Die Wombi fährt jedes Jahr auf ein Ferienlager an den Wolfgangsee. Wombis aller Größen und Nationen treffen dort den Sommer über aufeinander und werden professionell beschäftigt. Es ist das Highlight im August. Auf meine Frage, worin das Programm bestehe, bekomme ich immer dieselbe Antwort: "Wir machen coole Sachen." Nichts Genaues weiß man also. Dem Informationszettel, den man als Mutter zugemailt bekommt, ist eine Packliste angehängt. Warme Kleidung, Gummistiefel, Regenmantel, Wanderschuhe, Hausschuhe, Taschenlampe sind hier angeführt.
Allesamt Teile, die der Wombi nicht in den Koffer kommen. Da es im Salzkammergut, an dessen Rand sich der Wolfgangsee schmiegt, des Öfteren regnet, schlug ich der Wombi blauäugig vor, eine wasserabweisende Jacke mitzunehmen. "Sicher nicht", sagte sie und schnaubte. "Warum nicht?", ließ ich das Thema nicht gleich fallen. Die Wombi erklärte mir, dass niemand eine solche Jacke mithätte, dass sie sich außerdem den Wetterbericht angeschaut hätte und dass es zwei Wochen nur Sonne geben würde. (Das gab es in der ganzen Geschichte des Salzkammerguts noch nie.) Ich nickte und kämpfte gegen den Drang den Kopf zu schütteln. "Was ist mit Wanderschuhen?", fragte ich. Der Blick, den die Wombi beim Wort "Wanderschuhe" aufsetzte, war verächtlich. Ich hätte auch sagen können - "was ist mit den Vollkornkeksen?" oder "Was ist mit den Birkenstock-Sandalen?" Drei Paar Sneakers nahm die Wombi dafür mit - eines hässlicher als das andere. Mit dicken Sohlen und dicken Schuhbändern. "Sollte ich eine längere Strecke gehen müssen, ziehe ich die an", sagte die Wombi. Höchstwahrscheinlich würden die Sneakers unbenützt zurückkommen - die Wahrscheinlichkeit, dass die Wombi eine längere Strecke gehen würde, lag bei unter Null. Als sie den Koffer zuklappte, wäre noch genug Platz für die Sachen von der Liste gewesen, aber ich sagte nichts.
Winken ist was für Anfänger
Die Wombi fuhr an einem sonnigen Samstag mit dem Zug ab. Die Verabschiedung am Bahnhof fiel kühl aus. Die Wombis lagen sich in den Armen und hingen wie Tiere an der Wasserstelle über ihren Smartphones. Die Eltern standen mit einigem Abstand drumherum und warteten darauf, dass sich ihre Kinder zumindest noch einmal umdrehen würden. Wir warteten nicht, da wir schon wussten, dass das nicht passieren würde. Die Anfänger-Wombi-Eltern machten den gravierendsten aller Fehler und winkten dem abfahrenden Zug nach. Das, hatte uns die Wombi gesagt, sei das Allerallerpeinlichste und auf jeden Fall zu unterlassen.
Es vergingen drei Tage, an denen wir nichts von der Wombi hörten, was wir als gutes Zeichen werteten. An Tag vier kam eine Nachricht, in der sie ankündigte, sich im Dorf eine neue Hose kaufen zu müssen, da alle ihre anderen Hosen nass wären. "Bist du in den See gefallen?", fragte ich scherzhaft. Die Wombi antwortete mit rotköpfigen Wutsmileys und einem Regenschirmchen. Als ich versuchte, sie telefonisch zu erreichen, drückte sie mich weg. Dafür schickte sie zwei Minuten später eine Sprachnachricht. Das ist wahrscheinlich cooler, als zu telefonieren. Die nassen Hosen waren nämlich das geringere Problem, die wahre Katastrophe spielte sich an anderer Front ab. Sie betraf ihr Datenvolumnen. Die 25 GB waren aufgebraucht. "Wie kann das sein?", schrieb ich ihr, "wir haben erst Mitte des Monats." Da ließ sie sich dazu herab, mich anzurufen. Mit honigsüßer Stimme legte sie mir dar, dass es ihr auch ein Rätsel sei, wie sich das Datenvolumen in nur zwölf Tagen verflüchtigt hatte. Damit, dass sie dank des Passwortes ihrer Freundin neuerdings Zutritt in die Welt von Netflix hat, damit hatte das natürlich gar nichts zu tun. "Ich verstehe es auch nicht", sagte sie und klang ein bisschen weinerlich, "ich habe nur Musik gehört." Wahrscheinlich meinte sie die Titelmusiken der Netflix-Serien. Der Olaf lud das Volumnen um drei GB auf - mehr ging nicht. Die Wombi bedankte sich seufzend - es klang so, als hätten wir ihr drei Stück Brot und eine Flasche Wasser gegeben und ihr gesagt, dass sie damit die nächsten zehn Tage über die Runden kommen müsse. "Wie geht es dir denn sonst so?", nutzte der Olaf den Moment. "Es regnet", antwortete die Wombi, "morgen soll es besser werden. Da gehen alle wandern." Ich nahm dem Olaf das Telefon aus der Hand. "Schön", sagte ich, "die Gegend ist ja wirklich herrlich."
Kurzes Schweigen.
"Ich werde nicht mitwandern", sagte die Wombi, "Ich kenne die Wege alle schon."
Jetzt war ich diejenige, die schnaubte. "Aber das ist doch kein Grund", sagte ich, "Du hörst ja auch Lieder mehrere Male hintereinander und du schaust dir immer wieder die gleichen Stücke im Theater an. Man kann auch mehrmals im Leben dieselben Wanderwege gehen. Es ist immer wieder von Neuem schön."
Wieder Schweigen.
"Hallo", sagte ich, "bist du noch da?"
"Ja", antwortete die Wombi genervt. "Stimmt, was du sagst. Aber ohne Karte kann man nicht ins Theater gehen, ohne AppleMusic kann man keine Musik hören, ohne Wanderschuhe kann man nicht wandern. Und du hast mir keine Wanderschuhe mitgegeben."
ICH. HATTE. IHR. KEINE. WANDERSCHUHE. MITGEGEBEN.
Armes Kind. Wenn es nachhause kommt, werde ich als Wiedergutmachung am Wochenende eine große schöne Wanderung mit ihm unternehmen. Eine, die schon um 7 Uhr früh beginnt, bei der man an keiner Hütte vorbeikommt, sondern ein paar Brote in einer Felsspalte isst. Ohne Empfang. Mit ganz viel Natur und Stille. Und den Wanderschuhen an den Füßen.
Das wird eine tolle Überraschung werden.