Corona-Pandemie Mütter im Lockdown: "Ich glaub, ich geh mal kurz schreien"

Von Lisa Harmann
Zurzeit können Frauen den Belastungen durch Beruf, Haushalt und Kinderbetreuung schwer gerecht werden: Zu viele Herausforderungen zerren an ihren Nerven. Gastautorin Lisa Harmann hat das mal kurz zusammengefasst.

Ein Anruf aus der Schule. Die Deutschlehrerin hat Corona. Sie stand tags zuvor noch ohne Maske vorm Kind, zum Trinken nur, aber Aerosole brauchen ja nicht viel Zeit. Verdammt. Also Planänderung für den Nachmittag. Telefonieren, Schnelltest organisieren, wieder ein Tag der Überraschungen, der Flexibilität verlangt und Unsicherheiten bringt. Und ich als Mutter die permanente Bedürfniserfüllungsmaschine. Hunger, Pipi, Durst, Coronatest. Ich glaub, ich geh mal kurz schreien.

Eine Mutter am Rechner verzweifelt, weil im Hintergrund ihre Kinder streiten
Job, Haushalt, Mutter – zurzeit haben Frauen zu viele Herausforderungen zu bewältigen
© chameleonseye / Getty Images

Wir befinden uns im Jahr 2020, im sogenannten Lockdown light. Das klingt so süß wie ein Zuckergetränk aus den USA – aber am Ende ist halt auch Cola light eben Cola. Nur mit Zuckerersatzstoffen, die eben fad schmecken – so fad wie die aktuellen Einschränkungen. Die Pandemie zeigt uns Eltern auch weiter hämisch den gesellschaftlichen Mittelfinger.

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"WOW MOM: Der Mama-Mutmacher für mehr Ich in all dem Wir", Fischer Krüger, 304 Seiten, 16,99 Euro. 
© Fischer Krüger / Hersteller

Ihr dachtet, Alleinerziehenden würde bald ein bisschen mehr unter die Arme gegriffen? Ha! Ihr dachtet, Familien mit pflegebedürftigen Kindern würden endlich mal mehr unterstützt? Haha! Ihr dachtet, ihr würdet halbwegs gleichberechtigt leben und hättet euer Leben im Griff? Hahaha!

"Ungestörtheit ist der seltenste mütterliche Aggregatzustand", schrieb schon Mareice Kaiser in ihrer Kolumne "Klein und groß" für "zett". Wir lebten ja schon vor Corona am Energielimit! Nun also noch mehr. Ohne Ausgleich, ohne Abwechslung, ohne Freunde, ohne Ausgelassenheit, ohne Hobbys, ohne Leichtigkeit oder Planungssicherheit. Da kann der Streit, wer mehr heiße Schokolade in der Tasse hatte die einfach nach der Schule auf den Boden gepfefferte Jacke auch mal in einem halbschweren Nervenzusammenbruch münden. Überall diese Kontrollverluste! Ich will das so nicht mehr!

Im Job soll ich performen, als hätte ich keine Kinder, bei den Kindern so, als hätte ich keine Arbeit. Aber wir können nicht 100 Prozent im Job geben und 100 Prozent im Haushalt und 100 Prozent für die Kinder, weil wir dann als 300-prozentiges Wrack enden. Wir können nicht immer nur Ängste wegstreicheln und die starke Schulter sein.

Ein Mehr an Pflichten, ein Weniger an Freuden

"Ein voller Terminkalender ist noch lange kein erfülltes Leben", wird Kurt Tucholsky immer wieder zitiert. Ein leerer aber eben auch nicht. Das merken wir grad schmerzlich. Das Mehr an allen Pflichten, das Weniger an allen Freuden. Draußen steht alles still – und drinnen tobt der Wahnsinn durch unser Wohnzimmer. Überforderung bei gleichzeitiger Unterforderung. Natürlich müssen wir darüber auch mal in unser Kissen heulen, in die Tischkante beißen oder mal richtig laut fluchen. Denn Wut und Frust müssen ja raus, damit wir nicht platzen wie auf dem Herd vergessene Schnellkochtöpfe.

Luxusprobleme, rufen die Leute. Nur, weil euer hedonistisches Spaßleben jetzt ein Ende hat! Hättet ihr Jammerlappen halt keine Kinder gekriegt, wenn ihr euch jetzt nicht kümmern wollt. Aber so einfach ist es nicht. Die Pandemie hat uns in den Grundfesten unserer gefühlten Sicherheit erschüttert, die Ängste sind existenziell – und es betrifft alle Schichten.

Lisa Harmann, 38, ist Journalistin, Autorin und Bloggerin. Sie wurde jung Mutter dreier Kinder und dachte, sie wäre auf vieles gefasst. Dann kamen Lockdown und Homeschooling während sie ihr neues Buch zu Papier zu bringen versuchte – beinah zwang es sie in die Knie. Also wurde sie laut und gab #coronaeltern eine Stimme – u. a. live im Studio bei sternTV. Mit Katharina Nachtsheim führt sie eins der größten deutschen Elternblogs: stadtlandmama.de. Mit ihr schrieb sie auch das Buch im Lockdown, das jüngst auf der Bestsellerliste landete: "WOW MOM – Der Mama-Mutmacher für mehr Ich in all dem Wir". 
Lisa Harmann, 38, ist Journalistin, Autorin und Bloggerin. Sie wurde jung Mutter dreier Kinder und dachte, sie wäre auf vieles gefasst. Dann kamen Lockdown und Homeschooling während sie ihr neues Buch zu Papier zu bringen versuchte – beinah zwang es sie in die Knie. Also wurde sie laut und gab #coronaeltern eine Stimme – u. a. live im Studio bei sternTV. Mit Katharina Nachtsheim führt sie eins der größten deutschen Elternblogs: stadtlandmama.de. Mit ihr schrieb sie auch das Buch im Lockdown, das jüngst auf der Bestsellerliste landete: "WOW MOM – Der Mama-Mutmacher für mehr Ich in all dem Wir". 
© Charles Yunck

Die Mehrfachbelastung zwingt uns in die Knie

Das permanente Gedankenkarussell des Hätte, Wäre, Könnte lässt unseren Akku herunterfahren, das belegen mittlerweile auch Studien. Die Mehrfachbelastung zwingt uns in die Knie, über die Hälfte der Menschen mit Kindern fühlt sich hierzulande durch die Corona-Krise gestresster als zuvor. Durch die hohen Belastungen in Familie, Beruf und Haushalt reagieren 67 Prozent von ihnen gereizt und fast die Hälfte übermüdet, ergab eine Forsa-Umfrage in Elternhaushalten für die Minijobzentrale.

Ob das also jetzt der härteste Winter für uns Eltern wird? Vor dem Hintergrund, dass Menschen durch Corona Angehörige verloren haben, dass unser Pflegepersonal ins Burnout rennt, klingt das natürlich überspitzt. Trotzdem: Die Nerven liegen blank. Der Lockdown bedeutet mehr Haushalt, mehr Geschwisterstreit, mehr Animation, mehr Unsicherheit.

Wir schippern gemeinsam durch dieses Meer der kollektiven Verunsicherung

Als Eltern sind wir grad Trainer, Motivator und Freundeskreis für die Kinder; wir sind Kino, Konzert und Kümmerer. Wir können das aber nicht alles sein und ersetzen. Die Verantwortung für alles und jeden, die wie eine nasse Decke viel zu schwer auf unseren Schultern liegt – zu viel für zu viele.

Vielleicht sitzen wir nicht alle im selben Boot, wir schippern dennoch gemeinsam durch dieses Meer der kollektiven Verunsicherung. Die Bugwellen werden höher, das Wasser kracht gegen unser Schiff, nur logisch, dass einige dabei seekrank werden. Und es ist egal, ob du dabei auf einer Yacht in ein Waschbecken mit goldenen Armaturen brichst oder einfach von einem Floß aus ins Wasser hinein. Schlecht ist schlecht und verlangt Hilfen.

"Alltagsnahe Hilfestellungen für Eltern"

Kinderpsychologin Prof. Dr. Silvia Schneider, Leiterin der Klinischen Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Bochum, hat darum mit ihrem Team die Initiative "Familien unter Druck" ins Leben gerufen. Unter der Schirmherrschaft von Familienministerin Franziska Giffey haben sie zwölf Videos von Prominenten wie Jörg Pilawa, Collien Ulmen-Fernandes und Klaas Heufer-Umlauf einsprechen lassen. Sie sollen Hilfen für Situationen zu Hause bieten, die eskalieren könnten.

"Wir möchten Eltern alltagsnahe Hilfestellungen für schwierige Situationen mit Kindern geben", sagt Schneider. "Wenn die Kinder toben oder ausrasten und wir nicht weiterwissen." Derzeit beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen von Corona auf Kinder und Jugendliche im ersten Lockdown. Interessant sei, dass sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Befindlichkeit der Eltern und der Kinder zeige. Geht es den Eltern gut, geht es auch den Kindern besser.

Mehr Streit in den Familien

Das bestätigen auch weitere Forschungen. Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum mit über 3000 Eltern ergab, dass das Wohlbefinden von Müttern und Vätern im Lockdown Anfang des Jahres abgenommen habe. Auch Kinder und Jugendliche wurden befragt, jedes vierte Kind berichtete, dass es in der Familie häufiger zu Streit komme als vor Corona.

Die Krise verändert uns. Nach Monaten der Einschränkungen merken wir nun, dass wir es hier nicht mit einem Sprint zu tun haben, sondern mit einem Marathon. Die Stimmung ist sprunghaft, mal sind wir euphorisch, mal geht uns die Puste aus. Wir sind mehr oder weniger unvorbereitet in dieses Abenteuer gestartet. Ab und zu ereilt uns ein Wadenkrampf. Wir mussten erst lernen, jede Etappe einzeln anzugehen, von Kilometer zu Kilometer, weil niemand das Ziel bislang sehen kann.

Ist das Trödeln der Kinder am Morgen eine ernste Gefahr? Natürlich nicht!

Wir sollten also nach jeder Banane greifen, die uns am Wegesrand gereicht wird. Nach jedem isotonischen Getränk und jedem Applaus, damit wir uns selbst gut durchmanövieren durch die Krise. Die Freuden und Krafttankstellen so nehmen, wie sie kommen. Und zulangen, so oft wir nur können! Denn Zeiten der Leichtigkeit, Zeiten nur für uns, werden uns leider nicht auf dem Silbertablett serviert, wir müssen sie uns bewusst nehmen.

Dr. Karella Easwaran, Kinderärztin aus Köln, rät Müttern auch zum "beneficial thinking". In akuten Stresssituationen setze bei uns der Überlebensmechanismus ein, erklärt sie, wir reagierten mit Schweißperlen und Fluchtgedanken. Es helfe, sich dann kurz zu fragen, ob die Situation grad lebensgefährlich sei. Ist das Trödeln der Kinder am Morgen eine ernste Gefahr? Natürlich nicht. "Dieser Gedanke entlastet!"

"Mütter neigen dazu, immer bereit zu sein, alles zu geben"

Wir brauchen Disziplin. Vor allem Disziplin in der Selbstfürsorge! Zeiten, in denen niemand "Maaamaaaa" ruft, ohne Bereitschaftsdienst für die Kinder, denn auch der ist Arbeit. Rettungssanitäter oder Hebammen werden zu Recht für diese Rufbereitschaft bezahlt. Wir müssen aber auch mal abschalten! Uns nicht in der Fürsorge für die anderen selbst verlieren.

"Mütter neigen dazu, immer bereit zu sein, alles zu geben", erklärt auch Dr. Friederike Gerstenberg, Psychologin und Systemische Therapeutin. Das sei evolutionspsychologisch natürlich sinnvoll, aber auf Dauer lebten wir so andauernd am Energielimit, wenn wir nur noch Mutter und nicht auch mal Frau, Freundin oder die Tochter seien. Und ja, wie recht sie hat, wir Mütter brauchen manchmal einfach auch noch unser Frausein, unser Tochtersein, unser Freundinsein.  

Zudem betont sie, dass wir alle die Zeit unterschätzten, die wir tatsächlich für uns selbst bräuchten. Sie rät, uns 50 Prozent mehr Zeit einzuplanen, als wir für unsere Auszeiten und Aktivitäten einplanten. Nicht umsonst gäbe es den schönen Ausspruch von Astrid Lindgren: "Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen."

Viele Frauen dekorieren nun besonders schön

Wie gehen Frauen damit also um? Viele dekorieren nun besonders schön oder schaffen sich Haustiere an. Katzen, Hunde oder Kaninchen. Dankbare Lebewesen, die nicht während Pandemien zu Hobbyvirologen werden oder über Masken lästern. Die uns nicht neidisch machen, weil sie trotz aller Maßnahmen Freunde treffen oder Ski fahren gehen. Solche, die sich nicht wie Teenies übers Essen beschweren, die sich grundlos über uns freuen und die Zeit zu Hause erträglicher machen.

Ja ja, die eigenen vier Wände mit der gläsernen Krisen-Decke drumherum, an der wir uns noch immer viel zu oft den Kopf stoßen. Wir werden hier wohl auch in den nächsten Wochen noch mehr Zeit verbringen, als wir es aus Vor-Pandemie-Zeiten gewohnt sind. Mit jungen Leuten, deren Schnelltests glücklicherweise bislang immer negativ waren, die aber auch nach der 800. Ermahnung noch ihre Jacken und Masken in die Ecke pfeffern, wenn sie heimkommen. Zum Glück ist das aber ja – anders als dieses unsägliche Virus – nicht lebensgefährlich.      

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