel begleitete die Recherchen in Deutschland, der Schweiz und im Irak. Alle Fotos, Videos und Texte des exklusiven stern-Reports finden Sie auf dieser Sonderseite.

Sondern?
Nach Libyen. Fast ein Jahr hat es gedauert, bis ich ankam. Unterwegs habe ich ständig Gelegenheitsjobs angenommen, um mir die nächste Etappe zu finanzieren. Der härteste Teil der Reise war der Marsch durch die Wüste im Grenzgebiet zwischen Algerien und Libyen. Man kann sich dort so leicht verlaufen. Wenn du dich beim Gehen umdrehst, siehst du deinen letzten Fußabdruck im Sand schon nicht mehr. Auf dem Marsch kämpft jeder für sich allein, keiner will für jemand anderen verantwortlich sein. Ich war der jüngste in der Gruppe und ich dachte, ich schaffe es nicht. Es gab Momente, in denen ich den Tod vor Augen hatte.

Wie lange sind Sie in Libyen geblieben?
Von 2009 bis 2011. Erst habe ich als Hausangestellter gearbeitet, dann als Teppichwäscher und am Ende als Bäcker. Ich habe gutes Geld verdient und konnte einen Teil nach Hause schicken, um meine Familie zu unterstützen. Dann kam der Arabische Frühling. Das Gaddafi-Regime stürzte. Das war das Ende der guten Zeit in Libyen. Ich hatte mein Leben riskiert, um dorthin zu gelangen. Und auf einmal steckte ich mitten in einem Krieg. Zurück nach Hause konnte ich nicht, denn auch dort tobte der Bürgerkrieg.

Der Klimawandel ist kein Schicksal

Darum entschieden Sie, die Reise übers Mittelmeer zu wagen?
Es war der Ausweg. Ich hatte nie zuvor das Meer gesehen. Fünf Tage saßen wir in dem Schlauchboot. Im Frühsommer 2011 ging ich in Sizilien an Land. Seitdem bin ich in Italien. Heute lebe ich in Rom. Hier und auf der Mittelmeerinsel Lampedusa arbeite ich als Mediator für Geflüchtete. Von meinem Einkommen unterstütze ich weiter meine Familie in Mali.

17 Jahre sind vergangen, seit Sie Ihre Heimat verlassen haben. Von heute aus betrachtet: Welchen Anteil hat der Klimawandel an Ihrem bisherigen Lebensweg?
Meine Geschichte ist natürlich mit dem Klimawandel verbunden. Mein Dorf in Mali wurde an einem Fluss gegründet. Menschen, die früher Nomaden waren, ließen sich dort nieder, weil es Wasser gab. So haben es mir meine Großeltern erzählt. Aber das Wasser ist versiegt. Darum musste ich fortgehen. Ohne Wasser gibt es kein Leben. Kein Regen, keine Ernte. Nur trockenes Land und Hunger.

Verdorrte Ernte: Ein Bauer in Mali auf seinem Acker
Verdorrte Ernte: Ein Bauer in Mali auf seinem Acker
© Nicolas Remene / Le Pictorium / Imago Images

Manche sagen: Sowas passiert eben. Das ist Schicksal. Oder vielleicht Gottes Wille.
Nein, das ist kein Schicksal. Das Klima verändert sich, weil Menschen sich rücksichtslos verhalten. 

Wer trägt aus Ihrer Sicht die Verantwortung?
Ich will nicht mit dem Finger auf Europa zeigen, weil hier all die Fabriken sind. Ich will auch nicht so tun, als könnten die Länder in Afrika nicht vieles besser machen. Wir sind alle gemeinsam verantwortlich. Ob wir nun Westler sind oder Afrikaner: Dieses Problem müssen wir gemeinsam lösen. Es betrifft uns schließlich alle, überall. Denken Sie nur an die Flutkatastrophe in Norditalien vor zwei Jahren. Oder an die Wirbelstürme in den USA. Auch dort verlieren Menschen ihre Wohnung und müssen fortgehen, so wie ich es musste. Wir werden wieder wie früher die Nomaden: Menschen, die durch die Welt ziehen, auf der Suche nach einem besseren Ort zum Leben.

Woran erinnern Sie sich gern aus der Zeit, bevor Sie von zu Hause weggingen?
Als ich ein Kind war, gab es am Ende der Ernte im Dorf ein großes Fest. Jeder steuerte etwas von seinen Erträgen bei. Den ganzen Tag wurde gekocht und dann haben wir ausgelassen gefeiert. Heute gibt es dieses Fest nicht mehr. Die Menschen wollen nicht mehr mit den anderen teilen, weil, was sie haben, ihnen oft selbst nicht reicht.

Wovon träumen Sie?
Eines Tages möchte ich nach Mali zurückkehren. Mit neuem Wissen und neuen Fähigkeiten, die uns helfen, wieder in Würde zu leben. Ich möchte meiner Familie und den Leuten im Dorf zeigen: Wir können uns selbst helfen, wir können das Leben hier besser machen, aus eigener Kraft. Sie sollen nicht ihr Leben aufs Spiel setzen, so wie ich es getan habe.

Glauben Sie, dieser Traum wird sich erfüllen?
Wer unbedingt nach Europa auswandern will, denn kann man natürlich nicht aufhalten. Die Menschen haben sich immer ihren Weg gesucht. Die Migration kann man nicht stoppen. Aber man kann versuchen, dafür zu sorgen, dass niemand fliehen muss vor Dürre, Krieg und Hoffnungslosigkeit. Ich habe Hoffnung. Also will ich es versuchen.

Dieser Inhalt ist Teil des Projektes "Die Heimatlosen", das die Folgen des Klimawandels dokumentiert. Alle Fotos, Videos und Texte des stern-Reports finden Sie auf dieser Sonderseite.

 

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