Das wichtigste politische Amt, das Deutschland zu vergeben hat, ist ihm vor 26 Jahren genommen worden, das des Bundeskanzlers. Vor 22 Jahren verließ er auch das Parlament. Heute, kurz vor seinem 90. Geburtstag am 23. Dezember, in Zeiten epochaler Niedergangsszenarien, klammert sich anscheinend die halbe Republik an Helmut Schmidt. Seine messerscharfen Urteile sind gefragt, die Säle voll, wenn er spricht. Die Helmut-Schmidt-Festspiele sind in vollem Gange, oder wie es stern-Autorin Ulrike Posche in ihrem Geburtstagsporträt ab Seite 48 formuliert: "Welt ging verloren. Schmidt war geboren. Und ganz Deutschland bringt ihm Weihrauch und Myrrhe." Seine politischen Erfahrungen sind es, die ihn glaubwürdig machen. Manches wird dabei verklärt, denn nicht immer lag Schmidt in der Zwölf (die ersten Öko-Bewegten nannte er "Umweltidioten"). Aber in seinen Analysen, die innerer Überzeugung entspringen, liegt Weltökonom Schmidt eben oft richtiger als der Rest der Welt. Und in seinen Urteilen schwebt er erhaben über jedem Verdacht, von interessierter Seite beeinflusst zu sein. Zwar saß auch er nach seiner aktiven Politikerzeit in einigen Aufsichtsräten. Doch nun, in hohem Alter, hat er sich aufs öffentliche Kommentieren verlegt.
Dabei pflegt der Hamburger seine griesgrämige Bescheidenheit - wie eh und je, weiß stern-Fotograf Volker Hinz zu berichten. Erst vor wenigen Tagen ließ sich Helmut Schmidt von ihm hinter der Bühne eines Hamburger Hotels fotografieren, nachdem ihm Hinz einen Kaffee serviert hatte. "Er ist wie immer", sagt Hinz, "seine bloße Anwesenheit gebietet respektvolle Distanz." 1969 schoss der stern-Fotograf seine ersten Bilder des Sozialdemokraten. Und in den folgenden Jahrzehnten gelangen ihm immer wieder Fotos aus Schmidts Privatleben. Da gab es auch nichts zu verbergen. Hinz begleitete den Kanzler beim Segeln auf dem Brahmsee, Loki Schmidt hängte im Garten des überschaubaren Bungalows am Ufer die Unterhosen an die Wäschespinne, so wie Millionen andere Deutsche auch.
Die Fotos von Volker Hinz blättern das Leben des Politikers in einzigartiger Weise auf. Zu diesem Leben gehört auch die Tochter des Ehepaars Schmidt, die - wen wundert es - seit früher Jugend raucht. Die stern-Reporter Tilman Gerwien und Gerda-Marie Schönfeld besuchten Susanne Schmidt in England. Leicht war es nicht, die einzige Tochter des Altkanzlers zu einem Interview zu bewegen. Die Fernsehjournalistin hat einen stressigen Job beim Börsenkanal Bloomberg in London und lebt zurückgezogen mit ihrem Mann Brian Kennedy (Nichtraucher) auf einem Bauernhof in der beschaulichen Grafschaft Kent. Dort gab sie zum ersten Mal Auskunft über ihren berühmten Vater, ihre erstaunliche Mutter (die neuen Bücher beider Eltern stehen auf der aktuellen stern-Bestsellerliste), über ihr Leben als Kanzlertochter und die bedrückenden Jahre des RAF-Terrors.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold