Editorial Malefiz-Meisterin Merkel

Wir verlieren zu viel Zeit durch Übertünchen von Problemen", attackierte der künftige Bundespräsident Horst Köhler noch am Abend seiner Wahl. Schon richtig, doch vor uns liegt eine bleierne Zeit. Bis zur Bundestagswahl im September 2006 wird dieses Land von Politik-Starre geprägt sein. Und das liegt vor allem an Köhlers Mentorin Merkel.

Liebe stern-Leser!

Wir verlieren zu viel Zeit durch Übertünchen von Problemen", attackierte der künftige Bundespräsident Horst Köhler noch am Abend seiner Wahl. Schon richtig, doch vor uns liegt eine bleierne Zeit. Bis zur Bundestagswahl im September 2006 wird dieses Land von Politik-Starre geprägt sein. Und das liegt vor allem an Köhlers Mentorin Merkel. Bekanntlich stellt die Union im Bundesrat die Mehrheit, und die wirft sich nun jedem bedeutenden Regierungsprojekt in den Weg. Angela Merkel hat die Vorzüge der Blockade-Politik entdeckt. Sie hofft, damit den kürzesten Weg durch das Labyrinth zur Macht zu finden. Selbst wenn sie in der Zuwanderungsdebatte einen Schritt Richtung Regierung machen würde, änderte dies nichts an ihrer grundsätzlichen Zermürbungsstrategie, die sie natürlich heftig bestreitet. Solange Rot-Grün derart miserable Umfragewerte bekommt, kann sie gefahrlos auf Gegenkurs bleiben. Wie beim Malefiz-Spiel baut sie vor den gegnerischen Figuren ein Steinchen nach dem anderen auf. Sie hat es in diesem Spielchen zur wahren Meisterschaft gebracht. Ab Seite 30 lesen Sie, wie Angela Merkel ihren Machtkosmos organisiert und wer ihr dabei hilft.

Über lebenswichtige Themen wie Rente, Gesundheit, Steuermodelle oder Arbeitsmarkt werden nun Scheingefechte geführt. Die SPD will im kommenden Jahr das Gesetzgebungsverfahren für ihre geliebte Bürgerversicherung starten. Alles heiße Luft, wird doch jede Initiative in den unerbittlichen Mühlen von Bundestag, Bundesrat und Vermittlungsausschuss zermahlen. Wir ertragen diesen Zustand seit Jahren aus Respekt vor der Verfassung. Weil aber Deutschland unter hohem Veränderungsdruck steht, gefährdet die Macht des Bundesrates inzwischen unsere Demokratie. Der Föderalismus, die Verteilung der politischen Macht zwischen Bund und Ländern, frisst die Zeit auf, die wir für die Renovierung des Landes bräuchten.

Und die Wähler tragen dazu bei:

Ganz selbstverständlich missbrauchen sie alle paar Monate Kommunal-, Landtags- und demnächst Europawahlen, um jeden missliebigen bundespolitischen Vorstoß per Wahlzettel abzustrafen. Regionale Probleme kümmern die Bürger dabei wenig. Das war schon immer so, das ist auch menschlich. Wann und wo ließe sich die Enttäuschung über Politik eindrucksvoller artikulieren? Aber dies führt in fast jeder Legislaturperiode dazu, dass die Opposition durch den Bundesrat die Oberhand gewinnt. Dadurch bewegt sich Politik nur noch im Tempo einer Wanderdüne, wenn überhaupt.

Die Förderalismus-Kommission brütet derzeit zwar auch über diesem Problem. Aber es wird immer nur im Interesse der gerade regierenden Parteien liegen, die Veto-Funktion des Bundesrates zu beschneiden. Letztlich wird also auch in diesem Arbeitskreis nur wieder um Macht gerungen, blockieren sich die Parteien gegenseitig. Denn eine Grundgesetzänderung muss mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag beschlossen werden.

Ein Super-Wahltag alle vier, besser alle fünf Jahre, an dem der Wähler Bundestag und Landtage bestimmt - das wäre ein hochwirksames Gift gegen alle kurzsichtigen Machttaktiker und ein gutes Mittel für effizientes Regieren.

Herzlichst Ihr
Andreas Petzold

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